bûanAWB, bûen, bûwanAWB, bûwenAWB red.(?) u. sw. v.:
‚wohnen, bewohnen, habitare, inhabitare;
Landwirtschaft betreiben, rusticare‘ (nur Not-
ker, Ps.gl.) 〈Var.: p-; -uiw- (Williram; vgl.
Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 42 Anm. 1), -ow-, -ouw-
(nur Williram A = Leidener Hs., 11. Jh.; die
Diphthongierung ist wohl spätmfrk. und mit
der ähnlichen Entwicklung im Mndl. zu ver-
gleichen, s. u.). — Im Prät. kommen viermal
Formen der ersten sw. Dekl. vor: -ta Gl.
1, 458, 50 (8./9. Jh.), Notker, Ps. 73, 2; -tost
zweimal Notker, Ps., W. Ps. 122, 1; zweimal
alte Reduplikationspräterita(?) mit -r-: biruun,
biruuuis Otfrid; zur schwierigen Frage der r-
Prät. vgl. G. Bech, Das germ. red. Prät. (Kopen-
hagen, 1969)〉. — Mhd. bûwen, biuwen, bou-
wen red. u. st. v. (prät. bûte, biute, boute; part.
prät. gebûwet, gebouwet, gebûwen, gebouwen)
‚wohnen, bewohnen; das Feld bestellen, pflan-
zen; bauen‘; nhd. bauen sw. v.
Die erst spätmhd. belegte Bed. ‚bauen‘ ist wohl in An-
lehnung an Bau (ahd. mhd. bû ‚Wohnung, Haus‘) se-
kundär entstanden; sie kommt aber früher und öfter
im Mndd. vor (s. u.) und war viell. spätas. schon vor-
handen, wenn das verstümmelte uuat ‚construitur‘ in
den Gl. zu Gregors Homilien (11. Jh.) als *buuat zu
lesen ist (vgl. Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 62, 16; Gal-
lée, Vorstud. z. e. andd. Wb. 40).
Ahd. Wb. I, 1573 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 119; Schütz-
eichel⁴ 82 f.; Starck-Wells 83; Graff III, 16 f.; Schade
93 f.; Lexer I, 404; Nachtr. 117; Benecke I, 287 ff.; Dt.
Wb. I, 1170 ff.; Kluge²¹ 57; Kluge²² 64 f.; Pfeifer, Et.
Wb. 133 f.
Das Verb hat Entsprechungen in allen germ.
Sprachen: as. būan st. sw. v. (Prät. buida, -de)
‚wohnen, bleiben‘ (s. auch oben), mndd. būwen,
bouwen sw. v. (ouw < ūw; vgl. Lasch, Mndd.
Gr. § 197) ‚bauen, den Acker bestellen, bewoh-
nen‘; mndl. bouwen, būwen sw. v. (einmal st.
part. prät. gebouwen) ‚dss.‘, nndl. bouwen (ū >
ou vor w oder im Auslaut; vgl. Meer, Hist. Gr.
d. ndl. Spr. § 65); afries. būwa, bōwa sw. v.
‚bauen, bewohnen‘ (daneben bōg[e]ia ‚dss.‘
s. u.); ae. būan st. sw. v. (prät. bū[e]de, part. prät.
gebū[e]n), nordh. bȳa sw. v. ‚wohnen, bewoh-
nen‘ (daneben būgian, bōgian ‚dss.‘ s. u.), me.
und ne. ausgestorben; aisl. búa red. v. (prät. bió,
bioggom, biuggom) ‚wohnen; bereiten; schmük-
ken‘ (daneben byggja, byggva < *bewwjan [mit
w-Umlaut von i < *e, s. Noreen, Aisl. Gr.⁴
§ 82, 4] oder *buwwjan); aschwed. bōa ‚dss.‘
(zum Vokal s. u.), nnorw. bu, bokm. bo, ndän.
nschwed. bo; mit abweichendem Vokalismus
(s. u.) got. bauan an. st. sw. v. (3. sg. präs. bauiþ
[st.], prät. bauaida [sw. III]) ‚wohnen, bewoh-
nen, οἰκεῖν‘; ald bauan ‚ein Leben führen, βίον
διάγειν‘.
