bôsiAWB adj. ja-St., Gl., Notker: ‚wertlos, un-
gereimt, läppisch, schwach, vilissimus, inep-
tus, frivolus, fragilis, imbellis, infirmus, igna-
vus‘ 〈Var.: p-; -oe-, -oi- (12.—14. Jh.)〉. — Mhd.
bœse, bôse ‚böse, schlecht, gering, wertlos‘;
nhd. böse (auch mdartl. reich belegt).
Ahd. Wb. I, 1270 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 89; Schütz-
eichel⁴ 79; Starck-Wells 70; Graff III, 216; Schade 80;
Lexer I, 330; Benecke I, 224 f.; Dt. Wb. II, 248 ff.;
Kluge²¹ 93; Kluge²² 99; Pfeifer, Et. Wb. 203. — Fi-
scher, Schwäb. Wb. I, 1303 ff.; Schweiz. Id. IV,
1705 ff.; Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa. in Österr.
III, 653 ff.
Entsprechende Adj. fehlen in den anderen alt-
germ. Dialekten und sind später nur im Dt.,
Ndl., Fries. und wohl auch Norw. belegt: mndd.
bös(e) ‚böse, schlimm, krank, schlecht, grim-
mig, zornig‘; mndl. boos, bose ‚böse, schlecht,
gering‘, nndl. boos ‚böse, schlecht, zornig‘; aost-
fries. bāsa, bās- in bāsa feng, bāsfeng ‚unzüchti-
ger Griff‘, nostfries. bāsfeng (unerklärt ist
awestfries. bōse ‚schlecht‘ [Richthofen, Afries.
Wb. 663], nwestfries. boas [Dijkstra, Friesch
Wb. I, 205], denn urgerm. *au [> ahd. ô] >
afries. ā [Siebs, Gesch. d. fries. Spr. § 60]; viell.
aus dem Mndd. oder Mndl.?); wohl hierher
auch nnorw. baus ‚stolz, keck‘ (zur Bed. s. u.);
dagegen ist nschwed. bös aus dem Mndd. ent-
lehnt.
Fick III (Germ.)⁴ 276; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 331; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
401 f.; Verdam, Mndl. handwb. 109; Franck, Et. wb.
d. ndl. taal² 83; Suppl. 24; Vries, Ndls. et. wb. 78;
Holthausen, Afries. Wb.² 5; Richthofen, Afries. Wb.
1163; Helten, Lex. d. Aostfries. 26; Falk-Torp, Norw.-
dän. et. Wb. 54 f. 1436; Torp, Nynorsk et. ordb. 18;
Svenska akad. ordb. B-4918. — E. Wadstein, PBB 22
(1897), 238 ff.
Die Etym. des aus diesen Wörtern zu erschlie-
ßenden urgerm. *aus- macht deshalb Schwie-
rigkeiten, weil die ursprl. Bed. des Wortes um-
stritten ist. Vom Adj. bôsi allein ausgehend wäre
wohl eine Urbed. ‚gering, wertlos‘ anzusetzen
(so u. a. Trübners Dt. Wb. I, 398 ff.; M. Sza-
drowsky, PBB 62 [1938], 8). Vergleicht man je-
doch die verschiedenen Bed. der verwandten
ahd. Wörter: bôsa f. ō-St. ‚Possen, läppisches
Treiben, nugae‘ (auch im As. belegt), bei Otfrid
auch ‚Trotz, Härte‘ (vgl. Kelle, Otfrid III, 55);
bôsi n. ja-St. ‚läppisches Treiben‘, auch ‚hämi-
sche Krittelei, nenia‘; bôsheit f. ‚eitle, prahleri-
sche Wesensart, vanitas‘; bôsri n. ‚Schwätzer,
leichtfertiger, ausschweifender Mensch, nuga-
tor‘; bôsôn sw. v. II ‚dummes Zeug reden, nuga-
ri; gotteslästerlich reden, blasphemare‘ (s. d. d.),
wie auch das nnorw. Wort (s. o.), so gelangt
man zu einem breiteren Grundbegriff, etwa ‚ei-
tel, vānus‘ (in beiden Bed. dieser Wörter). Be-
stätigt wird diese Deutung auch durch die aus
agerm. *bausōn, *bausjan (ahd. bôsôn) entlehn-
ten roman. Wörter: aprov. bauzar ‚tromper, dé-
rober, agir frauduleusement‘, bauza ‚tromperie,
trahison‘, nfrz. emboiser ‚séduire par des cares-
ses artificieuses‘ usw. (Ohne Begründung gibt
E. Karg-Gasterstädt, PBB 65 [1941], 186 die
ursprl. Bed. als ‚heftig, übermütig‘ an.)
