*aostorskâlaAWB f. ō-St. ‚Austernschale‘, nur ein-
mal belegt im zweiten deutschen Basler Rezept
(Anf. 9. Jh.), und zwar als gen.sg. rhoz aostorsca-
lala ‚Schleim einer Austernschale‘, einem ver-
meintlichen Heilmittel gegen Krebs, s. Stein-
meyer, Spr.denkm. 39, 21; das Stück hat, wie
R. Koegel, Lit.gesch. I, 497 ff. und ihm folgend
Steinmeyer, a.a.O. 42, vermuteten, ein Angel-
sachse, der des Deutschen wenig mächtig war,
aus einer ahd., wahrscheinlich bair. Vorlage ab-
geschrieben. Trotz zweifacher Fehlschreibung
kann kein Zweifel sein, daß es sich um eine Zss.
handelt aus ahd. *ostor ‚Auster‘ und -skâla
‚Schale‘ (s. d.).
Ahd. Wb. I, 612; Schützeichel³ 10.
Der erste Teil des Komp. ist ein Lehnwort aus
lat. ostreum, mlat. meist ostrea f. (wohl aus dem
N.Pl. des griech. Prototyps, s. u.), das spätmhd.
noch einmal als oster erscheint in Konrad von
Megenbergs Buch der Natur (um 1350), einer
Verdeutschung des Liber de Natura Rerum
(1233—48) von Thomas Cantimpratensis: Ostrea
haizt ain oster, daz ist ain mervisch 256 Z. 5 ff.
(hrsg. von F. Pfeiffer [Stuttgart, 1861]). Das
Wort wurde in frühnhd. Zeit ein zweites Mal
entlehnt und zwar aus mndl. oester, auch oestre,
woester (mit einem vor -st- mdartl. gedehnten
Stammvokal, vgl. Meer, Hist. Gr. d. ndl. Spr.
§ 49 und 169, sowie N. van Wijk, Tijdschrift 27
[1908], 163 f.), dazu oesterschale, nndl. oester, ge-
sprochen [u:stǝr], woraus sich ndd. und
frühnhd. ūster (so bei Fischart 1575) und mit
analogisch-nachträglicher Diphthongierung ou-
ster, auster ergab (zuerst belegt 1587, s. auch G.
Henisch, Teütsche Sprach und Weißheit [Augs-
burg, 1616; Neudr. 1973], 156: „Awstern/
Ostern, Schalfisch“); doch gehen allerlei ge-
lehrte Entlehnungen wie ostria, ostreen pl. noch
weiterhin nebenher.
Lexer II, 176; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 403 (ostrea);
Götze, Frühnhd. Gl.⁶ 171. 221 (uster); Dt. Wb. I, 996;
Kluge²¹ 41. — Verdam, Mndl. handwb. 389; Franck,
Et. wb. d. ndl. taal² 466; Vries, Ndls. et. wb. 479.
In Anbetracht des in lat. ostrea zugrundeliegen-
den kurzen o- bleibt die Schreibung von ahd.
aostor- mit anl. ao- noch immer befremdlich:
man wird hier mit einer Entgleisung des Schrei-
bers zu rechnen haben, ähnlich dem verun-
glückten gaotes (= ‚dei‘) statt got thes in der
Hs. A der Exhortatio (s. Steinmeyer, Spr.denkm.
50, 37 und 53 f.; MSD³ I, 201 Z. 17; II, 324)
oder der Form haodon pl. ‚Hoden‘ mit etym.
kurzem -o- in Ra (Steinmeyer-Sievers, Ahd.
Gl. 1, 232, 34; dazu J. Franck, AfdA. 11 [1885],
21); mißverstandene Identifizierung mit ähn-
lich klingenden Wortformen, etwa ahd. ôstar,
abair. aostar (< *austr-), mag ihr Teil dazu
beigetragen haben (s. Braune, Ahd. Gr.¹³ § 32
Anm. 7. 45 Anm. 1—3; Schatz, Abair. Gr. § 12
[Aostargaoz, -muntinga, -pald] sowie S. Singer,
PBB 11 [1886], 307).
Auch ins Aengl. hat das lat. Lehnwort Eingang gefun-
den, ostre f. (dazu sǣostre sowie osterscill ‚Austern-
schale‘, osterhlāf ‚Auster in Brothülle‘, s. O. B. Schlut-
ter, Zfdt.Wortf. 14 [1912], 139 f.) und daraus entlehnt
anord. ostra (s. Fischer, Lehnw. d. Awestnord. 49),
nisl. norw. dial. ostra, schwed. ostron pl. (schwerlich
aus dem Dt., wie Hellquist will, Svensk et. ordb.³ 740),
während dän. østers auf mdartl. ndd. östers zurückge-
hen dürfte (s. Mensing, Schleswig-holst. Wb. III, 923);
allerdings kam es im Engl. später zu einer abermali-
gen Entlehnung des Wortes, diesmal über afrz. oistre
zu me. oistre, oestre, ne. oyster. — Übrigens lebt der
mlat. Prototyp auch in allen anderen roman. Spra-
chen weiter, daher span. port. ostra, katal. ostria, ita-
lien. ostrica (älter ostria), frz. huître (seit dem 16. Jh.),
— Formen, die allesamt auf kurzes o- zurückweisen;
desgl. gehen die kelt. Wörter darauf zurück: akorn.
mbret. estren, nbret. histr, nkymr. wystrysen, nir. oisre;
dagegen wurden die slav. Bezeichnungen, etwa russ.