Diese Verben gehören alle zur idg. Wz. *bheu̯ǝ-
[**bheu̯H₂-] ‚wachsen, werden, sein, wohnen‘,
nur sind die Ablautstufen und lautlichen Ent-
wicklungen der einzelnen Formen bislang um-
stritten. Die westgerm. Formen mit -ū(w)-,
-ouw- wie auch aisl. búa sind auf die Schwund-
stufe *bhū- rückführbar (das -w- kann Über-
gangslaut sein, vgl. Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 110
Anm. 2); dagegen scheint got. bauan die Dehn-
stufe *bhōu̯- vorauszusetzen (zur vielumstritte-
nen Deutung des Digraphs au vgl. Braune, Got.
Gr.¹⁹ § 26); hierher könnten viell. auch die un-
erklärten Formen afries. bōg(e)ia, ae. bōgian ge-
hören (mit Monophth. des ursprl. Langdi-
phthongs und Übergangslaut -j-? Anders H. M.
Flasdieck, Anglia 59 [1935], 92 f.: zu idg.
*bhō[u]q- mit q- [d. h. k-]Erweiterung; nicht
überzeugend). Was die skand. Verhältnisse an-
geht, so ist nach Noreen, Aschwed. Gr. § 121 ur-
nord. ū unmittelbar vor a zu aschwed. ō gewor-
den in bōa, gnōa, snōa, trōa usw.; da aber auch
im Westnord. Formen wie aisl. bœr ‚Hof, Haus‘
(< germ. *ōwi-) neben bú ‚Wohnung‘ (<
germ. *ū-) und Varianten wie bóndi, älter
bóandi, búandi ‚Hausherr‘ vorkommen, ist ein
anord. Nebeneinander der Ablautvarianten
*bhū- und *bhōu̯- nicht auszuschließen (s. auch
O. v. Friesen, Danielsson-Festschrift 86 ff.; D. A.
Seip, Annales Acad. Scient. Fennica, Ser. B., 84
[1954], 67 ff.; hierzu Seebold, Germ. st. Verben
127).
Im Präs. stehen also Formen mit *ū(w) und
*ō(w) nebeneinander. Dieser Ablaut erklärt sich
am einfachsten, wenn man für das Vorgerm. von
einem Intensiv des Typs aind. bobhavīti ‚wird
immer wieder‘ ausgeht. Dadurch ergäbe sich ein
(in idg. Lautbild umgesetztes) ablautendes Para-
digma Sg. **bhēbhu̯oH₂-, Pl. **bhēbhuH₂- (zu
einem möglichen *ē als Reduplikationssilbenvo-
kal im Intensiv vgl. aind. ckaśīti : kśate ‚er-
scheint, glänzt, leuchtet‘) ‚ist, befindet sich an-
dauernd‘, das mit Verlust der Reduplikationssil-
be im Germ. dann zu einem thematisch flektie-
renden Präs. umgebildet wurde: *ōa-, *ūa-
und mit Gleitlaut *w: *ōwa-, *ūwa-. Demge-
genüber ist für das Prät. ein vorgerm. Perfektpa-
radigma Sg. [**bhebhou̯H₂-e], Pl. [**bhebhuH₂-
t] anzusetzen, dessen Fortsetzung urgerm.
*eau (< *eaww mit Schwund von *w hin-
ter *w) unter Verlust der Reduplikationssilbe
aisl. bió ergab, während die Verschärfung auf-
weisenden Formen des aisl. Prät. Pl. bioggom,
biuggom (zum sekundären -i- s. Noreen, a. a. O.
§ 503) auf einem analogisch nach *eaww um-
gestalteten Prät. Pl. *euwwun beruhen.
