âdraAWB f. ō- und n-St. bezeichnet fast immer
ein den menschlichen oder tierischen Körper
durchziehendes Gefäß oder Band, also ‚Ader,
Blutgefäß‘ (vena), aber auch ‚Sehne, Nerv,
Muskel‘ (fibra, filum, nervus) und einmal ‚Wur-
zelfaser‘ (fibra); außerdem vier- oder fünfmal
(davon einmal pl.) ‚Eingeweide‘ (ilia, viscera) —
dieselbe Bedeutung hat ahd. innâdiri, inâdri
(Starck-Wells 303); — dazu kommt dreimal Ver-
wendung im Sinne von ‚Wasserader‘ (vena), die
einzige Bedeutung, in der sich ahd. âdra mit
ahd. ida (s. d.) überschneidet (s. E. Karg-Ga-
sterstädt, PBB 63 [1939], 130—4); 〈Var.: adr-,
ader-, athr-〉. — Mhd. âder(e), âdre ‚Ader, Sehne‘,
auch ‚Bogensehne‘, und im pl. gelegentlich ‚Ein-
geweide‘, übertragen ‚Sinnesart‘: zêhe âdern
(Passional, ed. Köpke 281, 75); auch mhd. ist
noch eine Ableit. in-æder(e) st. n. ‚Eingeweide‘
bezeugt. Nhd. Ader.
Ahd. Wb. I, 30 ff.; Schützeichel³ 2; Starck-Wells 15.
273 (herz-). 303 (inn-); Graff I, 156 f.; Schade 3. 444;
Lexer I, 21 f. 1428; Benecke I, 9 f.; Dt. Wb. I, 178 ff.;
Kluge²¹ 7.
Dem ahd. Wort fehlt es nicht an Entsprechun-
gen in den anderen westgerm. Dialekten sowie
im Skandinavischen; nur Wulfila hatte keinen
Anlaß, in den uns erhaltenen Teilen seiner Bi-
belübersetzung das Wort zu gebrauchen (Ver-
wandtschaft mit got. idreig-, so K. F. Johansson,
Gött. Gel. Anz. [1890], 750. 766 ff., scheidet
aus): as. nur in Komp. wintathren (Gl. 3, 430,
33) ‚arteriae‘, ināthiri Brüss. Prud., *innathiri n.
ja-St., ausgelöst aus dem pp. vt-ge-innathridimo
‚eviscerata, ausgeweidet‘ Prud. Gl. 57b (Gallée,
As. Gr.² § 130, 2; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm.
97, 20 f.; anders E. Sievers, PBB 5 [1878], 531),
dazu hartinnēth(e)re wohl n. ja-St. (Gl. 3, 431,
45 f.) ‚viscera, vitalia‘, hertāthere (Gl. 3, 722, 21)
‚fibrae‘, Starck-Wells 273; mndd. āder (pl. auch
‚Eingeweide‘); andfrk. innēthron dat. pl. n. ja-
St. ‚visceribus‘ (Lipsius’sche Gl.: Helten, Aost-
ndfrk. Psalmenfragmente 75 [Nr. 454] und 154);
mndl. ād(e)re, nndl. āder; afries. ddre ‚vena‘.
Im Aengl. lautet die wests. Form ǣdre (ǣder)
‚arteria, vena, ren‘ mit -d-, später auch æddre
(ædder) mit Konsonantendopplung und Kür-
zung des Vokals vor r (Sievers-Brunner, Ae.
Gr.³ § 229; Campbell, OE Gr. § 453), die merci-
sche Form ēdr (Vesp. Ps.): urg. -þr- erscheint
ae. je nach der lautlichen Umgebung als -dr-
oder -ðr-, die resultierenden Ausgleichsformen
sind dann mundartlich aufgeteilt (Sievers-Brun-
ner, Ae. Gr.³ § 210, 3 und Anm. 7; Campbell,
OE Gr. § 422).
Auch im Nordgerm. ist das Wort seine eigenen
Wege gegangen: da man das ausl. -r in aisl. ǽðr
als nom. sg.-Endung mißdeutete, so wurden die
übrigen Kasus zu einer reduzierten Stammform
ǽð-, entsprechend den iō- bzw. i- (und ō-)
Stämmen, gebildet, also gen.sg. ǽðar, dat.acc.
ǽði, nom.pl. ǽðir, ǽðar (so schon J. Schmidt,
Idg. Neutra 198; Noreen, Aisl. Gr.⁴ § 384. 390),
nisl. ǽð ‚Ader, Sehne, Wasserlauf‘; anorw. ǣðr,
daneben ǣð ‚Blut-, Wasserader‘, nnorw. aader,
åre; ndän. aare; aschwed. ādher und mit n-Er-
weiterung āþra ‚Ader, Sehne‘, nschwed. åder
und ådra.
