brezzilaAWB [-ts-] f. n-St., nur in Gl.: ‚Feinge-
bäck, speziell Gebäck in Form verschlungener
Arme, Brezel, collyrida, simila frixa‘ 〈Var.:
pric-, -ll-〉; mhd. brêzel, prêzel, -ile sw. f. (die
vielfach angegebene Länge des stammhaften
-e- ist unerklärt, aber auch meist ungesichert,
s. u.).; nhd. Brezel f. — brezzitaAWB f. n-St., nur in
Gl.: ‚dss., crustula, torta‘ 〈Var.: prac-, prec-,
prez- u. a.〉; nur noch mdartl. weiterlebend,
bes. in bair. pretzede f. (s. Kranzmayer, Wb. d.
bair. Mdaa. in Österr. III, 928) und schwä-
bisch, auch halbmdartl., brezet f. (Fischer,
Schwäb. Wb. I, 1411 f.). — brezzitel(la)AWB f. n-St.,
nur in Gl. und im Nom. Sg. belegt: ‚dss.‘ 〈brici-
tel 4, 199, 34 mfrk.〉; mhd. und nhd. sind keine
sprachl. Nachkommen zu belegen, vielleicht
nur mdartl. britzel (s. u.). — brezzaAWB f. n-St.,
zweimal in Gl. und im Nom. Sg.: ‚dss.‘ 〈brezin
12. Jh., preczn̄ 14. Jh. (zur analogisch verallge-
meinerten Endung vgl. Weinhold, Mhd. Gr. §
460)〉: wohl eine späte Kurzform (s. u.), die
mhd. als pre(t)ze (-ê-?), brezze sowie frühnhd.
als bretze bezeugt und mdartl. noch weithin im
Gebrauch ist, vor allem in Württemberg und
Baden, auch in bair. prets(ǝ) (s. Fischer,
a. a. O.; Ochs, Bad. Wb. I, 323 f.; Kranzmayer,
a. a. O.) sowie in Teilen des Fränk. (vgl. etwa
Maurer-Mulch, Südhess. Wb. I, 1108 f.), aber
meist neben Brezel.
Ahd. Wb. I, 1377; Splett, Ahd. Wb. I, 103 f.; Starck-
Wells 77. 795; Graff III, 317 f.; Lexer II, 294; Benecke
I, 239; II, 531; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 132 (collyri-
da). 160 (crustula). 547 (spira); Götze, Frühnhd. Gl.⁶
40; Dt. Wb. II, 378 f.; Kluge²¹ 100; Kluge²² 105; Pfei-
fer, Et. Wb. 214.
Kein Zweifel, die zitierten Formen des Ahd. ge-
hen allesamt letzten Endes auf Ableitungen von
lat. brachium ‚Arm‘ zurück (spätlat. auch brāc-
[c]hium, vgl. Grandgent, Vulgar Latin § 163 —
ob daraus langes -ê- im Mhd.? Zur Etym. s.
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 114 und, da
griech. Lehnwort, Frisk, Gr. et. Wb. I, 264): ei-
nes der vielen lat. Lehnwörter der aufblühenden
karolingischen Klosterkultur. Hier handelt es
sich um die Bezeichnung für ein ursprl. „Devo-
tionsgebäck“, darum noch heute in katholischen
Gegenden Oberdeutschlands besonders hei-
misch (Freiburger Bretzeln, vgl. Bach, Gesch. d.
dt. Spr.⁸ § 73 sowie Heyne, Dt. Hausaltertümer
II, 277 und Fn. 73).
Die Ableitungen kamen mit Hilfe verschieden-
artiger Suffixe zustande, seien es Konglutinate
wie -āt- + -ell- in mlat. *brachiatellu, woraus
sich nicht nur tosk. bracciatello und in Touler
Glossen des 9. Jh.s bracidelli = ‚colliridę‘ (Corp.
gloss. lat. V, 618, 18), aprov. brasadel ‚ringförmi-
ges Gebäck‘, frz. breštel, bretsel und seit etwa
1900 — wohl als Neuentlehnung aus dem Süd-
west-Dt., s. Tappolet, Alem. Lehnwörter 19 — in
Pariser Bierlokalen brèchetelle, bretzel entwik-
kelten, sondern sich auch (mit Umlaut und
[-ts-] für spätlat. -cc-) ahd. brezitella ergab (s.
