bitten
Band II, Spalte 131
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bitten st. v. V. (-j-Präs.) bitten, erbitten,
flehen, (an)beten (selten), petere, rogare, orare

präs. bitt-, pitt-, bit-; prät. bat(-), pat(-) (die
Länge ist im Pl. nicht bez., nur einmal 2.sg.
pâte, Notker); part. prät. ga-, ka-, gi-betan,
-petan. Mhd. bit(t)en; nhd. bitten.

Ahd. Wb. I, 1140 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 71; Schütz-
eichel⁴ 77; Starck-Wells 61. 793; Graff III, 51 ff.;
Schade 70; Lexer I, 286; Benecke I, 168 ff.; Dt. Wb.
II, 51 ff.; Kluge²¹ 80; Kluge²² 88; Pfeifer, Et. Wb.
179. Zur spätahd. und mhd. Vereinfachung der Ge-
mination s. Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 344 Anm. 2.

Entsprechende Verben kommen in allen germ.
Sprachen vor, durchwegs mit der Bed. bitten,
got., ae., aisl. auch mit der Nebenbed. beten
(vgl. Wißmann, Nomina postverb. 99 ff.): as.
biddjan, mndd. bidden; andfrk. biddon
1.sg.präs. deprecor (Helten, Aostndfrk. Psal-
menfragmente, Ps. 63, 2; Gramm. § 91), mndl.
nndl. bidden; afries. bidda, nfries. bidde(n); ae.
biddan, me. bidden (ne. bid [an]bieten, gebie-
ten, einladen, [Gruß] entbieten
ist schon früh
mit Reflexen von me. bēden, ae. bēodan anbie-
ten, gebieten
zusammengefallen biotan); aisl.
nisl. biðja, nnorw. be, bede, ndän. bede,
nschwed. bedja (aus dem Skand. entlehnt lapp.
[norw.] biddet); got. bidjan (einmal bidan, auch
einmal ohne -j- in der Zss. us-bida 1.sg.präs.;
diese Formen sind wohl nach Streitberg, Got.
El.buch § 208 wie sitan, ligan durch System-
zwang entstanden und nicht, wie Walde-Po-
korny II, 139 angeben, urspr. Aoristpräs. der
ersten Ablautreihe; s. u.).

Fick III (Germ.)⁴ 258. 270; Seebold, Germ. st. Verben
91 ff.; Holthausen, As. Wb. 7; Sehrt, Wb. z. Hel.²
49 f.; Berr, Et. Gl. to Hel. 50; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 272; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
330 f.; Verdam, Mndl. handwb. 97; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 62 f.; Vries, Ndls. et. wb. 55; Holthausen,
Afries. Wb.² 9; Richthofen, Afries. Wb. 632; Doorn-
kaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 161; Dijkstra,
Friesch Wb. I, 109; Holthausen, Ae. et. Wb. 22; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 99; Suppl. 90; ME Dict. AB,
801 ff.; OED² II, 173; Oxf. Dict. of Engl. Et. 93;
Vries, Anord. et. Wb.² 35; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
604; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 15; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 66; Torp, Nynorsk et. ordb.
23; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 34 f.; Haugen, Norw.-
Engl. Dict. 69; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 89; Leh-
mann, Gothic Et. Dict. B-42.

Das Wort hat keine sichere Etymologie. Unter
den zahlreichen etym. Versuchen verdienen drei
eine nähere Überprüfung:

1) Urg. *iđjan- habe urspr. zur ersten Ablautreihe ge-
hört: *iđjan-: *aiđ-: *iđum-: *iđan-, also zur
Wz. *bhedh- jemandem zureden, zwingen, und sei
mit gr. πείθω überrede, überzeuge, πείθομαι lasse
mich überreden, vertraue
; lat. fīdo (ver)traue, ver-
lasse mich auf
usw. verwandt. Zu dieser Sippe scheint
auch germ. *aiđjan- zwingen, drängen, fordern zu
gehören ( beiten), das aber lautlich eine Kausativbil-
dung zu germ. *īđan- harren, warten sein könnte
(wohl auch zu idg. *bhedh-), obgleich die Bed.ent-
wicklung trotz H. Osthoff, PBB 8 (1882), 140 ff. alles
andere als durchsichtig ist ( bîtan). So u. a. Walde-
Pokorny II, 139 f. (*aiđjan- und *īđan- werden aber
von dieser Sippe getrennt); Kluge²¹ 80; Jóhannesson,
a. a. O.; Holthausen, a. a. O.; Torp, a. a. O.; Hellquist,
a. a. O.; Vries, Anord.² 35 (unsicher); Fick III (Germ.)⁴
270 (unsicher; anders 258, s. u.).

Gegen diese Deutung spricht die Tatsache, daß im
Germ. sonst kein -j-Präs. in der ersten Ablautreihe
vorkommt (wenn aber andererseits dieses Verb tat-
sächlich das einzige -j-Präs. dieser Reihe war, hätte
das den Übergang in die fünfte Reihe, wo solche Ver-
ben vorhanden waren, sicher gefördert). Auch Ablei-
tungen wie ahd. beta Gebet (s. d.) weisen entweder
auf einen urspr. Wurzelvokal e oder eine sehr frühe
Ablautentgleisung. Semantisch ist jedenfalls eine Ent-
wicklung von zwingen über fordern zu bitten nicht
ohne Parallelen: vgl. aisl. beiða fordern, bitten neben
got. baidjan zwingen; oder nfrz. demander bitten,
verlangen
(ne. demand nur verlangen, fordern) < lat.
mandāre befehlen.

