bruoder
Band II, Spalte 385
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bruoder m. kons. (auch a-)St.: Bruder,
Zwillings-, Stief-, Halbbruder
; übertr. Ver-
trauter, Nächster, Mitmensch, Glaubens-, Lei-
dens-, Ordensbruder, frater, germanus
Var.:
pr-; -o-, -ua-, -ue-, auch -u- und -ou-; -th-,
-dh-. Mhd. bruoder, gen. bruoder, auch
bruoders, pl. bruoder, später brüeder (leibli-
cher) Bruder, Klosterbruder, Wallfahrer
.
Nhd. Bruder, gen. -s, pl. Brüder.

Ahd. Wb. I, 1444 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 111; Schütz-
eichel⁴ 82; Starck-Wells 81; Graff III, 300 f.; Schade
86; Lexer I, 369; Benecke I, 271; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. 246 (frāter). 261 (germānus); Dt. Wb. II, 417 ff.;
Kluge²¹ 103 f.; Kluge²² 108; Pfeifer, Et. Wb. 220.
Vgl. auch Dt. Sprachatlas Karten 12. 37. 68.

Ahd. bruoder gehört zu den Verwandtschaftsna-
men, die nicht nur in sämtlichen germ. Spra-
chen, sondern auch im übrigen Idg. fast ohne
Ausnahme ihre lautgesetzlichen Entsprechungen
haben: as. brōđar, -er, mndd. brōder, broer;
andfrk. bruother, mndl. broeder, broder, brue-
der, broer, nndl. broeder; afries. brōther, nfries.
brōr, brōer; ae. brōðor (mit Vokalharmonie in
der Nachtonsilbe), me. brōther, auch brōder,
broyer, westl. breuðer, nördl. broiþer, bruther,
ne. brother; anord. bróðir, adän. bruþur u. ä.
(run., s. Jacobsen-Moltke, Danmarks runeind-
skrifter, Text Sp. 638 f.), ndän. nnorw. nschwed.
brōder; got. brōþar = ἀδελφός (mit Kürzung
der Endsilbe zu -ar, s. Kieckers, Handb. d. vgl.
got. Gr. 95), krimgot. bruder, wohl nach
frühnhd. Muster wie krimgot. stul.

Fick III (Germ.)⁴ 280 f.; Holthausen, As. Wb. 10;
Sehrt, Wb. z. Hel.² 64; Berr, Et. Gl. to Hel. 67;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 350; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. I, 426; Verdam, Mndl. handwb.
118; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 94; Vries, Ndls. et.
wb. 88 f.; Holthausen, Afries. Wb.² 12; Richthofen,
Afries. Wb. 671 f.; Doornkaat Koolman, Wb. d. ost-
fries. Spr. I, 234 f.; Dijkstra, Friesch Wb. I, 239; Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 36; Bosworth-Toller, AS Dict.
128; Suppl. 107; Suppl. II, 12; ME Dict. AB,
1199 ff.; OED² II, 587 f.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 121;
Vries, Anord. et. Wb.² 58; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
634 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 26; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 104; Fritzner, Ordb. o. d. g.
norske sprog I, 192; Torp, Nynorsk et. ordb. 42; Hell-
quist, Svensk et. ordb.³ 100; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr.
106 f. 580; Lehmann, Gothic Et. Dict. B-100; Stearns,
Crimean Gothic 132.

Die germ. Belege führen auf eine Grundform
*rōþær zurück, der folgende verwandte Bil-
dungen aus den anderen idg. Sprachen an die
Seite zu stellen sind: aind. bhrtar-, av. brātar-,
osset. ärvád Bruder, Verwandter (s. E. Lewy,
Zfvgl.Spr. 62 [1934/35], 264).

