bior
Volume II, Column 81
Symbol XML file TEI Symbol PDF file PDF Citation symbol Citation

bior n. a-St., nur in Gl.: Bier, cervisia, ce-
lia, mulsa; Biergelage, convivium
Var.: p-;
-ia-, -ie-, -i-. Mhd. bier, nhd. Bier.

Ahd. Wb. I, 1081 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 67; Starck-
Wells 57. 793; Graff III, 206; Schade 66; Lexer I,
267 f.; Benecke I, 116 f.; Diefenbach, Gl. lat.-germ.
115. 370; Dt. Wb. I, 1821 ff.; Kluge²¹ 75; Kluge²² 83;
Pfeifer, Et. Wb. 168.

Das ahd. Wort hat seine Entsprechungen in den
anderen westgerm. Dialekten: as. bior in aftar-
bior und anderen Zss., mndd. bēr; mndl. nndl.
bier; afries. biār, bier; ae. bēor, me. bēr (auch
beor, bor, bier, beir), ne. beer. Dagegen wurde
aisl. bjórr (neben einheimischem l) wohl sehr
früh aus dem Aengl. entlehnt viell. als Bez. ei-
nes importierten Getränkes (vgl. Fritzner, Ordb.
o. d. g. norske sprog I, 146; Hoops Reallex. I,
281). Das Wort erscheint noch im Skand. als
nisl. bjór, nschwed. dial. bjor; aus dem Skand.
wurde es ins Lapp. weiterentlehnt als lapp.
(norw.) biev’ra, lapp. (schwed.) büövra, bjūre,
biure (s. Quigstad, Nord. Lehnw. im Lapp. 106)
und ins Air. als béoir (Dict. of Irish B81). Im
Ostgerm. ist keine Bez. für Bier überliefert.

Fick III (Germ.)⁴ 276; Holthausen, As. Wb. 1. 7; Gal-
lée, Vorstud. z. e. andd. Wb. 2. 26; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. I, 1, 211 f.; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. I, 237; Verdam, Mndl. handwb. 97; Franck, Et.
wb. d. ndl. taal² 63; Vries, Ndls. et. wb. 56; Holthau-
sen, Afries. Wb.² 9; Richthofen, Afries. Wb. 632;
Holthausen, Ae. et. Wb. 20; Bosworth-Toller, AS
Dict. 85; Suppl. 79; Suppl. II, 9; ME Dict. AB,
736 f.; OED² II, 58; Oxf. Dict. of Engl. Et. 85; Vries,
Anord. et. Wb.² 40; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 953;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 17.

Die Etymologie dieses hauptsächlich westgerm.
Wortes ist umstritten und wohl nicht mit Sicher-
heit festzustellen; ja, man ist sogar noch immer
unschlüssig darüber, ob es sich um ein germ.
Erbwort oder ein Lehnwort handelt.

Wer es für ein germ. Erbwort hält, hat zuerst zu
entscheiden, ob der letzte Kons. der Wz. urspr.
*r oder *z war, was wegen des Mangels an ost-
germ. Zeugnissen unklar bleibt. Ein germ. *beu-
za- führen E. Hellquist, Ark. f. nord. fil. 7
(1891), 145, Anm. 1; Persson, Beitr. z. idg.
Wortf. 259 u. Anm. 4; wie auch Walde-Pokorny
II, 118 und Pokorny 101 (unsicher), auf die idg.
Wz. *bhe(s)- aufblasen, schwellen zurück (
biost) und vergleichen schwed. mdartl. buska
frisches, aufgärendes Bier; in diesem Fall wäre
germ. *euza- das Aufschäumende. Dagegen
ist nach R. Koegel, PBB 9 (1884), 537, F. Kluge,
PBB 35 (1909), 569 ff. und Falk-Torp, Norw.-
dän. et. Wb. 1420, germ. *euza- eine Ableitung
aus einem sonst nicht bezeugten germ. s-Stamm
*ewwes : -os Gerste (vgl. ae. bēow Gerste,
as. *beo [nur gen.pl. bewo] Bed. unsicher, viell.
Ernte, aisl. bygg Gerste, Getreide); germ.
*euza- wäre demnach ursprl. Gerstensaft.
Während die erste Deutung nicht ohne weiteres
von der Hand zu weisen ist, ist die zweite wegen
der fehlenden Basis nicht überzeugend; sicher
verfehlt ist der Versuch von Schrader, Reallex.
d. idg. Alt.² I, 145, germ. *bi-uza- aus *b-e-
sa-: -sa- Bienensaft abzuleiten ( bîa und
vgl. ae., mndd. wōs Feuchtigkeit, Saft); zur
Bed. durch Honig versüßtes Bier oder Met (s.
aber unten).