Unsicher bleibt, welche Bed. die ursprl. war:
‚aufgeblasen, prahlerisch‘ > ‚nichtswürdig, ei-
tel‘ oder, wie bei lat. vānus, umgekehrt: ‚leer,
wertlos, eitel‘ > ‚von eitler, prahlerischer We-
sensart‘. Die lat. Parallelen (vānus, inānis), wie
auch die spätere Entwicklung von dt. eitel, be-
weisen, daß die beiden Bed. in eínem Wort zu-
sammenkommen können; man braucht nicht
(wie Trübner, a. a. O.) an „eine Mischung ganz
verschiedener Wörter“ zu denken.
Wenn man mit der Grundbed. ‚eitel, wertlos‘
anfängt, sind wohl mndd. bōsse ‚Hülse, siliqua,
gluma‘; nnorw. bos(s), bøss ‚Spreu, Strohabfall‘,
auch in der Wendung ikke det bøss ‚nicht das
Geringste‘; aschwed. bos, nschwed. boss ‚Stroh-
abfall‘ zu vergleichen. Zur Bed.gruppe ‚prahle-
risch‘ gehört viell. me. bōst ‚Prahlerei‘, bōsten
‚prahlen‘, ne. boast.
Aus lautlichen Gründen fernzuhalten ist aisl. bósi
‚Mädchenjäger‘ (Vries, Anord. et. Wb.² 51; anders Jó-
hannesson 595), denn aisl. ó kann nicht auf germ. *au
zurückgehen; desgleichen der ahd. Männername
Bôso, Buoso, as. Bōso (trotz Kaufmann, Unters. z. adt.
Rufnamen 124 ff.), der kaum von isl. Bósi, ae. Bōsa zu
trennen ist (< urg. *ō, nicht *au; vgl. Holthausen, Ae.
et. Wb. 31; W. Schlaug, Stud. z. d. as. PN d. 11. u. 12.
Jh. 179; H. Arntz u. H. Zeiß, Die einheimischen Ru-
nendenkmäler des Festlandes [Leipzig, 1939] 224 f.).
Jedenfalls ist die ganze Sippe wohl letzten Endes
auf die idg. Wz. *b(h)eu̯- ‚aufblasen, schwellen‘
zurückzuführen (→ bûh, bûla, blla) mit s-Er-
weiterung (→ biost) wie in mhd. bûs ‚Aufgebla-
senheit, schwellende Fülle‘, bûsen ‚schwelgen‘
(nhd. bausen); vgl. bes. russ. buchnut’ ‚anschwel-
len, quellen‘: kaschub. bucha ‚Hochmut‘. Zur
Bezeichnung einer Hülse oder Hülsenfrucht als
etwas Aufgeschwollenes → bôna; da die Hülse
des Getreides als wertlose Spreu weggeworfen
wird, ist die weitere semantische Entwicklung
dieser Wortgruppe klar.
Walde-Pokorny II, 114 ff. (bes. 118); Pokorny 98 ff.
(bes. 101); E. Wadstein, PBB 22 (1897), 238 ff. —
Wartburg, Frz. et. Wb. XV, 1, 83 f.; Meyer-Lübke,
Rom. et. Wb.³ Nr. 1006; Mackel, Germ. Elemente
119. — Holthausen, As. Wb. 9; Wadstein, Kl. as.
Spr.denkm. 174 f.; Lasch-Borchling Mndd. Handwb.
I, 1, 332 (bōsse); Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I, 402;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 129 (bøs); Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 94; ME Dict. A—B, 1061 f. (bōst);
OED² II, 342. — Vasmer, Russ. et. Wb. I, 156 (buch-
nut’); Berneker, Slav. et. Wb. I, 97 f.; Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 28.