Fick III (Germ.)⁴ 24 f.; Holthausen, As. Wb. 4
(-āthiri). 39 (in-āthiri, -innāthrian). 82 (ūt-inn-
-āthrian); Lasch-Borchling, Mndd. Handw. I, 1, 14
(pl. ‚Inneres, Eingeweide, Mutterleib‘); Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 15; Holthausen, Afries. Wb. 18;
Richthofen, Afries. Wb. 697; Helten, Aostfries. Gr.
§ 15. 150γ; Holthausen, Ae. et. Wb. 9; Bosworth-
Toller, AS Dict. 9. 239. Suppl. 10; Vries, Anord. et.
Wb.² 680 („aus urn. *āðī“ ist falscher Ansatz); Jó-
hannesson, Isl. et. Wb. 52. 57; Holthausen, Vgl. Wb.
d. Awestnord. 354; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 7
und 787; Torp, Nynorsk et. ordb. 11; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 1416.
Eine dem ahd. âdra zugrundeliegende Form
*ǣþrō(n) führt auf einen idg. r-Stamm *ēt
(**[H₁]ēH₁t oder **[H₁]ēt) zurück, wie er
am klarsten in gr. ἦτορ ‚Herz‘ (äolisch statt
*ἦταρ < *ēt) zutage tritt (J. Schmidt, Idg.
Neutra 117 Anm. 1. 198; Brugmann, Grdr.² II, 1
§ 242; Sommer, Zur Gesch. d. gr. Nom.komp.
135; Schwyzer, Gr. Gram. I, 519). Meillet (Étu-
des sur l’ét. du v. slave 167 f.) war geneigt, in idg.
-t, -ter, -tor eine Kennzeichnung der inneren
Organe eines Körpers zu sehen (so auch Brug-
mann, a.a.O. und Specht, Ursprung d. idg. Dekl.
81). Während aber derlei Körperteilnamen im
frühen Idg. als neutrale r-Stämme fungierten,
sind sie später oft zu o/ā-Stämmen erweitert, so
gr. ἦτορ zu ἦτρον ‚Bauch, Unterleib‘; J. Schmidt
(a.a.O.) stellt sogar die Gleichung auf: gr.
ἦμαρ: ἡμέρα wie gr. ἦτορ (oder *ἦταρ <
*ēt): ahd. âd(a)ra.
Eine idg. Basis *ēt- (vielleicht besser Kollekt.
n.pl. *ētrǝ [**(H₁)ētH₂], s. E. Hamp, Zfvgl.
Spr. 93 [1979], 3 Fn. 6) wurde von Pedersen,
Vgl. Gr. d. kelt. Spr. II, 44 auch für air. in-athar
‚Eingeweide‘ vermutet, < älterem *enitro, was
jedoch von W. Cowgill (briefl.) zurückgewiesen
wird, der statt dessen anlautendes *en- oder
*in- voraussetzt. Auch Berneker, Slav. et. Wb.
I, 270, J. Loth, Rev. celt. 43 (1925), 369, Po-
korny 344 gehen von einer idg. Form mit -ō-
Ablaut (zu *ēt-) aus, *en-ōt-, die nicht nur zu
mkorn. en-ēder-en ‚extum‘, sondern auch in
Analogie zur Präp. in zu air. in-athar, nir. io-
nathar geworden wäre.
Dagegen ist höchst zweifelhaft, aus phonologischen
(-dr- statt idg. -tr-) wie semantischen Gründen, ob
slav. *edro, aksl. jadra n.pl., russ. nedro ‚Inneres, Bu-
sen, Schoß‘ hierher gehören (s. F. Fortunatov, Arch. f.
slav. Phil. 12 [1890], 102 f.; S. Bugge, BB 18 [1892],
171; Berneker, Slav. et. Wb. I, 270 f.; A. Brückner,
Zfvgl. Spr. 45 [1913], 317; Vaillant, Gr. comp. des lan-
gues slaves II, 180; Vasmer, Russ. et. Wb. I, 208 f. III,
195. 499); wohl ebenso unsicher ist av. xvāϑra- ‚εὐϑυ-
μία‘ aus *su-ātra Pokorny 344. Dasselbe gilt, trotz J.
