binuzAWB [-s] m. a-St. ‚Binse, Schilf, Schilf-,
Riedgras, iuncus, scirpus, papyrus, carectum‘
(Juncus oder Carex L.). 〈Var.: p-; -az, -iz,
-ez, -is, -z, -tz (15. Jh.)〉, daneben vom 12. Jh.
an binuzzaAWB [-ss-] f. n-St., nur obd. 〈Var.: p-
und -az-, -iz-, -ez- und -se (14. Jh.)〉. Wie zu
erwarten, ist diese Pflanzenbezeichnung in
Orts- und Flurnamen schon aus ältester Zeit
überliefert, so Binuzhaim 8. Jh., Binizfelt 8. Jh.
(= ndd. Benutfeld); schweiz. Binzikon (a. 854
Pinuzzinhovun), Pinuzwang 10. Jh.; Binsen-
bach = Biesenbach, s. Bach, Dt. Namenkunde
II, 298, 12. 323. 765, 3; Förstemann, Adt. Na-
menbuch2-3 II, 1, 460 f. — Da das Wort, wie die
meisten Pflanzenbezeichnungen, ungleich häu-
figer im Plural begegnet, mag schon die mittel-
alterl. Variante binuzza f. n-St. aus einer um-
gedeuteten Pluralform von binuz entstanden
und mit dem spätmhd. pl. binze (mhd. bin[e]z
st.m. sw. f.) zu frühnhd. und nhd. Binse sw. f.
kontaminiert worden sein (s. Wilmanns, Dt.
Gr. III 2 § 188, 4b). Im Norden des dt. Sprach-
gebiets herrscht heute Biese vor, → bioso.
Ahd. Wb. I, 1074 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 405; Schütz-
eichel⁴ 76; Starck-Wells 57; Graff III, 130 f.; Schade
65; Lexer I, 279; Benecke I, 137; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 312 (iuncus). 411 (papyrus). 518 (scirpus); Dt.
Wb. II, 37; Kluge²¹ 78; Kluge²² 86; Pfeifer, Et. Wb.
168. — Vgl. auch Marzell, Wb. d. dt. Pflanzennamen II,
1057 ff.
Die Entsprechungen des ahd. Wortes sind auf
das Westgermanische beschränkt: as. binut-, be-
nut- (nur in Ortsnamen: Binutloga 9. Jh., Be-
nethlage 1151, Binitheim 1116, Benetheim 1178,
s. Förstemann a. a. O.), mndd. bent-; nostfries.
bente, bēnte, biüte, piünte; ae. bionot, beonot
(mit u-Umlaut aus *bi-nut), me. bent, auch
bante, früher auch benet, bunet, ne. bent in
bentgrass.
Fick III (Germ.)⁴ 271; Holthausen, As. Wb. 7;
Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 146;
Holthausen, Ae. et. Wb. 20. 24; Bosworth-Toller, AS
Dict. 2; Suppl. 9; ME Dict. A—B, 735; OED² II, 116;
Oxf. Dict. of Engl. Et. 89.
Ahd. binuz hat, trotz seiner zahlreichen Belege
aus ältester Zeit, noch immer keine sichere
etym. Erklärung gefunden. Eine Analyse, die in
bin- den Kern des Wortes und in -uz eine Ablei-
tungssilbe vermutete, scheitert daran, daß sich
keine germ. Basis *in- oder idg. *bhen- nach-
weisen läßt, die für eine Pflanzenbezeichnung
sinnvoll wäre, und daran, daß ein Suffix ahd.
-uz, germ. *-ut- nur noch in den zwei ahd. Tier-
bezeichnungen hiruz und hornuz begegnet (s. d.
und Kluge, Nom. Stammbildung³ § 60 Anm. 2);
auch verbietet die frühüberlieferte Wortgestalt
jede Einreihung in die semantisch naheliegende
Sippe von ahd. bintan (s. d.). Noch abwegiger
war E. Zupitzas durch aind. bhinádmi angeregte
Verknüpfung mit der idg. Wz. *bhei̯d-: < *bhi-
nǝ-d- (Zfvgl.Spr. 36 [1900], 63 Fn. 2).
So bleibt nur die andere Alternative, für die sich
zuletzt H. Dittmaier eingesetzt hat, ZfdA. 89
(1958-59), 290 ff., nämlich in bi- ein ursprl.
Präfix mit der Funktion ‚um, herum, bei, bei-,
zusammen‘ zu vermuten (→ bî) und -nuz, germ.
*-nuta- mit der Reduktionsstufe der idg. Basis
*ned-: *nod-: *ned- ‚zusammendrehen, knüp-
fen‘, zu identifizieren. Daß diese Basis wieder-
holt im Hinblick auf die praktische Verwend-
barkeit einer Pflanze zu deren Bezeichnung ge-
braucht wurde, zeigt sich an zahlreichen außer-
germ., von der e-Stufe abgeleiteten Parallelen
wie aind. naḍá- m. ‚Schilfrohr‘ (mit unklarem ḍ
zu aind. RV nadá- ‚Schilfrohr‘), jungav. naδa-,
npers. nay, mdartl. nad ‚dss.‘; lit. néndre (mit
Nasalinfix), lett. naslis (< *nadslis?) ‚dss.‘; dazu
arm. net ‚(aus Schilfrohr gefertigter) Pfeil‘.
Walde-Pokorny II, 329 (*nedo-); Pokorny 759;
Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 127 f.; ders., Et.
Wb d. Altindoar. II, 7 f. (doch Grundbedeutung von
idg. *ne/ od-o-/ -i- ‚Rohr‘ vielleicht ‚*rauschend‘);
Horn, Grdr. d. npers. Et. 237; Fraenkel, Lit. et. Wb. I,
493; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. II, 694;
Hübschmann, Arm. Gr. 478.
Nicht weniger häufig ist die Reduktionsstufe
*ned- in Wortbildungen, oft mit spezifisch
handwerklicher oder gebrauchstechnischer Be-
deutung, so in lat. nassa (< *ned-sā oder *ned-
i̯ā) ‚Fischreuse, geflochtener Korb‘, air. naidm
‚das Binden, Vertrag‘, fornaidm ‚Band‘, naskim
(< *ned-sk-) ‚binde, verpflichte‘, nasc ‚Ring‘,
bret. naska ‚anbinden‘ usw.
Eben hierher gehört nicht nur das reduktions-
stufige ahd. nuska (s. d., daneben nusta), as.
nusk(i)a ‚Nüsche, Mantelschnalle, Spange‘,
sondern auch wohl die Zss. ahd. bi-nuz, ein
Nomen agentis oder actionis der a-Deklination
vom Typ ahd. bismer, biwar, bibroh und etwa
mit der Bed. von ‚Zusammenknüpfer, Beischnü-
rer‘. Vgl. Weinhold, Mhd. Gr.² § 291.
Ferner liegen Ableitungen vor, welche durch die
o-Stufe *nod- gekennzeichnet sind, so etwa in
den ja-Stämmen got. nati ‚Netz‘, eigtl. ‚Ge-
knüpftes‘, ahd. nezzi (s. d.), as. net(ti), afries.
net(te), ae. nett, aisl. net ‚dss.‘, daneben mit
Dehnstufe anord. nót f. ‚großes Netz‘ sowie lat.
nōdus ‚Knoten‘. Die schlagendste Bestätigung
der — wie im Falle von ahd. binuz — auf eine
praktische Funktion zielenden Pflanzenbezeich-
nung bietet der zur selben Sippe gehörige bot.
Name ahd. nezzila (< *nat-ilō) ‚Nessel, eine
Gespinstpflanze‘ (s. d.), neben ahd. nestila (<
*nat-st-ilō) ‚Schnürriemen, Bandschleife, Bin-
de‘ (s. d.).
Die von R. Schophaus, Ndd. Wort 7 (1967), 93 ff. und
Marzell, a. a. O., gegen diese Etymologie erhobenen
Einwände sind nicht stichhaltig: 1) Zwar erscheint die
verbale Grundbed. ‚zusammendrehen, knüpfen‘ zufäl-
lig nirgends im Germ., aber die oben angeführten ahd.
Wörter nezzila und nestila beweisen, daß es diese
germ. verbale Wz. tatsächlich gab. 2) Daß das ahd.
Präf. b- im Nhd. nur als be- oder bei- erscheint, wird
durch das nhd. Wort bieder (< mhd. bíderbe) wider-
legt. Nur wird -i- in bieder in einer offenen Silbe ge-
dehnt, in Binse in einer geschlossenen Silbe nicht. 3)
Die oben angeführten germ. und idg. Wörter zeigen,
daß germ. *-nut-, ahd. -nuz aus idg. *ned-, nicht
*d- stammt.
Walde-Pokorny II, 328 f. (ned-). 694 f. ([s]nē-); Po-
korny 758 f.; Bartholomae, Airan. Wb. 1060; Walde-
Hofmann, Lat. et. Wb. II, 144; Fick II (Kelt.)⁴ 191;
Pedersen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. II, 582 f.; Feist, Vgl.
Wb. d. got. Spr. 371 (nati); Vries, Anord. et. Wb.² 408
(net). 412 (nót). — Vgl. auch Persson, Beitr. z. idg.
Wortf. 814 f.