Grandgent, Vulgar Latin § 260; Franz, Lat.-
rom. El. im Ahd. 19. 25).
Andere Quellen sind wohl mlat. brachiolum (vgl.
Gesta Abbatum Trudonensium, MGH Scriptores
X, 314, 40: ad coenam prima die [nativitatis]
placentam cum brachiolo...), worauf ahd. brez-
(z)ila zurückgehen dürfte, oder auch *brachī-
tum, die Basis für ahd. brez(z)ita (dabei bleibt
umstritten, ob das Suffix -ītus nur adjektivie-
rend eine Eigenschaft, hier also ‚armförmig‘,
bezeichnete oder, wie im Falle von caprītus (zu
capra), italien. caprito ‚Zicklein‘, diminuierend
wirkte (vgl. A. Thomas, Romania 35 [1906],
300 ff.). Zu den roman. Suffixen auf -ātus, -ītus
und -ellus s. Meyer-Lübke, Gr. des langues ro-
manes II, § 476. 477. 500.
Im Spätmittelalter vereinigten sich diese vielfäl-
tigen Wortbildungen in einer erst vom 12. Jh. an
bezeugten, aber mdartl. noch heute besonders
beliebten Kurzform brezza; sie finden sich alle
in verschiedenen Hss. nebeneinander verzeich-
net an der Glossenstelle 3, 153, 31 ff.: brezita,
brezta, brezin, brezitella, bretzinta (Kontami-
nation?). Was den Wandel des gram. Ge-
schlechts zum heute meist üblichen Fem. (neben
Mask.) anbelangt, so mag bei dem vorwiegen-
den Gebrauch der neutr. Pl.formen auf -a im
Lat. diese Endung sich auch als Fem. Sg. einge-
bürgert haben.
Mittellat. Wb. I, 1553. 1568. 1581; Du Cange I, 755;
Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 1536; Meyer-Lübke,
Rom. et. Wb.³ Nr. 1256; ders., Zfrom.Ph. 31 (1907),
505; Wartburg, Frz. et. Wb. I, 485 ff.
Außerhalb des dt. und roman. Sprachgebiets hat sich
das dt. Lehnwort Brezel im amer. und nachträglich im
brit. Englisch eingebürgert, s. M. M. Mathews, A Dic-
tionary of Americanisms on Historical Principles II (Chi-
cago, 1951), 1311; OED² XII, 441. Auch im Skand.
der Gegenwart sowie in den slav. Nachbarsprachen ist
die dt. Bezeichnung nicht unbekannt, desgleichen im
Holländischen; bei Verdam, Mndl. handwb. 117 fin-
det sich mndl. britsel verzeichnet, das wohl aus den
angrenzenden dt. Mdaa. übernommen wurde, vgl.
Müller, Rhein. Wb. I, 993 ff. (Britzel); Woeste, Wb. d.
westfäl. Mda. 40 (Britsel). Für das Ostmd. verzeichnet
Müller-Fraureuth, Wb. d. obersächs. Mdaa. I, 152 und
155 sowohl die Wortform Brezel f. für das Gebäck wie
den (wohl älteren) Ausdruck Brizel m. für einen Men-
schen von „dürrer“ Gestalt. Auch begegnen mdartl.
Varianten mit -tsch- (ob auf der späteren Aussprache
von roman. -cc- beruhend?) in Bretschel und Bratschel
(s. Christmann, Pfälz. Wb. I, 1213 ff.) sowie volks-
etym. Entstellungen wie Bret(t)stel(l), so schon in
Fischarts Gargantua und vgl. Ch. Schmidt, Hist. Wb.
d. els. Mda. 54; Follmann, Wb. d. dt.-lothr. Mdaa. 63;
Kehrein, Volksspr. u. Wb. von Nassau 95.