Schmidts verlockender Gleichungen und H. Hirts weiter-
führender Parallelen, wohl auch von einem Anschluß an
aind. antrá- (mit Vddhierung ved. āntrá-) ‚Eingeweide‘
(Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I, 35 f.), av. antarō, arm.
ǝnder-kՙ, gr. ἔντερα, lat. intestīna (zu interior), aksl. ję-
tro ‚Leber‘, man müßte sich denn zu einem sehr frü-
hen Nasalschwund vor -t- (oder einer nicht weniger
frühen Reduktion des „Langdiphthongen“ -ēn- zu
-ē- im Wortinnern vor -t-) verstehen, und zwar unter
Bedingungen, die bislang noch nicht hinreichend ge-
klärt sind (J. Schmidt, Idg. Vokalismus 469; Hirt, Idg.
Gr. II § 96; Walde-Pokorny I, 117; E. Karg-Gaster-
städt, PBB 63 [1939], 134). Nur so wäre ein Zusam-
menhang zwischen germ. *ǣþr- und *inþr- (anord.
iðrar f.pl. ‚Eingeweide‘ < *innrar < *enþerōz, Jóh-
annesson, Isl. et. Wb. 57; Vries, Anord. et. Wb.² 283)
wahrscheinlich zu machen, den allerdings auch das
offenbare Fehlen verwandter Ablautstufen zu *ēt,
mit Ausnahme des umstrittenen *-ōt (s. o.), nahelegt.
— Durchaus abwegig dagegen ist der Versuch von
Heinertz, Et. Stud. z. Ahd. 1 ff., ahd. âdra (vermeint-
lich < urg. *ǣþ-) auf die idg. Wz. *ei̯-: *i- ‚gehen‘
zurückzuführen, also etwa „die sich bewegende, d. i.
schlagende Ader“ (dazu E. Karg-Gasterstädt, PBB 63
[1939], 134; Specht, Ursprung d. idg. Dekl. 81 Anm.
2).
Fick I (Idg.)⁴ 366; Walde-Pokorny I, 117; Pokorny
344; Brugmann, Grdr.² II, 1 § 242; Mayrhofer, K. et.
Wb. d. Aind. I, 35 f.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 330; Frisk,
Gr. et. Wb. I, 645; Chantraine, Dict. ét. gr. 418; Cur-
tius, Grundzüge d. gr. Et.⁵ 309 (Nr. 425); Schwyzer,
Gr. Gram. I, 519 (mit falscher Lesung innidari);
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 746; Fick II (Kelt.)⁴
30 (entereto-); Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 99 (ja-
dro 2); Berneker, Slav. et. Wb. I, 270 f.; Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 69 f. (entra-); Vasmer, Russ. et. Wb.
II, 208 f. III, 499; E. Fraenkel, Arch. f. slav. Phil. 39
(1925), 73.
Was die Bedeutungsschwankungen und -über-
gänge ‚Ader — Sehne — Eingeweide — Unterleib
— Magen — Herz‘ anbelangt, so fehlt es nicht an
Parallelen aus alter und neuerer Zeit. So bedeu-
tet gr. ἦτορ ‚Herz‘, ἦτρον ‚Unterleib‘, ahd. her-
dar ‚Eingeweide, viscera‘ (Notker) (s. d.), ae.
hreðer ‚Brust, Leib, Busen; Herz, Sinn, Ge-
danke‘, got. hairþra pl. ‚Eingeweide‘, auch
Randglosse zu brusts, lit. kartóklis ‚Blätterma-
gen‘ (s. Persson, Beitr. z. idg. Wortf. 957;
Walde-Pokorny I, 422).
Aber auch die heutigen Mundarten, zumal auf
obd. Gebiet, bestätigen den gelegentlichen
Wortsinn ‚Eingeweide‘, wie etwa Kranzmayer,
Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. I, 80 f.: Ader ‚Blut-
gefäß‘, seltener ‚Sehne, Nerv‘, und außerdem
„die unedlen Eingeweide oder Teile dieser in
Zss. wie Gekrös-, Farzader (= Rectum)“; letzte-
res auch bei Mitzka, Schles. Wb. I, 260; dazu
kommen ‚Wasser-, Holz-, Gesteins-, Erzader‘.
Ähnliches verzeichnet das Schweiz. Id. I, 86 ff.,
aber Ingeäder nur für das Eingeweide der Fi-
sche. Bei Fischer, Schwäb. Wb. I, 104 f. heißt es
„‚Blutader‘, ... übergehend in den Begriff des
Hohlraums im Körper“. In den weiter nördlich
gelegenen Mundarten scheinen nur die auch in
der Hochsprache geltenden Bedeutungen üb-
lich zu sein.