Im Griech. gilt φρτηρ (-ερος) neben φρτωρ
(-ορος) im Attischen, ion. φρήτηρ ἀδελφός He-
sych (ed. M. Schmidt, 1533) sowie φρήτωρ (bes.
in den süditalien. Inschriften, wie CIG XIV Nr.
759 und sonst), dor. mit Endbetonung φρᾱτήρ;
bedeutungsmäßig wurde das Wort mit Aus-
nahme der Hesych-Glosse nur im übertrage-
nen Sinne von Mitglied einer Phratrie, d. i. ei-
ner (politischen) Bruder- oder Geschlechtsge-
nossenschaft
gebraucht (vgl. Ilias II, 362 f.),
während das vielleicht mutterrechtlich orien-
tierte ἀδελφός vom selben Mutterleib stam-
mend
an seine Stelle getreten ist (vgl. P.
Kretschmer, Glotta 2 [1910], 201 ff.). Viel er-
örtert ist die Tonabstufung und Ablautvariation
(der Nachsilbe), deren Gesetzmäßigkeiten im-
mer wieder durch analogische Anleihen und
Ausgleiche gestört erscheint (vgl. dazu H. Gün-
tert, IF 37 [1916/17], bes. 19; Schwyzer, Gr.
Gram. I, 355. 380; J. Wackernagel, Kl. Schriften
[Göttingen, 1953], 482); aus ablauttheoreti-
schen Erwägungen wäre eine Vorform idg.
*bhrtōr ([**bhréHtōr]; zu **H₂ vgl. idg. *m-
tōr [**méHtōr] Mutter, *pǝtr [**pHtr]
Vater; fater; muoter) zu erwarten, die aber
nach *pǝtr zu *bhrtēr umgebildet wurde; zum
Verständnis des Germ. ist wichtig festzuhalten,
daß die schon von den Alten mit dem Attischen
identifizierte Akzentuierung auf der Stammsilbe
als das Ursprl. zu gelten hat (τὸ φράτηρ Ἀττι-
κοὶ μὲν βαρύνουσιν οἱ Δωριεῖς ὀξύνουσιν
Anec-
dota Graeca, ed. J. A. Cramer, I [Oxford, 1835],
346), da sie ja auch vom Vernerschen Gesetz
bestätigt wird. Nahe verwandt ist wohl der
neuphryg. dat. sg. βρατερε = frātrī mit anlaut.
Media für idg. bh-, s. N. Jokl in Eberts Reallex. X
(1927), 145; Haas, Phryg. Spr.denkm. 103; dazu
myso-phryg. braterais (? Pokorny 163; Walde-
Hofmann, Lat. et. Wb. I, 866).

Die arm. Form lautet ełbayr mit anlaut. unorgan.
e- sowie mit Wandel des Dentals zu * vor hel-
lem Vokal *bráir > *brai (gegenüber gen. eł-
bawr < *bhrātr-os mit Wandel von *t zu * vor
*r), mit Metathese von *br zu *rb (*erbar) und
mit Dissimilation von *r zu *l (*elbar), s.
Hübschmann, Arm. Gr. 441 f., Boisacq, Dict. ét.
gr.⁴ 1036; Klingenschmitt, Altarm. Verbum 239
Anm. 11.

Das lat. Gegenstück ist frāter, semantisch nicht
so exklusiv wie lat. germānus Bruder von den-
selben Eltern
, insofern es auch Geschwister-
kind, Vetter
, ja, gelegentlich Schwestermann,
Schwager
bedeuten kann. Auch im Osk. und
Umbr. ist das Wort bezeugt, und zwar im
gen. pl. als fratrúm bzw. fratrum, fratrom, sowie
im nom. pl. umbr. frater (<* bhrāter[e]s) und
fratreks = frātricus Haupt der frātrēs. In
nächster Nähe dazu steht das auf einer Inschrift
aus Este überlieferte venet. vhraterei = frātrī
mit der Schreibung vh- für venet. f < idg. bh-,
s. Lejeune, Manuel de la langue vénète 335;
Beeler, Venetic Lang. 33 f.; F. Sommer, IF 42
(1924), bes. 124 ff. Höchstwahrscheinlich illy-
risch, wenn die übliche Konjektur *Ιλλυρίων für
das überlieferte Ἰλείων zutrifft, ist das von He-
sych bezeugte βρά ἀδελφοί, ὑπὸ Ἰλείων (I,
343); es dürfte sich um eine Koseform handeln,
wie sie nicht nur in italien. fra für frate, sondern
auch in lit. br oder serb. brâle (voc. sg.) begeg-
net, s. Krahe, Spr. d. Illyrier 44; Frisk, Gr. et.
Wb. I, 261; P. Kretschmer, Glotta 3 (1912), 33;
Schwyzer, Gr. Gram. I, 65 Anm. 2 (S. 66); Mey-
er, Alb. Stud. III, 36 (s. u.).

