andornAWB n. (m.?) a-St. (1) ‚weißer Andorn,
marrubium, prasion, eupatorium‘ (Marrubium
vulgare L.), (2) ‚schwarzer Andorn, schwarze
Taubnessel, ballota‘ (Ballota nigra L.), andere
Schreibungen sind ant(h)orn, antron, andron;
dazu kommt die Bildung *andarAWB, einmal antar
(8./9. Jh.), meist andor, jünger ander (13. Jh.) m.
n.(?) mit denselben Bed., alle nur in Gl. belegt.
— Mhd. lautet das Wort andorn, antorn, nebst
den verschiedensten Varianten (z. T. volksetym.
umgestaltet) wie aindorn, andren, andron, an-
tron, andor, doren. — Die frühnhd. Form ist an-
dern, nhd. Andorn.
Ahd. Wb. I, 516. 462 (andar); Starck-Wells 27 f.;
Graff I, 384; Schade 18; Lexer I, 57; Benecke I, 37;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 350; Dt. Wb. I, 316; Trüb-
ners Dt. Wb. I, 76; Kluge²¹ 17 („Ursprung dunkel“). —
Vgl. auch Marzell, Wb. d. dt. Pflanzennamen I,
535 ff.; III, 55 ff.
Das Wort findet sich als Erbwort nur auf dt.
Sprachgebiet, so as. andoren, mndd. andōrn n.;
nndl. andoren oder andoorn tritt erst so spät
auf, daß es ndd. Entlehnung verdächtig ist; si-
cher ist dies der Fall bei nschwed. andorn (seit
1578). Ob das oft herangezogene nfries. åndul
(ostfries. andel, schleswig-holst. [an] ‚Marsch-
gras‘) trotz der lautlichen und semantischen
Diskrepanzen hierher gehört, scheint höchst
zweifelhaft. So fehlt es bis heute an einer plau-
siblen etym. Erklärung, nur soviel steht fest: die
ndd. Formen mit -d- sowie die älteren ahd. Be-
lege mit -t- (später zu -d- nach n, s. Braune,
Ahd. Gr.¹³ § 163 Anm. 5) führen auf germ. -đ-
< idg. -dh- (vielleicht auch -t- nach unbetonter
Silbe) zurück.
Holthausen, As. Wb. 3; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 81; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I, 83 f.;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 18; Vries, Ndls. et. wb. 16;
Svenska akad. ordb. A—1360; Holthausen, Afries. Wb.
3; Bremisch-ndsächs. Wb. I, 17; Mensing, Schleswig-
holst. Wb. I, 119. Vgl. auch E. Schwentner, Zfvgl.Spr.
69 (1950), 244 und 71 (1953), 32.
Wohl sicher abzulehnen ist Anschluß an aind. andhá-
‚blind, dunkel‘, av. anda ‚dss.‘, denen man noch lat.-
gall. andabata ‚blindkämpfender Gladiator‘ zugesel-
len wollte; denn das würde voraussetzen, daß die
übertragene Bed. von dt. blind (oder taub) = ‚nur
anscheinend aber nicht wirklich so beschaffen‘ (oder
‚so funktionierend‘) auch für ein hypothetisches idg.
*andhó- gälte, wozu sich nicht der geringste Anhalt
bietet (W. Lehmann, IF 21 [1907], 192 f.). Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. I, 36; Bartholomae, Airan. Wb.
134; Fick II (Kelt.)⁴ 15; Dottin, Langue gaul. 227
(aber vgl. Walde-Pokorny I, 182; Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. I, 46).
Viel näher lag der Versuch, ahd. andorn/andar
auf den in gr. ἄνϑος ‚Blüte‘, ἀνϑηρός ‚blühend‘,
aind. ándhas- n. ‚Kraut, Somapflanze‘ (aber s.
Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. III, 628) vertre-
tenen s-St. idg. *ándhes- (**H₂éndhes-) zurück-
zuführen. Dabei müssen aber alb. ënde ‚Blüte,
bes. Blume des Weins‘ (< *andhōn oder <
*anjā?), wohl auch air. ainder f. ‚junge Frau‘,
nkymr. anner ‚Färse‘, akymr. enderic ‚vitulus‘
aus dem Spiele bleiben und erst recht toch. A
ānt, B ānte ‚surface, front‘.
Zwar scheint bed.mäßig ein so allgemeiner Be-
griff wie ‚Blüte‘ wenig geeignet zur Bez. einer
speziellen Pflanze, es sei denn, man hebt auf
den ungewöhnlichen Blütenreichtum des An-
dorns ab.
Was die Endung des ahd. Wortes anbelangt, so
hat R. Loewe, PBB 59 (1935), 255 f. und 318 die
Konsonantengruppe -rn- als eine Erweiterung
des -es-/-os-Stammes zu erklären versucht, <
*ándurna- < *andhǝs-nó-. Doch wird weder
der Ansatz von Schwa im Ablaut mit e: o noch
seine Entwicklung zu germ. u viel Glauben fin-
den; ja, selbst Loewes Annahme einer Lautent-
wicklung von germ. -zn- zu -rn- widerspricht
den häufigeren Fällen, in denen -zn- zu -nn-
assimiliert wurde (ahd. lirnên mit -rn- wohl un-
ter Einfluß verwandter Formen ohne -n- wie
lêra, s. Kluge, Urgerm.³ § 148 Anm. 3). Auch gr.
ἀνϑηρός, hinter dem man eine ältere Bildung
auf *-esro- vermutete (Chantraine, Formation
des noms en grec ancien 232), entfällt als Paral-
lele, da Schwyzer, Gr. Gram. I, 482 wohl mit
Recht darin eine relativ späte Bildung analog
zu bereits bestehenden -ηρός-Ableitungen
sieht. So scheint diesen Rekonstruktionen ge-
genüber Vorsicht geboten (s. M. Niedermann,
IF 37 [1916/17], 152; Brugmann, Grdr.² II, 1,
281 ist geneigt, sie aus Nominalstämmen auf -r-
zu erklären, die im Paradigma mit -n-Stämmen
wechselten).
Dasselbe gilt jedoch auch von dem Versuche,
das Verhältnis von -orn zu -or mit einem Hin-
weis auf horn: hor (s. d.) für geklärt zu erach-
ten: denn während das zusätzliche ausl. -n in
der Baumbez. horn sich aus dem Adj. ‚aus
Ahorn(holz)‘ herleitet, ist eine ähnliche Ablei-
tung bei einem Pflanzennamen wie Andorn
kaum denkbar. Ja, selbst der letzte Ausweg:
volksetym. Anlehnung an -dorn, die in verein-
zelten meist späteren Fällen gar nicht von der
Hand zu weisen ist, vermag nicht die Form des
ahd. Wortes zu erklären, in Anbetracht der
überwältigend zahlreichen und relativ frühen
Belege von andorn und anderen Formen auf -n,
und zwar für eine Pflanze, die bestenfalls we-
gen ihrer filzigen Behaarung zu dieser Art von
volkstümlicher Assoziation berechtigt.
Walde-Pokorny I, 67 f.; Pokorny 40 f.; Frisk, Gr. et.
Wb. I, 108 f.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ I, 62 f.; Lex. d.
frühgr. Epos I, 873 ff.; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind.
I, 36. 628; Meyer, Et. Wb. d. alb. Spr. 5; Vendryes,
Lex. ét. de l’irl. anc. A—76; Windekens, Le tokharien I,
15. 70. Auch in den Mdaa. von heute ist das Wort
noch lebendig: Schweiz. Id. I, 312; XIII, 1633 (s. v.
Dorn!); Ochs, Bad. Wb. I, 46 (áldȫǝrli pl.); Müller,
Rhein. Wb. I, 186; Christmann, Pfälz. Wb. I, 224 (an-
darn, edorn u. a.); Jungandreas, Ndsächs. Wb. I, 335.