absitaAWB f. ō- (oder n-)St. ‚offenes Halbrund,
exedra; Apsis, Chor, Altarraum, absida, absis;
Gewölbe, camera‘ 〈Var.: apsit(h), absit 10. Jh.,
auch apsit, absid 11./12. Jh., dazu dreisilbig ab-
sita, -e, -side 12.—14. Jh.〉. — Mhd. sind noch die
Formen absîte, apsîte st. sw. f. im Gebrauch mit
der Bedeutung ‚überwölbter Nebenraum in ei-
ner Kirche; Nebengebäude‘. In der Lautgestalt
entspricht nhd. Abseite f. im Sinne von ‚Seiten-
raum‘, auch ‚Anbau‘ (eines Nutzgebäudes); die
früher vorwiegend kirchliche Bedeutung wurde
von nhd. Apsis (pl. -iden) übernommen.
Ahd. Wb. I, 19 f.; Starck-Wells 14; Graff I, 102;
Schade 3; Lexer I, 16 f.; Benecke I, 5; Diefenbach, Gl.
lat.-germ. 5 f.; Adelung, Gr.-krit. Wb. d. hd. Mda. I,
92; Dt. Wb. I, 116; Weigand, Dt. Wb.⁵ I, 14; Kluge²¹
4.
Das mlat. Wort absda scheint seinen ersten
Eindeutschungsversuch in den bair. Hss. der
Monseer Gl. (die ältesten: 10. Jh.) erfahren zu
haben, und zwar in der zweisilbigen Form absit
u. ä. (s. o.) mit Apokope der Endung, wie sie in
drei- oder mehrsilbigen Lehnwörtern aus dem
Lat. analog den früher wirksamen westg. Aus-
lautgesetzen öfter zu beobachten ist (Kluge,
Urgerm.³ § 18 c; Franz, Lat.-rom. El. im Ahd.
35; Pogatscher, Gr., lat. u. rom. Lehnw. im Ae.
§ 276 ff.). So wurde mit Akzentverlegung und
Verschiebung des -d- zu -t mlat. absda zu ahd.
absit; man wird nicht schon diese lautliche Ein-
buße dem Gleichklang mit einer urspr. en-
dungslosen nom.sg.-Form von ahd. mhd. sît
‚Seite‘ (so Ahd. Wb. I, 20) oder gar dem Einfluß
der selteneren und gelehrten lat. Variante apsis
(-dis) zur Last legen wollen (vgl. auch Schatz,
Abair. Gr. § 68). Vom 12. Jh. an ist dann —
wohl infolge einer erneuten Entlehnung — vor-
wiegend absîta, absîte und dies ohne Zweifel in
volksetym. Assoziation mit ahd. ab + sîta be-
legt; daneben läuft ein bodenständiges Hom-
onym mhd. ab-sîte ‚abgelegene Gegend‘ einher,
mdartl. nhd. Abseite f.
Mlat. absīda (auch absĭda), seinerseits mit so
mannigfachen Bedeutungen wie ‚Planetenbahn;
Gewölbe, Rund-, Chorhaupt, Apside; Altarni-
sche; Seitenschiff‘ (s. die Mdaa.), ist aus gr.
ἁψίς (ostion. und spätgr. ἀ-) bzw. dessen acc.
sg. ἁψῖδα übernommen: so erklärt sich der
Übergang in die lat. ā-Deklination; die Schrei-
bung -b- beruht wohl auf Analogie zu Formen
wie absum; oft wurde auch volksetym. abscida
geschrieben. Der schon hom. Prototyp ἁψίς
‚Masche eines Netzes, Radfelge, Gefüge‘ ist
eine Erweiterung auf -īd-, und zwar zu einem
unbekannten Verbalnomen, das mit gr. ἅπτω
‚anheften, verknüpfen, berühren‘ zusammen-
hängt, aber im einzelnen unklar bleibt.
Mittellat. Wb. I, 49 f.; Du Cange I, 31 f.; Ernout-Meil-
let, Dict. ét. lat.⁴ 4; Lex. d. frühgr. Epos I, 1788 ff.;
Frisk, Gr. et. Wb. I, 204. 126 (ἅπτω); Boisacq, Dict.
