atuhAWB m. a-St. ‚Attich, ebulus, -um, meatix‘ (für
[ca]meactis = gr. χαμαιάκτη s. Gl. 3, 476, 1
Fn.) (Zwergholunder, Sambucus ebulus L.); auch
auf andere Gewächse übertragen wie corian-
drum, nigella, euphorbium 〈Var.: atuch, -o(c)h;
vom 12. Jh. an auch ath-, att-; -a(c)h, -ech, -ich;
in rheinfrk., mfrk. und ndd. Hss. auch ad-〉; da-
neben ist vom 12. Jh. an mehrfach ein m. n-St.
atichoAWB 〈Var.: -iche, -[e]che〉 belegt, fast immer
neben atuh der Parallelhss. und mit derselben
Bed. — Im Mhd. lautet das Wort meist atich,
atech st. m. — Nhd. Attich.
Ahd. Wb. I, 698 ff. 687 f. (aticho); Starck-Wells 36 f.;
Graff I, 153; E. Björkman, Zfdt. Wortf. 6 (1905), 177;
Lexer I, 103; Benecke I, 66; Dt. Wb. I, 595; Kluge²¹
35. — Vgl. Marzell, Wb. d. dt. Pflanzennamen IV, 57 ff.
Das Wort ist im Grunde aufs Westgerm. be-
schränkt: as. aduk, mndd. aduc, adi(c)k, adek(e);
mndl. adic, auch adec, nndl. had(d)ig, hadik;
dazu aus dem Dt. entlehnt ndän. attik,
nschwed. attig.
Holthausen, As. Wb. 1 (mit falscher Etym.); Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 15. 128; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 13; Verdam, Mndl. handwb. 7;
Ordb. over d. danske Sprog I, 944; Svenska akad. ordb.
A—2637 f.
Außergerm. schien sich erst recht keine entspre-
chende Wortform zur etym. Erklärung zu bie-
ten, und doch gab J. Grimm schon 1847 in einer
Abhandlung über den gall. Arzt Marcellus Bur-
digalensis (5. Jh.), und zwar bei der Erörterung
von De Medicamentis (hrsg. von G. Helmreich,
Leipzig, 1889), VII, 13 S. 54: Herba, quae Graece
‚acte‘, Latine ‚ebulum‘, Gallice ‚odocos‘ dicitur den
treffenden Hinweis: „ahd. atah, nhd. attich ‚ebu-
lum‘ ist sichtbar jenes odocos, doch nur einmal
lautverschoben.“ (Kleinere Schriften II, 121 ff.)
Lautform, Bedeutung und vor allem die geogra-
phische Verbreitung entlang dem Westsaum
des frühgerm. Sprachgebiets legen nahe, in ahd.
atu(c)h nicht wie A. Cuny (MSLP 16 [1909/11],
327 ff.: < urg. *ađuχaz/*ađaχaz) ein Erbwort,
sondern eine Entlehnung des im Gallo-Roman.
vielgebrauchten Wortes (über ein Dutzend Be-
lege allein im Corp. gloss. lat. III mit Formen
wie odic-, odec-, educ-, ebuc-) zu erblicken, mit
„einmal verschobenem“ hd. -t- für gallo-ro-
man. -d- und mit anl. a- als Lautsubstitution
für o, wie in ahd. Magunzo für Moguntiacum
(Förstemann, Adt. Namenbuch2—3 II, 2, 308 ff.)
oder nhd. Wasgen(wald) für Vosegus (Bach, Dt.
Namenkunde II § 431, 1) u. a. Das gall. Wort er-
scheint in ähnlichem Zusammenhang bei Dio-
skorides, De simplicibus medicinis (hrsg. von
M. Wellmann, Berlin, 1906, IV, 172, allerdings
in der korrupten Schreibung δουκωνέ, die
schon der Herausgeber aufgrund sonstiger
Überlieferungen in *oduco-nem emendierte;
weitere Formen bei J. Schmidt, Hermes 18
(1883), 544 Nr. 437. Von späteren roman. Re-
flexen seien prov. olegue (seit 13. Jh.), Lyon ugo,
span. yezgo (< *educus) angeführt.
