agana f. n- oder ō-St. ‚Granne, Ährenspitze,
Ähre, arista, festuca‘; ‚Halm, Stroh, Agen, Spreu,
palea, acus (-eris), peripsema‘, auch übertr.; ein-
mal, Gl. 3, 551, 43 ist es = agabere, vermutlich
der ‚Rittersporn‘ (PBB 59 [1935], 459) oder die
‚Karde‘ (→ agabere). 〈Var.: agan-, agen-, agina;
agan, agen; dazu einmal age Gl. 3, 557, 40; 14.
Jh., das wohl ein zu dem als Pl. empfundenen
agen neugebildeter Sg. ist〉. — Die mhd. Formen
sind agene st.f. und agen st.m. ‚Spreu‘, kontr.
ane, aine. — Nhd. heißt es noch Agen oder Ahne
‚Stengelsplitter vom Flachs oder Hanf‘.
Ahd. Wb. I, 59 f.; Starck-Wells 17; Graff I, 105. 132;
Schade 6; Lexer I, 27; Nachtr. 15; Benecke I, 13; Die-
fenbach, Gl. lat.-germ. 48 (arista). 232 (festuca). 546
(spica); Adelung, Gr.-krit. Wb. d. hd. Mda. I, 159; Dt.
Wb. I, 189 f.; Kluge²¹ 11 (Ähre).
Nach Schatz, Ahd. Gr. § 120, entspricht das
mittlere a von agana germ. -a-; über die Kon-
traktion von mhd. -age- zu -ai- oder -a- vgl.
Michels, Mhd. El.buch3—4 § 170 und Anm. 3.
Ahd. agana hat verwandte Formen in sämtli-
chen germ. Dialekten: as. agana, mndd. agen
(auch age); mndl. age, nndl. fries. agen. Für das
Aengl. verzeichnen die Wbb. ægnan pl. ‚Spreu,
Ährenspitzen, Kehricht, paleae, quisquiliae‘,
dazu den viel selteneren sg. egenu f. ō-St. mit
ausnahmsweise erhaltenem -u (Sievers-Brun-
ner, Ae. Gr.³ § 254, 2); die entsprechenden me.
Formen agene, agunes, au(e)nes, aw(u)n bezeich-
net Björkman, Scand. Loanwords in ME 110 f.
(ohne nähere Begründung) als skand. Einfuhr
(zum Wandel von g zu w s. Brunner, Engl. Spr.
312); ne. wird daraus awn, mdartl. ain
‚Granne‘.
Skand. lauten die Formen: aisl. ǫgn, nisl. ögn;
shetl. anns (< pl. agnar); nnorw. mdartl. agn,
agna, ogn; adän. agnæ, ndän. avn(e); aschwed.
aghn, nschwed. agn; auch finn. akana, livl. agàn
‚Kaff‘ (L. Kettunen, Liv. Wb. [Helsinki, 1938],
2), estn. (h)agan sind Lehnwörter aus dem
Nordischen in seinem östl. Teile, während das
Lapp. weiter im Nordwesten mit Formen wie
avdna, av’na wohl norw. Dialektvarianten wi-
derspiegelt. Vgl. Thomsen, Einfluß d. germ. Spr.
129; Quigstad, Nord. Lehnw. im Lapp. 96.
Das Got. hat — mit gram. Wechsel und zwar,
wie zu erwarten, der stimmlosen Variante —
ahana, einmal im Akk.Sg. bezeugt als Überset-
zung des gr. ἄχυρον ‚Spreu‘ (im übertr. Sinne,
Luk. 3, 17).
Fick III (Germ.)⁴ 7 f.; Holthausen, As. Wb. 1; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. I, 45; Verdam, Mndl. handwb. 31;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 5 (Aar); Vries, Ndls. et.
wb. 4 f. (aar¹); Outzen, Gl. d. fries. Spr. 4; Holthau-
sen, Ae. et. Wb. 10 (ægnan pl.). 89 (ėgenu); Bosworth-
Toller, AS Dict. Suppl. 14 (ægnan). 184 (ėgenu); ME
Dict. A—B, 525 (aun[e] ‚awns‘); OED I, 597; Vries,
Anord. et. Wb.² 685 (ǫgn); Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 357; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 38;
Jakobsen, Shetl. et. ordb. 13; Ordb. o. d. danske sprog I,
981; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 6 f.; Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 16 (ahana).
Die reiche Überlieferung des Wortes innerhalb
des germ. Sprachbereichs führt auf eine urg.
Grundform *ahanō, mit gram. Wechsel *aanō,
für die man idg. *aonā (**H₂eoneH₂) mit
wechselndem Akzent rekonstruiert. Auch au-
ßergerm. ist diese Wortbildung in vielen idg.
Einzelsprachen vertreten: aind. aśáni- ‚Pfeil-
spitze‘; av. asǝnga-, apers. aϑanga- ‚Stein‘ (<
*a-en-go- mit erweiterndem -g-Formans, s.
Benveniste, Origines 28), npers. ās (mit Dehn-
stufe) ‚Mahlstein‘, āsyāne ‚Wetzstein‘; gr. ἄκων
(-οντος < älterem *-ονος) ‚Wurfspieß‘, ἀκόνη
‚Wetzstein‘, ἄκανος hom. ‚Distelart‘, ἄκαινα
‚Spitze, Stachel‘ (< *ai̯ā; aber vgl. auch
Chantraine, Dict. ét. gr. 43), ἄκανϑος (<
*ἀκαν-ανϑος ‚Stachelblume‘[?], Kretschmer,
Einl. in d. gr. Spr. 403 Fn. 1, oder Umbildung
von ἄκανος analog zu ἄνϑος?); lat. (Carmen
Saliare) agna ‚Ähre‘ (< *anā); russ. osn ‚Sta-
chel, Spitze‘, sloven. tschech. osina ‚Granne‘; lit.
ašnìs ‚Schneide, Schärfe der Sense‘, lett. asns.