Die slav.-balt. Entsprechungen zeigen häufig
Varianten ohne das (wohl infolge von Dissimila-
tion unterdrückte) zweite r. So in aksl. bratъ
(neben bratrъ); dieser Entwicklung folgen auch
bulg. poln. russ. brat, serbo-kroat. brȁt u. a., da-
gegen tschech. bratr. Zur Frage des r-Schwun-
des in der Nachtonsilbe vgl. W. Streitberg, IF 1
(1892), 296; H. Hirt, ebd. 2 (1893), 360; Brug-
mann, Grdr.² I, 451. Im Balt. haben sich viel-
fach ursprl. dimin. Kurz- und Koseformen
durchgesetzt wie etwa lit. brólis (auch brollis)
statt des älteren broterlis, ähnlich lett. brãlis,
daneben bãlis, und apreuß. brāti, brote
(voc. sg.).

Andererseits ist im Kelt. und Toch. auch das
zweite r weitgehend bewahrt: so im gall. PN
Brātr-onos, weiterhin air. brāth(a)ir Bruder,
Angehöriger der Großfamilie
, kymr. brawd
nom. sg., brodyr pl., akorn. broder, mbret.
breuzr (15. Jh.), nbret. breur, pl. breudeur.
Schon bei der Entdeckung des Toch. verhalfen
Wortformen wie pracar in A und procer in B,
beide mit lautgesetzlichem Wandel von inter-
vok. -t- zu -c- (vor ē) und im Falle der B-Texte
mit dem zu erwartenden o für idg. ā zur Identi-
fizierung des Neuankömmlings als idg. (s. Win-
dekens, Orbis 22 [1973], 369 ff.; G.-J. Pinault,
LALIES. Actes des sessions de linguistique et de
littérature 7 [Paris, 1989], 58).

Walde-Pokorny II, 193; Pokorny 163 f.; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. II, 530 f.; ders., Et. Wb. d. Altin-
doar. II, 280 f.; Bartholomae, Airan. Wb. 971; Frisk,
Gr. et. Wb. II, 1039 f.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 1036;
Chantraine, Dict. ét. gr. 1226; Walde-Hofmann, Lat.
et. Wb. I, 541 f. 866; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.
252; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 36; Berneker, Slav.
et. Wb. I, 82; Sadnik-Aitzetmüller, Vgl. Wb. d. slav.
Spr. Nr. 325. 325a; Fraenkel, Lit. et. Wb. I, 59 f.;
Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. I, 328; Traut-
mann, Apreuß. Spr.denkm. 313; Fick II (Kelt.)⁴ 182;
Holder, Acelt. Spr. I, 513 f.; Vendryes, Lex. ét. de l’irl.
anc. B-80 f.; Dict. of Irish B-163; Dict. of Welsh 311;
Windekens, Le tokharien 387; Pedersen, Tocharisch
40. 226. Vgl. auch Delbrück, Idg. Verwandtschaftsna-
men 84 ff.

So einfach und durchsichtig im allgemeinen die
sprachlichen Tatbestände des zu erschließenden
idg. *bhrtēr (anstelle von älterem *bhrtōr,
s. o.) und seiner einzelsprachlichen Vertreter
sind, so hoffnungslos bleibt die Frage nach der
Bedeutung des Wortes: der immer wieder ver-
suchte Anschluß an die Allerweltswurzel *bher-
etwa im Sinne dessen, der trägt oder erhält
(vgl. aind. bhartár- Ernährer), hat wenig Über-
zeugendes, ganz abgesehen von den lautlichen
Bedenken und der Frage nach dem Ursprung
der Ableitung *-tēr (abwegig O. Szemerényi,
Varia, Acta Iranica 16 [Teheran-Lüttich-Lei-
den, 1977], 22 ff.: *bhr-āter- der das Feuer
pflegt
); aber auch die Herkunft aus einem Lall-
wort, wie sie sich bei idg. *pǝtr oder *mātr
denken läßt ( fater, muoter), kommt für eine
Wz. *bhrā- schwerlich in Betracht.

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