aroAWB m. n-St., ‚Adler, aquila‘; zweimal ‚großer
Raubvogel, Weihe, milvus‘ 〈Var.: are und ar,
meist in späteren Hss.; einmal aer Gl. 3, 22, 57,
14. Jh. [für are?]〉, daneben arn¹AWB m. i-St. 〈einmal
nom. sg. Gl. 4, 356, 31, 9. Jh.; einmal nom. pl.
erni Tatian 147, 5; nicht eindeutig sind arn (in
3 späten obd. Hss.) und arh (für arn?): insofern
sie einen lat. Sg. als Lemma haben, könnten
diese Formen einen Nom. Sg. von arn vertre-
ten, der aber fast nur md. und ndd. begegnet,
oder sind sie ein später Nom. Pl. zu aro?〉. —
Auch mhd. gehen die sw. Formen von ar(e)
noch neben den st. von arn her, werden aber
vom 13. Jh. an immer mehr durch die Zss. ade-
lar(e) (s. d.), ad(e)ler verdrängt, bis sich in der 2.
Hälfte des 18. Jh.s Aar als poetisches Wort wie-
der einzubürgern beginnt; Luther hat nur Ad-
ler.
Ahd. Wb. I, 661; Schützeichel³ 11 (arn¹); Starck-
Wells 34; Graff I, 432; Schade 29; Lexer I, 87 (ar). 95
(arn); Benecke I, 48 f.; Dt. Wb. I, 5; Kluge²¹ 1. — Zu
Aar-Adler vgl. F. Kluge, ZfdPh. 24 (1892), 311 ff.; A.
Jeitteles, ebd. 29 (1897), 177 f.; K. v. Bahder, PBB 22
(1897), 520 ff. — S. auch Suolahti, Dt. Vogelnamen
345 ff.
Ahd. aro/arn hat Entsprechungen in sämtlichen
germ. Dialekten, doch wiederum so, daß die
Formen mit -n je weiter nördlich desto aus-
schließlicher zur Geltung gekommen sind (so
schon J. Grimm, Dt. Gr.a II, 156 sowie die Über-
sicht bei E. Gutmacher, PBB 39 [1914], 26
Anm. 4): as. arn- nur in EN nachzuweisen wie
Arnahurst a. 890 (Westfalen, s. Förstemann,
Adt. Namenbuch2—3 II, 1, 180 — im Gegensatz
etwa zu Araberga a. 885 (Südbaden, Förste-
mann, ebd. II, 1, 181 mit Fugenvokal -a- wie in
Ara-frid, Braune, Ahd. Gr.¹³ § 62 Anm. 4), mndd.
ārn(e), ār(e)nt u. ä.; mndl. āren, aern, ārent, nndl.
ārend; afries. earn; ae. earn, me. ērn, auch eern,
eren u. ä., ne. (veraltet) erne; im Skand., wo
heute gleichfalls die Formen mit -n sich
hochsprl. durchgesetzt haben, nnorw. ndän.
ørn, nisl. nschwed. örn, und schon anord. ǫrn,
fehlt es nicht an Parallelen zu ahd. aro, zumal
dichterisch und in EN, aisl. ari und Ari (Fróði)
sowie mdartl. norw. und schwed. are. Hierher
gehört auch got. *ara (einmal im nom. pl. arans
belegt), während in langob. EN nur Formen mit
-n- begegnen: Arnefrit, Arnualdus, Arnolfus u. a.
So ist man geneigt, die Doppelformen des
Germ. auf einen ursprl. kons. n-St., wie er bei
alten Vogelnamen sehr häufig begegnet (Suo-
lahti, Dt. Vogelnamen XX f.), zurückzuführen,
also *ar-n-, der genau wie germ. *ber-n- ‚Bär‘,
ahd. bero (s. d.) entweder nach dem Muster von
haso, -in (lat. homo, -inis) dekliniert oder, wie
die meisten kons. St., zu den thematischen
übergeführt und mit Beibehaltung des -n auch
im Nom. Sg. nach dem Muster der a- oder i-
oder u-St. behandelt wurde: ae. nom. sg. earn
(< *arn-a-z), ahd. nom. pl. erni, anord. akk. pl.