2) Urgerm. *iđjan- sei auf eine Wz. *bhedh- krüm-
men, beugen, drücken
zurückzuführen, die durch
aind. bdhate drückt, drängt, zwingt, bādhá- m. Be-
drängnis
und in diesem Zs.hang noch wichtiger
ved. jñu-bdh- die Knie beugend bezeugt wird, denn
mit dieser ved. Bildung werden as. (fallan an) knio-be-
da, ae. (feollan on) cnēow-gebedum und aisl. (falla á)
kné-beð (zum Gebet) auf die Knie fallen gleichge-
setzt. So u. a. H. Kern, Tijdschrift 1 (1881), 32 ff.;
J. Vendryes, Philologica 1 (192122), 235; Pokorny
114; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 425 f.; ders.,
Et. Wb. d. Altindoar. II, 222; Walde-Hofmann, Lat.
et. Wb. I, 493 ff.; Feist, a. a. O. (unsicher); Lehmann,
a. a. O. (unsicher); Fick III (Germ.)⁴ 258 (unsicher; an-
ders 270, s. o.).

E. Seebold, Zfvgl.Spr. 81 (1967), 113 hat mit Recht
bezweifelt, ob der Vergleich mit jñu-bdh- gültig ist:
erstens stimmen die Wurzelvokale nicht überein, und
zweitens ist es sehr wohl möglich, daß das zweite Ele-
ment der germ. Zss. einfach Gebet und nicht etwa
Beugung bedeutete (er vergleicht Ausdrücke wie as.
fallan te bedu an kneo usw. zum Gebet hinknien). Al-
lerdings wäre selbst ohne diese Stütze der Vergleich
von *iđjan- mit bdhate weder lautlich noch seman-
tisch (bedrängen > bitten?) ganz ausgeschlossen.
Die ältere, semantisch ansprechendere Deutung: bit-
ten
< sich (vor jemandem) beugen wird aber da-
durch in Frage gestellt, daß für die Wz. *bhedh- nur
die Bed. drücken, drängen gesichert sind (alle ande-
ren Vergleiche sind unsicher: alb. bint überrede, brin-
ge durch Zwang zum Geständnis
, bindem willige ein,
beuge mich, gestehe auf der Folter
wird von Walde-
Hofmann, a. a. O. hierher, dagegen von Brugmann,
Grdr.² I, 536 zur Wz. *bhedh- gestellt, ganz anders
Meyer, Et. Wb. d. alb. Spr. 36; auch hierher nach
Fraenkel, Lit. et. Wb. 29. 38 lit. bãdas, lett. bads Hun-
ger
; lit. bedà, lett. bda Not, Sorge, Kummer; anders
Walde-Hofmann a. a. O.).

3) Urgerm. *iđjan- gehe auf die idg. Wz. *ghedh-
bitten, verlangen zurück und sei mit av. jaiδiiemi,
apers. jadiyāmiy ich bitte; gr. aor. θέσσασθαι anfle-
hen
, ποθέω ersehne; air. guidiu ich bitte; aksl. (mit
durchgef. Nasalierung) d, dati begehren, dür-
sten, verlangen
verwandt. Diese schon von Bezzenber-
ger, BB 16 (1890), 252; A. Fick, ebd. 289; ders., I
(Idg.)⁴ 39. 415; II (Kelt.)⁴ 110 (unsicher); O. Hoff-
mann, BB 18 (1892), 153 f.; Prellwitz, Et. Wb. d. gr.
Spr. 120 vorgeschlagene und unlängst von E. Seebold,
Zfvgl.Spr. 81 (1967), 12 f.; ders., Germ. st. Verben 92 f.
der Vergessenheit entrissene Erklärung beruht auf ei-
nem angeblichen Lautwandel: anl. idg. *gh- > germ.
*- außer vor u. Trotz Seebolds gründlicher Untersu-
chung entdeckt er nur drei parallele Fälle, die er als si-
chere Beispiele
präsentieren kann: urgerm. *renn-a-
brennen ( brinnan), *anjō Wunde/ *anōn
Mörder ( bano) und *rǣ- riechen ( brâdam)
und selbst diese Fälle sind nicht über allen Zweifel er-
haben. Somit muß diese semantisch befriedigende Ety-
mologie als sehr unsicher gelten. (A. Meillet, BSLP 24
[1924], Comptes rendues 23 f. und A. Cuny, Rev. des
ét. anc. 12 [1910], 10 ff. versuchten, die lautlichen
Schwierigkeiten zu umgehen, indem der erstere eine
Wurzelmischung im Germ. zwischen *ghedh- und
*bhedh- und der letztere eine germ. Entlehnung aus
dem Kelt. annahm; wenig überzeugend.)

S. auch beiten, beta, betôn, bîtan.

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