Walde-Pokorny I, 30; Pokorny 20; Mayrhofer, K. et.
Wb. d. Aind. I, 59; Horn, Grdr. d. npers. Et. Nr. 22;
Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 32 f.; Frisk, Gr. et. Wb. I, 50 ff.;
Chantraine, Dict. ét. gr. 43 ff. bes. Abs. 3; Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. I, 22 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét.
lat.⁴ 7 (acus, -eris); Vasmer, Russ. et. Wb. II, 248 ff.;
Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 15; Fraenkel, Lit. et. Wb.
18. — J. Schmidt, Die Wurzel ‚ak‘ (Weimar, 1865).
Die genannten Beispiele stellen — mit oder ohne Er-
weiterung — idg. -n-Ableitungen von einer Wz. dar,
die man im Hinblick auf ihre lautl. Reflexe im Aind.,
Iran., Slav. und Balt. gemeinhin als *a- (mit palata-
lem Verschlußlaut) rekonstruiert. (Zu den -s-, -l-, -r-
Ableit. → ah, ahil, horn, ehir). Dem widerspricht je-
doch, daß zumal im Balt. formal fast identische und
semantisch nahverwandte Bildungen vorliegen, die
auf eine idg. Wz. *ak- mit velarem Verschlußlaut zu-
rückzuführen sind: lit. akmuõ ‚Stein‘ (: ašmuõ
‚Schärfe‘), akstìs ‚spitzes Stöckchen, Räucherspieß‘,
ãkstinas ‚Stachel, Ochsenstecken‘ (aber aksl. ostьnъ
‚dss.‘), akúotas ‚Granne an der Gerstenähre‘, apreuß.
ackons ‚Granne‘ u. a. Zu diesen Überschneidungen
vgl. J. Schmidt, Zfvgl. Spr. 25 (1881), 114—35; Bechtel,
Hauptprobleme 346 ff. 360 ff. 372 ff.; Brugmann,
Grdr.², I, 545 ff.; Hirt, Idg. Gr. I, 238 ff. — Porzig,
Glied. d. idg. Spr. bes. 72—6; s. auch F. Kortlandt in Fi-
siak, Rec. Devel. in Hist. Phonology 237—43.
Dagegen wird sich der einstens von F. Kluge, wohl im
Hinblick auf gr. ἄχνη vorgeschlagene und auch von
H. Pedersen akzeptierte Ansatz einer idg. Wz. *akh-
nicht aufrecht erhalten lassen (F. Kluge, Zfvgl. Spr. 26
[1883], 88; H. Pedersen, ebd. 32 [1893], 247). Das
Schwergewicht der Belege spricht gegen *akh-, und
für gr. ἄχνη haben sich inzwischen andere Erklärun-
gen gefunden (< *ak-s-nā). — Für den Vokal der Wz.
*a- (*ak-) ergeben sich an Ablautsvarianten ā (vgl.
lat. ācer), o (gr. ὄκρις, umbr. ukar, gen.sg. ocrer, mir.
ochair; über das -o- vgl. E. Hamp, Studia celt. 8/9
[1973/74], 269 f.); ob auch langes o, wird bezwei-
felt; im Germ. jedenfalls sind diese Varianten nicht
vertreten.
Im landwirtschaftlichen Sprachgebrauch der
heutigen Mdaa. sind die Abkömmlinge von
ahd. agana noch sehr lebendig. Formen wie
āgen oder mit Kontraktion ain, ān u. a., auch
mit ein- oder vorgeschaltetem Nasal: angen, nā-
gen u. ä., nebst zahllosen Zss., werden fast in al-
len Mda.-Wbb. des obd. Sprachgebietes ver-
zeichnet; im Ndd. haben -l-Ableitungen die
Oberhand (→ ahil), wobei immer auch die
Möglichkeit eines relativ späten Wandels von
-n- zu -l- besteht (Fischer, Schwäb. Wb. I, 116).
Daraus ergibt sich für das Md., aber auch an-
derwärts, vielfach ein buntgewürfeltes Neben-
einander von -n- und -l-Varianten, wie es z. B.
die Karten 145—6 in Christmann, Pfälz. Wb. I
(Text 143 f.) oder in Maurer-Mulch, Südhess.
Wb. I, 168 f. (Karte 4) veranschaulichen.
S. ferner für mdartl. Formen auf -n-: Schweiz. Id. I,
127 f.; Martin-Lienhart, Wb. d. els. Mdaa. I, 20; Ochs,
Bad. Wb. I, 26; Fischer, Schwäb. Wb. I, 115 f.; Jutz,
Vorarlb. Wb. I, 55; Schmeller, Bayer. Wb.² I, 47;
Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. I, 109 f.;
Lexer, Kärnt. Wb. 4; Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. 9;
Schöpf, Tirol. Id. 6; Unger-Khull, Steir. Wortschatz
13; Crecelius, Oberhess. Wb. 19; Vilmar, Id. von Kur-
hessen 10; Müller, Rhein. Wb. I, 78; Hertel, Thür.
Spr.schatz 58; Kück, Lüneb. Wb. 38 (Ai’n neben
Ail’n) u. a.