ǫrnu (< *arn-u-nz) (Bülbring, Ae. El.buch
§ 132; Braune, Ahd. Gr.¹³ § 216 Anm. 1; Noreen,
Aisl. Gr.⁴ § 395). Auch das schon von Thomsen
notierte (Einfluß d. germ. Spr. 103 Anm. 4. 131),
aus dem Nordgerm. entlehnte schwed.-lapp. ar-
nes [àrtnǝs] ‚aquila‘ wird von K. B. Wiklund auf
*arnus zurückgeführt (Le monde oriental 5
[1911], 249).
Fick III (Germ.)⁴ 17; Holthausen, As. Wb. 4; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 123; Verdam, Mndl.
handwb. 44; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 20; Vries,
Ndls. et. wb. 19; Holthausen, Ae. et. Wb. 86 (earn);
Bosworth-Toller, AS Dict. 234; Suppl. 173; ME Dict.
E—F, 227; OED III, 2, 273; Vries, Anord. et. Wb.² 13
(ari). 688 (ǫrn); Jóhannesson, Isl. et. Wb. 36. 62 f.;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 6. 358; Egilsson-
Jónsson, Lexicon poeticum² 15; Falk-Torp, Norw.-
dän. et. Wb. 1422 f.; Torp, Nynorsk et. ordb. 884 f.;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1466; Feist, Vgl. Wb. d.
got. Spr. 54 f.; Bruckner, Spr. d. Langob. 227.
Außergerm. stimmt formal am besten zu ahd.
aro/arn das gr. ὄρνις (mit -Ableit.), allerdings
in dem Sinne von ‚Vogel, Hahn, Henne‘, eine
semantische Verallgemeinerung, die im Arm.
und in späteren mdartl. Reflexen des ahd. Wor-
tes ihre Gegenstücke findet (s. u.). An die Stelle
von ὄρνις (akk. ὄρνιν) traten noch in klass.
Zeit die durch ein θ- (dor. χ-) Morphem erwei-
terten Formen mit langem -ī- (eine noch immer
unerklärte Alternation): ὀρνῑθ- bzw. ὀρνῑχ-;
dazu kam umgangssprachlich eine zunächst
wohl gattungsbezeichnende Adj.bildung ὄρ-
νεον (< *ὄρνεi̯ον, s. Risch, Wortbildung d.
hom. Spr. 122). Diesen Formen am nächsten
steht heth. ḫara-š ‚Adler‘ (< *ḫaran-š wie μέ-
λᾱς < *μελανς) mit analogischem nom. sg. -š
(s. A. Goetze, Pedersen-Festschrift 491 und
Schwyzer, Gr. Gram. I, 569) sowie mit anl. La-
ryngal (s. Sturtevant-Hahn, Comp. Gr. of Hitt.
§ 58. 66. 72: Indo-Heth. *γorn-; Lehmann, PIE
Phonology § 3, 4 A. 4; Beekes, Develop. of PIE
Laryngeals 130); dazu kommt der gen. sg. ḫa-
ran-aš u. a. sowie das Adv. ḫaranili ‚in Adlers
Weise‘, die beide das Alter des n-St. bestätigen.
Zusammen mit der gr. und germ. Überlieferung
legen diese aufschlußreichen heth. Belege einen
idg. Ansatz *or-(e/o)n- nahe (Frisk, Gr. et. Wb.
II, 422; Benveniste, Origines 24), während der
frühe Versuch von H. Ebel (Zfvgl. Spr. 5 [1856],
66), das Wort auf eine Wz. *er-: *or- ‚in Bewe-
gung (auch ‚in die Höhe‘) bringen‘ zurückzu-
führen, als verfehlt betrachtet werden muß.
Nicht mit -n-, sondern mit -r- oder -l-Erweiterung
dient dieselbe Wz. zur Bezeichnung des ‚Adlers‘ im
Arm. und Kelt. bzw. in den slav. und balt. Sprachen.
So gehen akymr. eryr, nkymr. erer, akorn. er, mbret.
erer, nbret. er sowie air. irar, mir. ilar, nir. iolar (mit
Dissimilation, R. Thurneysen, Zfvgl. Spr. 48 [1918],
61) auf urkelt. *eri/u-r-os zurück, und arm. oror, urur
‚Möwe, Weihe, größerer Vogel überhaupt‘ wohl auf
älteres *oru-r-os. Das charakteristische Formans der
slav.-balt. Verwandten ist -l-, wobei es nicht ausge-
macht ist, ob man von einer ursprl. Suffixvariante
ausgehen (so Schulze, Kl. Schriften 75 ff.; Specht, Ur-
sprung d. idg. Dekl. 47 Anm. 1. 245) oder auch hier mit
einer — allerdings sehr weit zurückreichenden und
sehr weittragenden — Dissimilation rechnen soll (so
Meillet, Études sur l’ét. du v. slave 418; R. Thurneysen,
a.a.O.); es heißt aksl. orьlъ, russ. orël, poln. orzeł; lit.
erẽlis, lett. rglis (wohl aus *ēr(d)lis, Endzelin, Lett.
Gr. § 116 c), apreuß. *arelis (für überlief. arelie) (<
urbalt. *ereli̯a-). — Dagegen gehört npers. āluh ‚Ad-
ler‘, von Walde-Pokorny II, 362 f. mit Recht zur Wz.
*reg̑- gestellt, nicht hierher, trotz Horn, Grdr. d.
npers. Et. 10; vgl. dazu Hübschmann, Pers. Studien 8.
Auch urnord. erilaR, ae. eorl, as. ahd. erl ‚vornehmer
Mann‘ bleibt wohl fern, trotz C. C. Uhlenbeck, PBB
33 (1908), 183 und anderen, die darin eine semanti-
sche Parallele sehen zu ae. eofor: anord. jǫfurr ‚Eber‘
und ‚Fürst‘.
Walde-Pokorny I, 135; Pokorny 325 f.; Frisk, Gr. et.
Wb. II, 422; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 714; Chantraine,
Dict. ét. gr. 822 f.; ders., Form. des noms gr. 62. 366.
377; Hofmann, Et. Wb. d. Gr. 238; F. Robert, Nieder-
mann-Festschrift 67 ff.; Schwyzer, Gr. Gram. I, 464.
496. 510; Tischler, Heth. et. Gl. 170 f.; Kronasser, Et.
d. heth. Spr. 195; Ch. L. Mudge, Lang. 7 (1931), 252;
Pedersen, Hittitisch 41 f. — Fick II (Kelt.)⁴ 39; Peder-
sen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. I, 491; Henry, Lex. ét. du bre-
ton mod. 115. — Vasmer, Russ. et. Wb. II, 276; Traut-
mann, Balt.-Slav. Wb. 13; Fraenkel, Lit. et. Wb. 122;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. I, 575; Traut-
mann, Apreuß. Spr.denkm. 302.
In den dt. Mdaa. von heute hat das Wort, das
mit dem fortschreitenden Aussterben des Tieres
weitgehend in Abgang gekommen ist, als Sim-
plex nur ganz vereinzelt noch Spuren hinterlas-
sen, so im Kanton Wallis der Schweiz, Schweiz.
Id. I, 386 (aro; übertr. ari ‚Wucherer‘). In den
übrigen Mda.wbb. wird es entweder als „erlo-
schen“ bezeichnet, oft mit einem Hinweis auf
das hochspr. Adler, oder es fehlt ganz — mit
Ausnahme von Zss. wie Fischaar, Gansaar,
Mausaar, Stockaar. Im Ndsächs., wo das Wort,
ar(e)nd, gleichfalls als „selten“ notiert wird, hat
es außerdem die Bed. eines männlichen Vogels
angenommen, wie ‚Täuberich, Enterich, Gänse-
rich‘, vgl. Jungandreas, Ndsächs. Wb. I, 15. 479
(ar[e]nd); Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I, 128
(gōs-arent).
S. auch arin.