bigrîtan st. v. I (?), nur Gl. 1,40,23
(Pa): ‚anfangen, antreten; inchoare‘. Diesel-
be Wz. ist auch in ahd. gritmâli ‚Schritt-
(länge); passus‘ (s. u.) belegt. — In der mhd.
Schriftsprache kommt nur ein Simplex griten
vor, das nach Lexer 1, 1089 f. ‚die Beine
auseinanderspreizen‘ bedeutet, aber nur in
dem übertragenen Sinn ‚gabelförmig ausein-
ander gehen [von Ästen]‘ (14. Jh.) belegt ist;
vgl. auch spätmhd. gritelingen und gritelîche
adv. ‚mit ausgespreizten Beinen, rittlings‘. In
bair. Gl. des 15. Jh.s wird lat. passus durch
schriet, griet, gritt, griit glossiert (vgl.
Schmeller, Bayer, Wb.² 1, 1017).
In den nhd. (obd.) Mdaa. sind Wörter dieser
Sippe ziemlich weit verbreitet: schweiz. grit-
ten (auch grittlen) ‚die Beine spreizen, mit
breiten Schritten gehen‘, grittingen, grittlingen
‚rittlings‘ (Schweiz. Id. 2, 827 f.); schwäb.
gritten ‚mit gespreizten Beinen, auswärts ge-
bogenen Knien einhergehen, klettern‘, gritte
f. ‚der Raum zwischen den Oberschenkeln,
die gespreizten Beine‘ (Fischer, Schwäb. Wb.
3, 843); bair. griten ‚schreiten, rittlings sit-
zen‘, gritt, grittel ‚die Gabel, welche die bei-
den Schenkel am Rumpf bilden‘, graiteln
‚die Finger, Beine auseinander sperren,
schwerfällig oder mit Anstrengung gehen,
klettern‘ (Schmeller, a. a. O. 1016 f.); tirol.
grît, gritt, grît’n ‚die auseinandergespreizten,
eine Gabel bildenden Schenkel‘, (cimbr.)
grit, grît ‚Schritt von 2½ Schuh‘, grîten
‚schreiten‘, grîtlings ‚rittlings‘ (Schöpf, Ti-
rol. Id. 215); grîtn, gritte ‚weitbeinig, o-
beinig gehen‘ (Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa.
256).
Wahrscheinlich gehört hierher auch ahd. (N)
zegreit ‚auseinander liegend‘, unzegreit ‚un-
ausgebreitet‘ (s. d.), wie schon Dt. Wb. 8,
2050 (s. v. gräten) vermutet wurde; vgl. auch
zegreitet ‚diuaricatus‘; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 188 (13. Jh.). Die heutzutage vorherr-
schende Deutung als *zi-gi-reit (Splett, Ahd.
Wb. 1, 741; Köbler, Wb. d. ahd. Spr. 1316;
Schützeichel⁶ 275) ist sehr fraglich, denn eine
Verbindung der Verbalpräfixe zi- und gi- ist
sonst kaum belegt; das einzige ahd. Beispiel
zi giranton Gl. 2,661,31 ist wohl fehlerhaft
(vgl. StSGl, Anm. z. Stelle „es sollte zuerst
ziranton geschrieben werden“). Vgl. auch
Wilmanns [1906—30] 1967: 2, § 99, 3.
Die einzige germ. Entsprechung ist got.
griþs* (nur akk.sg. grid) ‚Schritt, Stufe;
βαϑμός‘.
Ahd. Wb. 4, 441; Splett, Ahd. Wb. 1, 328; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 90. 494; Starck-Wells 241. 820; Schützei-
chel, Glossenwortschatz 4, 59; Graff 4, 311 f.; Lexer
1, 1089 f.; Dt. Wb. 9, 386 (gritten). — Feist, Vgl. Wb.
d. got. Spr. 222; Lehmann, Gothic Et. Dict. G-108.
Diese Wörter haben keine sichere Etymolo-
gie. Fick 3 (Germ.)⁴ 143 stellt sie zu einer
germ. Wz. *gri- „etwa ‚spreizen‘“, zu der
auch ahd. grînan ‚bellen, heulen, knurren‘
(s. d.) gehören soll, die aber einer außergerm.
Anknüpfung entbehrt. Eine derartige „Wur-
zeletymologie“ ist nicht besonders anpre-
chend.
Got. griþs* könnte zur idg. Wz. *ghrei̯dh-
‚schreiten‘ gehören, wie auch av.
aiuui.gǝrǝδmahi ‚wir beginnen; ingredimur‘,
lat. gradior ‚schreite‘, gradus ‚Schritt, Stufe‘,
lit. grìdiju, -yti ‚gehen, wandern‘ und mit n-
Präs. aksl. grędo, gręsti ‚kommen‘, air. in-
grenn, togrenn ‚er verfolgt‘.
Walde-Pokorny 1, 651 f.; Pokorny 456 f.; LIV² 203;
Bartholomae, Airan. Wb. 514 f.; Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. 1, 615; Fraenkel, Lit. et. Wb. 171 (s. v.
grìsti); Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. z. d. aksl. Tex-
ten 31. 240 (Nr. 259); Pedersen [1909—13] 1976: 1,
§§ 87. 747; Thurneysen 1980: § 548.
Ahd. grit(mâli) könnte auch hierher gehören,
aber wenn bigrîtan wirklich ein langes î hat,
setzt es eine idg. Wz. mit *-ei̯- voraus; eben-
falls bair. graiteln und N zegreit (s. o.). Des-
halb wurde von Th. Siebs (ZVSp 37 [1904],
321) und ihm folgend Fraenkel, a. a. O. eine
idg. Wz. *ghrei̯dh- angesetzt, aber dann müß-
ten die av., lat., kelt. (und trotz Fraenkel
wohl slaw.) Wörter fern bleiben, es sei denn,
daß es zwei Wurzeln *ghredh- und *ghrei̯dh-
mit gleicher Bed. gegeben hat.
Sicher abzulehnen ist die Verknüpfung mit
ahd. skrîtan ‚schreiten‘ (s. d.) mittels des
„beweglichen s“ (vgl. H. Schroeder, PBB 29
[1904], 552; Schrijnen 1891: 14 f.). Dennoch
hatte ahd. skrîtan wohl einen Einfluß auf die
Entwicklung von -grîtan (s. u.).
Da das Substantiv grit in ahd. gritmâli eine
Entsprechung in got. griþs* hat, während die
Verben nur im Dt. belegt sind, ist es mög-
lich, daß die Verben sekundär entstanden
sind. Urgerm. *riđi- ‚Schritt‘ könnte ohne
Weiteres zur idg. Wz. *ghredh- gestellt wer-
den (s. o.). Da ahd. skrit (s. d.) mit gleicher
Bed. und wohl gleicher Form (i-Stamm) wie
ahd. grit (vgl. auch skritmâli neben gritmâli)
zu einem Verb skrîtan gehörte, wurde dann
zu grit ein neues Verb grîtan gebildet. Die
urspr. Bed. war offenbar ‚schreiten, weite
Schritte machen‘, nicht ‚die Beine spreizen‘,
eine Bed., die erst im 14. Jh. erscheint. Auch
die Sippe von skrîtan entwickelt diese se-
kundäre Bed. (um zu schreiten, muß man ja
die Beine spreizen): spätahd. (11. Jh.) skrei-
ten ‚divaricare‘ (s. d.), frühnhd. schritling
(Götze [1930] 1971: 195), nhd. (bes. obd.)
schrittlings ‚rittlings, mit gespreizten Beinen‘
(Dt. Wb. 15, 1759); vgl. mhd. gritelingen
oben; mdartl. Schritt ‚am menschlichen Kör-
per die Stelle zu oberst zwischen den Bei-
nen‘ (Schweiz. Id. 9, 1678 f.), ‚Dammgegend,
wo die Beine zusammenlaufen‘ (Fischer,
Schwäb. Wb. 5, 1147; vgl. schweiz. gritte,
bair. gritt oben).
Ob aisl. grid ‚Heftigkeit‘, mhd. grîtec ‚begierig‘ usw.
hierher gehören (‚weit ausschreitend?‘; Fick 3
[Germ.]⁴ 144) oder irgendwie mit ahd. grâtag (s. d.)
zu verknüpfen sind (vgl. Pokorny 441), bleibe dahin-
gestellt. Vgl. Vries, Anord. et. Wb.² 188.