ústrizy pl. (älter ústersy), dazu ústriza sg. zur Zeit Pe-
ters des Gr. aus dem Niederländischen entlehnt (vgl.
R. v. d. Meulen, Tijdschrift 29 [1910], 254 f.).
Holthausen, Ae. et. Wb. 243; Bosworth-Toller, AS
Dict. 768; Suppl. 677; Stratmann-Bradley, ME Dict.³
464; OED VI, 1, 354 f.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 639;
Vries, Anord. et. Wb.² 421; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
1105; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 217; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1424 (østers); Torp, Ny-
norsk et. ordb. 480; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 740. —
Meyer-Lübke, Roman. et. Wb.³ Nr. 6119; Körting,
Lat.-rom. Wb.³ Nr. 6755; Wartburg, Frz. et. Wb. VII,
442 f.; G. Gröber, Arch. f. lat. Lex. 4 (1887), 424. — Pe-
dersen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. I, 194; Dict. of Irish
O—128; Henry, Lex. ét. du breton mod. 164. — Vasmer,
Russ. et. Wb. III, 192; Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr.
228.
So scheint die Auster, deren Genuß als Nah-
rungsmittel in Nordeuropa durch die sog.
Kjökkenmöddinger schon für frühgeschichtli-
che Jahrhunderte bezeugt ist — ohne daß sich
eine altererbte Bezeichnung erhalten hätte — in
neuerer Zeit und zwar vom östlichen Mittel-
meer ausgehend den Völkern Europas ein zwei-
tes Mal bekannt geworden zu sein (vgl. Schra-
der, Reallex. d. idg. Alt.² I, 67). Denn lat. ost-
reum (oder ostrea f.) ist seinerseits eine Entleh-
nung von gr. ὄστρε(ι)ον (bzw. ὄστρε[ι]α pl.)
‚Auster, Schalentier‘, s. Schwyzer, Gr. Gram. I,
518. Das Wort ist eine Ableitung der fast in al-
len idg. Sprachen vertretenen Wz. *os-
(**H₃es- oder viell. **H₂os-, o-Stufe einer Wz.
**H₂es-), meist mit Dentalformans -t(h)- im
Sinne von ‚Knochen, Gebein(e)‘, die ob ihrer
heteroklitischen Erweiterungen schon früh zu
morphologischen Spekulationen Anlaß gegeben
hat, vgl. J. Schmidt, Idg. Neutra 109 f. 247 ff.;
ders., Zfvgl.Spr. 32 (1893), 390; H. Pedersen,
ebd. 255; Benveniste, Origines 6 f.; Specht, Ur-
sprung d. idg. Dekl. 74; E. P. Hamp, Word 9
(1953), 137 ff. mit laryngaltheoretischen Erwä-
gungen (aber s. auch ders., Ricerche Linguistiche
6 [1974], 231 ff.). Hierher gehören: aind. ásthi
n., gen. asth-n-áḥ, av. ast-, asti- n., gr. ὀστέον,
dazu ὀστακός m. (< *ost-k-ós) ‚Meerkrebs‘,
semantisch eine Parallele zu ‚Auster‘ (s.
H. Osthoff, BB 24 [1899], 157 f.; K. Brugmann,
IF 19 [1906], 399; W. Schulze, Zfvgl.Spr. 43
[1910], 380) sowie gr. ὄστρακον ‚harte Schale,
Scherbe‘, lat. os, gen. ossis (< *ost-? Sommer-
Pfister, Lat. Laut- u. Formenlehre⁴ 205), venet.
ostiiakon = ‚ossuarium‘ (Gebeinurne), s. F.
Sommer, IF 42 (1924), 112; alb. ašt, aštë, arm.
oskr, kymr. asgwrn, korn. ascorn, bret. askourn,
und seit E. Benvenistes Identifizierung, BSLP
33 (1932), 139, heth. ḫaštāi n. ‚Knochen, Wider-
standskraft‘; die Form āst- in Toch. B ist von
A. J. van Windekens, Zddt. Morgenl. Ges. 110
(1960), 314 ff. als sakisches (miran.) Lehnwort
erwiesen worden.
Walde-Pokorny I, 185 f.; Pokorny 783; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. I, 67; Bartholomae, Airan. Wb.
211 f.; Frisk, Gr. et. Wb. II, 436 ff.; Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. II, 225 f. 228; Meyer, Et. Wb. d. alb. Spr.
19; Hübschmann, Arm. Gr. I, 482; Bugge, Beitr. z. Er-
läuterung d. arm. Spr. 18 Anm.; Pedersen, Vgl. Gr. d.
kelt. Spr. I, 85; A. Fick, BB 2 (1878), 341; Tischler,
Heth. et. Gl. 202 f. (Bibl.).