Auch im Aorist stehen in den idg. Einzelsprachen die
Wurzelformen *bhu̯ā- [**bhu̯eH₂-] und *bhū-
[**bhuH₂-] nebeneinander (vgl. lit. buvò, air. ba
‚war‘, alat. fuat ‚sei‘ neben gr. ἔφῡ, aind. ábhūt). Da
hier jedoch möglicherweise unterschiedliche Aoristty-
pen vorliegen, ist für das Germ. die Herleitung der ab-
lautenden Formen im Präs. von ‚bauen‘ aus einem ein-
heitlichen Paradigma der einfachere Weg.
Ableitungen von derselben idg. Wz. mit anderer
Ablautstufe kommen auch in den westgerm.
Sprachen im Präsens des Verbs ‚sein‘ vor (→
bim, bin und s. Lühr, in Das Germ. u. d. Rekon-
struktion der idg. Grundspr. 25 ff.).
Seebold, Germ. st. Verben 112 ff. 124 ff. teilt die germ.
Vertreter der idg. Wz. *bheu̯ǝ- in zwei Sippen: germ.
*eww- ‚werden, sein‘ und *ōww-a- ‚wohnen, be-
reiten‘ und versucht, alle oben angeführten Verben mit
der Bed. ‚wohnen‘ von der Grundform *ōww-a- ab-
zuleiten, was aber lautlich schwierig ist (lat. fuī, alat.
fūī wird auf idg. *bhū-, ahd. bûan dagegen auf
*bhōu̯- zurückgeführt!). Außerdem scheint die Tren-
nung willkürlich, denn die idg. Sprachen zeigen eher
ein Gemisch verschiedener Ablautstufen mit beiden
Bedeutungen: z. B. bedeutet aind. bhavana- n. sowohl
‚Werden‘ als auch ‚Wohnung, Haus‘ (beides zu bháva-
ti ‚wird, ist‘); air. both, kymr. bod ‚Hütte‘ war ursprl.
identisch mit both, später buith ‚das Sein‘ (vgl. lit. bù-
tas, butà ‚Haus‘ zu bti ‚sein, werden‘); apreuß. būton
(bauton, bouton) bedeutet ‚sein‘, *buwinaiti ‚wohnet!‘
usw.
Die idg. Wz. *bheu̯ǝ- [**bheu̯H₂-] ist in allen
idg. Sprachen reichlich vertreten: z. B. aind. bhá-
vati ‚wird, ist‘, avest. bauuaiti ‚wird, geschieht‘;
gr. φύω ‚zeuge‘, φύομαι ‚werde, wachse‘; lat. fuī
‚ich war, bin gewesen‘, fīō ‚ich werde, entstehe‘;
air. -bīu ‚ich pflege zu sein‘; lit. bti ‚sein‘; aksl.
byti ‚werden, sein‘ usw. Weiteres bei Pokorny
146 ff. (s. auch oben).
Fick III (Germ.)⁴ 272; Holthausen, As. Wb. 10; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 65 f.; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb.
I, 1, 384; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 466 f.; Ver-
dam, Mndl. handwb. 113; Verwijs-Verdam, Mndl.
wb. I, 1402; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 87; Vries,
Ndls. et. wb. 82; Holthausen, Afries. Wb.² 11. 13;
Richthofen, Afries. Wb. 657. 677; Holthausen, Ae. et.
Wb. 29. 39; Bosworth-Toller, AS Dict. 132; Suppl.
110; Vries, Anord. et. Wb.² 63. 67; Jóhannesson, Isl.
et. Wb. 604 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 28.
30; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 88; Hellquist,
Svensk et. ordb.³ 85. 116; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr.
83 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. B-34.
Walde-Pokorny II, 140 ff.; Pokorny 146 ff.; Mayrho-
fer, K. et. Wb. d. Aind. II, 485 f.; ders., Et. Wb. d. Alt-
indoar. II, 255 ff.; Bartholomae, Airan. Wb. 927 ff.;
Frisk, Gr. et. Wb. II, 1052 ff.; Chantraine, Dict. ét. gr.
1233 ff.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 504 f.
557 ff.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 257 f.; Sadnik-
Aitzetmüller, Vgl. Wb. d. slav. Spr. Nr. 110; Fraenkel,
Lit. et. Wb. 68; Trautmann, Apreuß. Spr.denkm. 315.
316; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. B-74. B-117.