bliuwanAWB st. v. II ‚schlagen, prügeln, geißeln,
(ex)tundere, cudere, percutere, verberare‘ 〈präs.:
bliu(w)-, pliu(w)- (analog. Formen vom
12. Jh. an: blow-, pluw- u. a.); prät. sg. plau
(nur einmal in Gl., 9. Jh., AJPh. 55 [1934],
231); prät. pl. bluun (Otfrid); part. prät. ka-
pluan, geblúenez (Notker, Ps.)〉.
Das u im Prät. und Part. Prät. dieses Verbs, wie auch
der anderen Verben auf -iuwan ([h]riuwan, kiuwan,
u. a.), war, anders als Seebold, Germ. st. Verben 121
angibt, im Ahd. urspr. lang, denn Otfrids Gebrauch
von bluun (4, 34, 21) — auch ru(v)un in derselben Zeile
— in der Kadenz schließt die Möglichkeit eines kurzen
Vokals aus (nur bl/ùn ist möglich, nicht blŭ/ùn).
Der einzige Beleg bei Notker (s. o.) zeigt die normale
Kürzung eines langen Vokals vor einem folgenden Vo-
kal in dreisilbigen Formen ([ge]blúenèz); s. A. L.
Lloyd, JEGP 60 (1961), 79 ff.; ähnlich schon R. Koe-
gel, PBB 9 (1884), 540 ff., der auch als erster die
urspr. Länge dieses Vokals zu beweisen versuchte. Die
Entstehung des langen Vokals (-ū[w]- < -uww-[?]; s.
Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 113 Anm. 2. 333 Anm. 4, und vgl.
ûwila ‚Eule‘ [s. d.] < *uwwilō-[?]) ist wie so vieles,
was mit der germ. Verschärfung zusammenhängt,
noch nicht vollständig geklärt; s. z. B. F. O. Lindeman,
Stud. Ling. 16 (1962), 1 ff. (bes. 18 f.); ders., Origines
i.-e. de la ‚Verschärfung‘ (Oslo, 1964), § 17, 4 ff. (Rez.
von R. Hiersche, PBB 90 [Tübingen, 1968], 118 ff.).
Mhd. bliuwen, md. blū(w)en (blou, blû[w]en [auch
bliuw-, blouw-], geblû[w]en [auch -bliuw-]); nhd.
bleuen, bläuen (volkset. zu blau gezogen).
Ahd. Wb. I, 1219 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 81; Schütz-
eichel⁴ 78; Starck-Wells 66 f.; Graff III, 257 f.; Schade
76; Lexer I, 310; Benecke I, 211; Dt. Wb. II, 111 ff.;
Kluge²¹ 84; Kluge²² 92; Pfeifer, Et. Wb. 184 f. (s. v.
blau).
Entsprechende Verben sind nur im Ndd., Ndl.
und Got. belegt: as. *ūt-bleuwan ‚ausschlagen‘
(nur einmal utbliuuid ‚excudit‘, Prud. Gl., s.
Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 100, 39; Holthau-
sen, As. El.buch § 431 Anm. 1), mndd. blūwen;
mndl. blouwen, blūwen, nndl. blouwen; got.
bliggwan. Verwandt ist wohl auch aisl. *blegði
‚Keil‘ < *blawwiđan-(?) (nur einmal belegt und
zwar als bleðgi, Króka-Refs Saga; aber vgl.
shetl. bleg[d], blig[d] ‚kleiner Keil‘, nnorw.
bløyg, blei[g], nschwed. dial. bläjde, blägde
usw., ndän. dial. blejr).
Wahrscheinlich nicht hierher me. blou, blau, ne. blow
‚Schlag‘ (die manchmal zitierte me. Form blēwe
kommt weder im ME Dict. noch bei Stratmann-Brad-
ley, ME Dict.³ vor) trotz Skeat, Et. Dict. of Engl. 64 f.,
Stratmann-Bradley 79; s. Oxf. Dict. of Engl. Et. 102;
ME Dict. A—B, 995 (zu blouen ‚blasen, wehen‘).
Fick III (Germ.)⁴ 287; Seebold, Germ. st. Verben
120 f.; Gallée, Vorstud. z. e. andd. Wb. 361; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 302; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. VI, 73; Verdam, Mndl. handwb. 105;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 74; Vries, Ndls. et. wb.
67; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 100; Lehmann, Gothic
Et. Dict. B-80; Vries, Anord. et. Wb.² 43; Jóhannes-
son, Isl. et. Wb. 643; Heggstad, Gamalnorsk ordb. 61;
Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog I, 836; IV, 53;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 19; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 81 (blei); Torp, Nynorsk et. ordb.
32; Svenska akad. ordb. B-3595 f. (blägde); Jakobsen,
Shetl. et. ordb. 48. — Zur Verschärfung vgl. auch Brug-
mann, Grdr.² II, 3, § 224 Anm.; Trautmann, Germ.
Lautgesetze 40 ff.; W. van Helten, PBB 30 (1905),
244 ff.; F. van Coetsem, Leuv. bijdr. 39 (1949), 41 ff.;
E. G. Polomé, Language 25 (1949), 182 ff.; N. E. Col-
linge, Laws of IE (Amsterdam, 1985), 93 ff.
Das germ. Verb *lewwan- hat keine außer-
germ. Verwandten und keine sichere Etymolo-
gie. Pokorny 125 setzt eine idg. Basis *bheleu̯-
‚schlagen, durch Schlagen kraftlos machen usw.‘
an, wozu sowohl ahd. bliuwan als auch ahd. ba-
lo ‚Verderben‘ (s. d.) gehören sollen; aber da
dieses Wort auch nur wenige z. T. unsichere au-
ßergerm. Vergleiche bietet und seine Beziehung
zu bliuwan nicht feststeht, bleibt der Ansatz
kaum mehr als eine theoretische Konstruktion.
(Abzulehnen ist jedenfalls die Annahme irgend-
eines Verhältnisses zu der Sippe von ahd. blôdi,
s. d.)
Die durch germ. *lewwan- vorausgesetzte Ba-
sis *bhleu̯ǝ- ließe sich viell. doch als Erweiterung
einer idg. Wz. *bhel(ǝ)- ‚schlagen‘ in eine größe-
re idg. Wortsippe einreihen. Zwar ist diese Wz.
spärlich bezeugt: wahrscheinlich in germ. *el-
lan- ‚stoßen, treffen‘ (→ -bellan²), *lasti- ‚stra-
ges‘ (→ blast), mit zusätzlicher d-Erweiterung in
der Sippe von ahd. bolz ‚Bolzen‘ (s. d.) und in
der Form *bhlǝg̑- in lat. flagrum ‚Geißel‘ usw.
S. bes. A. L. Lloyd, AJGLL I (1989), 53 ff.; Fow-
kes, Gothic Etym. Studies Nr. 5; Seebold,
a. a. O. 121.
Abzulehnen F. A. Wood, JEGP 1 (1897), 295 f.; MLN
15 (1900), 326: zur idg. Wz. *mel- ‚crush, rub, grind‘;
O. Hoffmann, BB 26 (1901), 131: zu lat. flīgō ‚schla-
ge‘ (vgl. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 517).