ét. gr.⁴ 109. 72 (ἅπτω); Chantraine, Dict. ét. gr. 99 f.;
ders., Formation des noms en gr. 347; Schwyzer, Gr.
Gram. I, 465 (Abs. 4); Meier, -ίδ-: Zur Gesch. eines gr.
Nom.suff. 65; Pokorny 50 f.; Walde-Pokorny I, 46. —
Vgl. auch P. Kretschmer, Glotta 7 (1916), 352; 10
(1919/20), 233 f.; R. Meringer, Sitz.ber. d. Akad. d.
Wiss. in Wien 181, 5. Abh. (1916), 21—57 und den Ar-
tikel ‚Apsis‘ von A. Mau in Pauly-Wissowa, Real-En-
cycl. d. klass. Alt. III, 283.
Die mlat. Wortform absda, die wohl auf dem
Weg über Gallien auch ins frühmittelalt.
Deutsch gelangt ist (so Wartburg), lebt als ab-
side ‚Apsis‘ im Nfrz. weiter und von dorther im
Ndl. Auch im Mndd. wurde das lat. Lehnwort
adoptiert — volksetymologisch als ‚was abseits
liegt‘ mißverstanden und zu afsīde umgeformt —
so erscheint es auch im Dän., obwohl heute nur
noch mdartl. im Gebrauch, während nschwed.
absid sich direkt aus dem Frz. herleitet. Auch
italien., span. und port. gilt als heutige Wort-
form abside, — nur im Port. hat sich eine lat.
Dim.form *absidula erbwörtlich über aport.
ausidua zum heutigen ausia ‚Hauptkapelle‘ ent-
wickelt (Wartburg).
Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 53; Meyer-Lübke, Rom.
et. Wb.³ Nr. 45 S. 4; Wartburg, Frz. et. Wb. (Neube-
arb.) XXIV, 53; Gamillscheg, Et. Wb. d. frz. Spr.² 5. —
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 39; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. I, 35; Kalkar, Ordb. til æ. danske
sprog I, 25 f.; Ordb. o. d. danske sprog I, 252; Hell-
quist, Svensk et. ordb.³ 2; Svenska akad. ordb. A-17.
Die dt. Mundarten von heute sind im allg. be-
redtes Zeugnis dafür, daß das ahd. Wort in sei-
ner Einbürgerung als Abseite f. und mit der Be-
deutung von ‚Seitenraum‘ in Profanbauten sich
vielfach im Ober- und Mitteldt. bis heute erhal-
ten hat, daß es im Ndd. als afsīd u. ä. ganz all-
gemein heute die zu beiden Seiten der Längs-
diele des niedersächs. Bauernhauses liegenden
Räume (oder Teile derselben) bezeichnet.
Schweiz. Id. VII, 1454; Ochs, Bad. Wb. I, 17 (in der
absiten 1391; uff der linken abseyt 1473); Fischer,
Schwäb. Wb. I, 68; Schmeller, Bayer. Wb.² II, 336 f.
(die Abseiten: ‚abgelegener Ort‘; ‚Gang oder Neben-
schiff‘); Christmann, Pfälz. Wb. I, 90; Vilmar, Id. von
Kurhessen 2; Woeste, Wb. d. westf. Mda. 15 (afsīd
‚Schuppen für Streu‘); Jungandreas, Ndsächs. Wb. I,
220 f.; Dähnert, Platt-Dt. Wb. 6; Kosegarten, Wb. d.
ndd. Spr. I, 149; Bretschneider, Brandenb.-berl. Wb. I,
77 f. (Afsiede ‚Verschlag‘); Kück, Lüneb. Wb. I, 30
(Afsīd); Scheel, Hamb. Wb. I, 75; Mensing, Schleswig-
holst. Wb. I, 85; Wossidlo-Teuchert, Meckl. Wb. I,
182 ff. (mit Abb.); Frischbier, Preuß. Wb. I, 12 (westpr.
awesīd ‚Anbau an Scheune oder Gebäude‘).