Holder, Acelt. Spr. II, 834; Dottin, Langue gaul. 276;
Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ 496 Nr. 6039; Wartburg,
Frz. et. Wb. VII, 325. — A. Thomas, Nouveaux essais de
philologie française (Paris, 1904), 305 ff.; J. Jud, Zfrom.
Ph. 38 (1914/17), 57 Fn.; J. Brüch, IF 39 (1921), 122.
Kein Zweifel, ahd. atuh geht auf dem Weg übers Kel-
tische letzten Endes auf idg. *odh- zurück, die o-
Stufe einer Wz. *edh- ‚stechen‘, die mit einer -l-Er-
weiterung sowohl in lat. ebulus, -um ‚Zwergholunder‘
(inl. -b- < -dh- vor l wie in stabulum < *stablom <
*stǝdh-lom, Sommer-Pfister, Lat. Laut- u. Formenlehre
I, 139; vgl. auch M. Niedermann, Meillet-Festschrift
100) wie auch im Balt.-Slav. wiederkehrt: serb.-ksl.
jela (< *ed[h]la), atschech. jedla, poln. jodła, bulg.
elá, russ. jel’, sowie lit. ẽglė, lett. egle (mit -g- < -d-, s.
Wiedemann, Handb. d. lit. Spr. § 66; Schmalstieg,
Stud. in OPruss. 123; V. Kiparski, Altpreuß. Miszellen:
Donum Balticum [Stockholm, 1970], 260 f.), apreuß.
addle ‚Tanne‘. Zu der idg. Wz. *edh- ‚stechen‘ gehö-
ren wohl auch die Iterativa lit. adýti ‚sticken‘, lett.
adīt (a- < o- im Ablaut mit e-), lit. ãdata ‚Nähnadel‘;
zweifelhaft ist die Zugehörigkeit (mit Reduktions-
stufe) von gr. ἀθήρ ‚Hachel, Lanzenspitze‘ und lat.
ador ‚Spelt‘ (< *ьdhor- ‚das Grannige‘). Vgl. etar.
Pokorny 289 f.; Walde-Pokorny I, 121 (unzuläng-
lich); Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 388 f. (ebulus);
Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 190; Trautmann, Balt.-
Slav. Wb. 66; Berneker, Slav. et. Wb. I, 261; Vasmer,
Russ. et. Wb. I, 398; Fraenkel, Lit. et. Wb. 117 f.;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. I, 11 (adīt);
Trautmann, Apreuß. Sprachdenkm. 296. — Frisk, Gr. et.
Wb. I, 28 (ἀθήρ); Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 39 (ἀκτέα zu
ahd. attah! vgl. aber Nachtr. 1091); Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. I, 14 (ador).
Abzulehnen ist die in manchen Handbüchern und
sonst noch immer grassierende Herleitung aus lat.
actē ‚Holunder‘ (nach Plinius, Nat. Hist. XXVI, 73
schon im Altertum vielfach mit lat. ebulus gleichge-
setzt), die durch vermeintliche Parallele zur Entwick-
lung von nhd. Lattich aus lat. lactūca zum Ansatz ei-
nes nirgendwo belegten *actuca oder gar *actica
führte; es findet sich jedoch von diesen Konjekturen
noch auch von irgendwelchen späteren roman. Refle-
xen eines lat. actē keine Spur; dazu fehlt im Dt. jeder
Umlaut, und die Doppelung des -t- ist relativ spät (s.
o.).
Die dt. Mdaa. von heute zeigen — neben hochsprl.
Entlehnungen — Formen mit Umstellung von Dental
und Guttural. Vgl. Schweiz. Id. I, 166 (Akten, Akken,
aber Rückführung „auf lat. actē, actix ist schon laut-
lich unstatthaft“); Fischer, Schwäb. Wb. I, 349 (Attich,
sogar Lattich!); Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa. in
Österr. I, 424 f.; Müller, Rhein. Wb. I, 292 (Atch,
Acht); Woeste, Wb. d. westf. Mda. 3 (åk).