Andere setzen germ. *eura- an, das auf die idg.
Basis *bhere- sich heftig bewegen, wallen, bes.
vom Aufbrausen beim Gären, Brauen usw.
zu-
rückgehen soll ( brôt, briumeistar und vgl.
mhd. briuwen, ae. brēowan brauen, lat. fervre
sieden, wallen, defrutum der eingekochte
Most, Mostsaft
; Weiteres bei Pokorny 143 f.),
*eura- wäre demnach entweder durch Epen-
these aus *era- (so H. Möller, Zfvgl.Spr. 24
[1879], 427 f.; Hoops Reallex.¹ I, 279 f.; Kluge²²
83) oder durch Dissimilation aus *reura- (so
H. Osthoff, PBB 8 [1882], 555 f.; A. Bezzenber-
ger, BB 7 [1883], 78; F. Holthausen, IF 60
[1952], 280) entstanden; beides sehr fraglich.

Schon früh hat man die Möglichkeit einer Ent-
lehnung aus einer nichtgerm. Sprache erwogen.
Obgleich E. Kuhns Versuch (Zfvgl.Spr. 35
[1899], 313 f.), das Wort als ein Lehnwort aus
dem Slavischen herzuleiten vgl. aksl. pivo
(s. u.) , nicht mehr ernstlich in Betracht gezo-
gen wird, hat die Annahme einer Entlehnung
aus dem Lat. oder Roman. eine lange, wenn-
gleich umstrittene Tradition, die vom Jahre
1848 (W. Wackernagel, ZfdA. 6, 261 f.) bis zur
21. Ausgabe von Kluges Et. Wb. reicht (nicht
mehr in der 22., s. o.). Zwar ist die bei Kluge²¹
u. a. gegebene Erklärung, daß westgerm. *eu-
ra- aus dem klösterlichen lat. biber(e) Trunk
stamme und das neue, gehopfte Bier bezeichne
(gegenüber urgerm. *aluþ- als Bezeichnung für
das ungehopfte Bier), durch neuere Studien über
die Geschichte des Bierbrauens in Zweifel gezo-
gen worden (s. bes. Hoops Reallex.² II, 533 und
Vries, Ndls. et. wb. 56), aber eine schon von
Wackernagel, a. a. O., und H. Güntert, Von der
Sprache d. Götter u. Geister (Halle, 1921) 150 f.
vorgeschlagene Entlehnung aus dem Roman.
bleibt nach wie vor durchaus möglich. Der lat.
Infinitiv bibere wurde nach Wartburg, Frz. et.
Wb. I, 348 schon seit dem 6. Jh. substantiviert,
mit der Bed. Trunk, Getränk; vgl. afrz. beivre,
aprov. beure Boisson, norm. beire cidre usw.
Das germ. Wort könnte entweder aus einer ro-
man. Form *bever(e) entlehnt worden sein, mit
germ. Vokalisierung von v > u, oder aber aus
einer Form, die schon im Roman. die Vokalisie-
rung durchgemacht hatte (*bevere > *bevre >
*beure, wie bei aprov. beure; zu dieser Entwick-
lung s. Grandgent, Vulgar Latin § 233. 235. 239
und bes. 318). Man vergleiche nhd. Föhn <
vulg. lat. faōnius < lat. (ventus) favōnius oder
Pfründe < roman. *provenda < lat. praebenda
(Frings, Germania Romana² II, 246. 411 f.; Klu-
ge²² 225. 542). Eine ähnliche Entwicklung von
der allg. Bed. Getränk > Bier findet man
auch im Slav., wo die neuslav. Entsprechungen
zu aksl. pivo Trank, Getränk die Bed. Bier
angenommen haben (vgl. Trautmann, Balt.-
Slav. Wb. 228; Vasmer, Russ. et. Wb. II, 354).

Umgekehrt ist nfrz. bière im 16. Jh. aus dem Hoch-
oder Nddt. entlehnt worden, während italien. birra
(seit dem 17. Jh.) nach Wartburg, a. a. O. I, 355, viell.
aus dem Frz. stammt. Vgl. auch Körting, Lat.-rom.
Wb.³ Nr. 1374; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr.
1089.

Zur Frage der Entlehnung des westgerm. Wortes aus
dem Lat. bzw. Roman. vgl. auch Heyne, Dt. Hausal-
tertümer II, 341; A. Lindqvist, Dt. Kultur- u. Gesell-
schaftsleben im Spiegel der Sprache (Wiesbaden, 1955)
29 f.; Maurer-Rupp, Dt. Wortgesch.² I, 161.

Was für ein Getränk die Westgermanen ursprl.
als *eura- bezeichneten, läßt sich nicht bestim-
men; interessant ist jedenfalls die schon bei
Schrader, Reallex. d. idg. Alt.² I, 145 und Hoops
Reallex. I, 280 bemerkte Tatsache, daß im Ags.
bēor nur lat. mulsum Met aus Wein und Ho-
nig
, hydromeli Met aus Wasser und Honig,
mel Honig und sicera ein starkes Getränk
(nicht Bier oder Wein)
, bes. Zider übersetzt,
während ealu allein für cervisia Bier und celia
Weizenbier eintritt.

Letzten Endes steht die Entscheidung jedoch
noch aus, ob germ. *eura- (*ēuza-?) ein germ.
Erbwort oder ein roman. Lehnwort war.

Information

Volume II, Column 81

Show print version
Citation symbol Citation
Symbol XML file Download (TEI)
Symbol PDF file Download (PDF)

Lemma:
Referenced in: