brâwaAWB f. wō-St., meist in Gl., einmal bei
Tatian und zweimal Notker: ‚Augenbraue, su-
percilium; Augenlid, palpebra, cilium; Ab-
hang, Kante‘ 〈häufig mit anl. p-, viermal als
kontrahierte Kurzform prâ, brâ (vgl. H. Paul,
PBB 7 [1880], 167 f.; Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 208
Anm. 5)〉. — Mhd. brâ st. sw. f., pl. brâ und brâ-
wen, brân ‚Braue; Wimper‘. — Nhd. Braue: wie
auch sonst bei Bezeichnungen benachbarter
Körperteile (etwa Bein und Fuß, vgl. R. Me-
ringer, WuS 3 [1912], 45 ff.) können die ge-
nannten Bedeutungen besonders umgangs-
sprachlich und in den Mdaa. vielfach füreinan-
der eintreten (s. die Diss. [Masch.] von
M. Dolch, Wortgeographie von Augenbraue,
Lid und Wimper [Marburg, 1947] und den
Auszug, ZMF 20 [1951—52], 146 ff.).
Ahd. Wb. I, 1327; Splett, Ahd. Wb. I, 97; Schütz-
eichel⁴ 80; Starck-Wells 74. 795; Graff III, 315; Scha-
de 82; Lexer I, 337; Benecke I, 230 f.; Diefenbach, Gl.
lat.-germ. 118 (cilium). 407 (palpebra). 566 (supercili-
um); Dt. Wb. II, 321; Kluge²¹ 96; Kluge²² 103; Pfei-
fer, Et. Wb. 209.
Lautgesetzliche Entsprechungen des ahd. Wor-
tes begegnen in fast sämtlichen germ. Dialekten,
so as. (slegi)brāwa, brāha ‚Braue, Augenlid‘,
mndd. brāwe, brā (pl. brān); mndl. bra(e)we,
nndl. brauw; afries. (āg)brē n. ‚Wimper; Augen-
braue‘, ae. brǣw, brēaw m. i-St., angl. brēg
‚Braue; Augenlid‘, me. breu, bre(i), bre (auch
brā, brō ‚Braue; Hügelabhang‘, vielleicht aus
dem Skand., s. Björkman, Scand. Loanwords 82
Fn. 1. 231), ne. (veraltet und mdartl.) bree ‚(Au-
gen-)Braue, Augenlid‘, brae ‚abschüssige Stelle‘;
anord. brá, nnorw. dial. braa f., ält. dän. brå,
aschwed. brā ‚Augenlid‘ (vgl. auch den Pflan-
zennamen aisl. Balder[s]brá, J. Palmer, Ark.f.
nord. fil. 34 [1917], 138 ff.).
Diese Varianten gehören allesamt zu einer in
mhd. brehen ‚plötzlich und stark aufleuchten‘
noch wohlbezeugten Stammbildung *reh- (→
brahsa, brehan, beraht) zur idg. Basis *bhere-:
*bhrē- ‚glänzen‘, die ebenfalls mit u̯o-Erweite-
rung, aber anderer Ablautstufe in got. *braƕ- :
in braƕa augins = ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ d. i. ‚im Au-
genblick‘ 1. Kor. 15, 52 vorliegt. Damit mag
man ein gleichbedeutendes, jedoch andersgebil-
detes aisl. aug(n)abragð n. ‚Zwinkern oder Blin-
ken mit den Augen, Augenblick‘ vergleichen, so-
wie die mit idg. -dh- (urspr. nur im Präs.) erwei-
terten Verbalbildungen anord. bregða, prät. brá,
wohl zunächst mit der Bedeutung von ‚flim-
mern‘, ‚rasche, zuckende Bewegungen machen‘,
dann ‚schwingen, werfen‘, demgemäß auch ae.
bregdan, brēdan st. v. ‚schnell bewegen‘; as.
bregdan ‚flechten‘ (eigtl. ‚rasch hin und her
schwingen‘), ahd. brettan ‚(das Schwert) zücken‘
(s. d.) u. a. Substantivbildungen wie ahd. brâwa
zeigen die Fortsetzung von germ. -ǣ- aus idg.
-ē-; vgl. den Vokalismus einer anderen Körper-
teilbezeichnung: ahd. klâwa ‚Klaue‘, mhd. klâ-
we, klâ st. sw. f. (< germ. *klǣwō).
Wohl abzulehnen Kluge²² 103: zu vorgerm. *mreku̯-;
→ brettan.
Fick III (Germ.)⁴ 279; Holthausen, As. Wb. 9; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 60; Berr, Et. Gl. to Hel. 63; Wadstein,
Kl. as. Spr.denkm. 81, 25. 85, 37. 221; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. I, 1, 338; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. I, 414; Verdam, Mndl. handwb. 115; Franck, Et.
wb. d. ndl. taal² 787; Vries, Ndls. et. wb. 828; Holt-
hausen, Afries. Wb.² 2 (āgbrē). 11 (brē); Richthofen,
Afries. Wb. 665; Holthausen, Ae. et. Wb. 32; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 120 (brǣw); Suppl. 104; ME
Dict A—B, 1157 f. (breu). 1185 (brō, brā); OED² II,
475 (brae). 525 (bree); Oxf. Dict. of Engl. Et. 113
(brae); Vries, Anord. et. Wb.² 51 f.; Jóhannesson, Isl.
et. Wb. 621; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 23;
Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog I, 174; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 109 (Bryn); Torp, Nynorsk et.
ordb. 15 (Baldersbraa). 38 (Braa); Ordb. o. d. danske
sprog II, 1268; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 44 f.;
Svenska akad. ordb. B-4384 f.; Feist, Vgl. Wb. d. got.
Spr. 103 (*braƕ); Lehmann, Gothic Et. Dict. B-92
(*braƕ).
Nun gehen aber neben *rǽhwō/ *ræwṓ se-
mantisch nahestehende Bildungen mit germ.
*rū- einher: ae. brū f. ‚Braue; Lid; Wimper‘,
me. broue, ne. brow ‚Braue; Stirn‘; aisl. mit Na-
salerweiterung brún, pl. brýnn (auch brúnir)
‚Braue‘, nnorw. brūn, ndän. nschwed. bryn.
Früher hat man versucht, die beiden Gruppen
auf ein gemeinsames ablautendes Paradigma
idg. *bhrēu̯- : *bhru- zurückzuführen (vgl.
P. Kretschmer, Zfvgl.Spr. 31 [1892], 336 f.; Joh.
Schmidt, ebd. 32 [1893], 330; F. Solmsen, ebd.
34 [1897], 549 ff.; Hirt, Idg. Ablaut § 840; so
noch Specht, Idg. Dekl. 162; Vasmer, Russ. et.
Wb. I, 124; Schwyzer, Gr. Gram. I, 350 β. 463
Anm. 6), aber der grammatische Wechsel in For-
men wie as. brāwa : brāha wie auch die ae. Va-
rianten brēaw, brēg setzen eine Grundform auf
idg. *-ku̯- voraus. Die von einer gesonderten
idg. Wz. *bhrū- abgeleiteten germ. *rū- Bildun-
gen waren ursprl. Benennungen der über den
Augen befindlichen Skelettwölbungen sowie der
darauf wachsenden haarigen Umrandung der
Augenbrauen — im Gegensatz zu der von der
idg. Wz. *bhere-; *bhrē- abgeleiteten urspr.
Bezeichnung des mobilen, sich ruckweise bewe-
genden Augenlids (ein- oder ausschließlich der
Wimpern). Dabei verwundert es wenig, daß
lautlicher Anklang und begriffliche Nähe der
beiden Wörter im Laufe der Zeit zu kaum mehr
entwirrbarer gegenseitiger Vermischung führ-
ten.
Holthausen, Ae. et. Wb. 36; Bosworth-Toller, AS
Dict. 128; Suppl. 107; ME Dict. A—B, 1204; OED²
II, 590; Oxf. Dict. of Engl. Et. 121; Vries, Anord. et.
Wb.² 60; Jóhannesson, a. a. O. 641; Hellquist, a. a. O.
104.
Für das größere Alter der *bhrū-Bildungen ge-
genüber den aufs Germ. beschränkten brâwa-
Bildungen spricht ihre über den Großteil des
Idg. verbreitete Geltung: aind. bhr- f., akk. sg.
bhrúv-am; jungav. bruuat̰.biiąm (Instr.Dual)
‚Brauen‘, npers. abrū; gr. ὀφρῦς ‚Braue‘; übertr.
‚erhöhter Rand‘; maked. ἀβροῦτες ⋅ ὀφρύες He-
sych I, 10; air. forbrú akk. oder gen.pl.(?), s.
Thurneysen, Gr. of OIr. § 310. 314 (vgl. auch
E. P. Hamp, Ériu 35 [1984], 201 f.); lit. bruvìs
‚Braue‘, apreuß. wubri ‚Wimper‘(?) (Umstellung
in der Sprache oder nur in der Schrift aus *bru-
wi nach Trautmann, Apreuß. Spr.denkm. XVII.
466; anders W. Smoczyński, Biuletyn Polsk. To-
warzystwa Językoznawczego 40 [1983], 168 ff.:
aus mhd. wimprā [→ wintbrâwa]); aksl. brъvь
‚Braue; Wimper‘ (ursprl. Nom. *bry wie urslav.
*kry [apoln. kry usw.]: aksl. krъvь ‚Blut‘), russ.
brov’, tschech. brva, poln. brew; tochar. A par-
wān-, B pärwāne ‚Augenbrauen‘ (s. D. A. Ringe,
Sprache 34 [1988—90], 74).
Walde-Pokorny II, 169 (*bhere-). 206 f. (*bhrū-);
Pokorny 142 (bherǝ-). 172 (*bhrū-); Mayrhofer, K.
et. Wb. d. Aind. II, 534; ders., Et. Wb. d. Altindoar.
II, 282 f.; Bartholomae, Airan. Wb. 973; Frisk, Gr. et.
Wb. II, 454; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 733 f.; Chantraine,
Dict. ét. gr. 842 f.; Fick II (Kelt.)⁴ 187; Vendryes, Lex.
ét. de l’irl. anc. B-75 (brá); Trautmann, Balt.-Slav.
Wb. 37 f.; Berneker, Slav. et. Wb. I, 91 ff.; Miklosich,
Et. Wb. d. slav. Spr. 23; Sadnik-Aitzetmüller, Vgl.
Wb. d. slav. Spr. Nr. 345; Fraenkel, Lit. et. Wb. 57;
Vasmer, Russ. et. Wb. I, 124; Windekens, Le tokha-
rien I, 366 f.; H. Hendriksen, Monumentum Georg
Morgenstierne (Leiden, 1981) I, 292 ff. — Zur Frage des
anlaut. Vokals im Griech., Maked., Npers. vgl.
O. Szemerényi, Studia Pagliaro (Rom, 1969), 233 ff.;
Jean N. Kelléris, Les anciens Macédoniens (Athen,
1954), 77 ff.
Obgleich es weder ahd. noch andd., weder mhd.
noch mndd. irgendwelche historischen Belege
der *bhrū-Bildungen gibt, deuten, wie M.
Dolch, a. a. O. gezeigt hat, die niederdt. und
hochdt. Mdaa. auf ein einstiges größeres Ver-
breitungsgebiet dieser Formen. In den dt. Mdaa.
der Gegenwart herrschen im obd. Süden Nach-
kömmlinge der ahd. Form brâwa mit den Be-
deutungen ‚(Augen)braue (mit Reliktgebieten
der *bhrū[n]-Bildungen), Wimper und Lid‘; im
Nordwesten sowie in den anschließenden nord-
östl. Landstrichen überwiegen brūn und seine
Varianten, während der md. Osten ein Mischge-
biet der beiden Formen darstellt, vgl. etwa
Schweiz. Id. V, 1027 ff.; Fischer, Schwäb. Wb.
I, 438; Jutz, Vorarlberg. Wb. I, 167. 427;
Schmeller, Bayer. Wb.² I, 335 f.; Kranzmayer,
Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. III, 780 ff.; Müller,
Rhein. Wb. I, 325 f.; dazu die oben erwähnte
Diss. von M. Dolch und die einschlägigen Wort-
karten ‚Augenbraue‘ und ‚Augenlid‘ bei Mitzka-
Schmitt, Dt. Wortatlas I, Karten 9—12.