drâenAWB sw. v. I, prät. drâta, part. prät. gi-
drâ(i)t, nur bei Notker, Williram und in Gl.
seit dem 8. Jh.: ‚drehen, tornare, torquere, ro-
tare; runden, drechseln, erhaben ausarbeiten‘
〈Var.: th-, -e-, mit hiatusfüllendem -h-, -g-,
-i-〉. — Mhd. dræen, dræjen, dræn, drân, prät.
dræte, drâte sw. v. ‚drehen, drechseln; sich
drehend bewegen‘, nhd. drehen (auch fach-
sprachlich vom Drehen der Leier). Neben den
vom 11.—14. Jh. dominierenden und noch heute
besonders im Alem. geltenden j/ g-Formen,
wobei sich aus aj (vgl. mndd. dreyen; s. u.)
mdartl. dann ein Diphthong entwickelt hat
(spätmhd., frühnhd. alem., westmd. und in
heutigen schweiz. und schwäb. Mundartfor-
men), kommen auch Lautungen mit hiatusfül-
lendem -w-, -b- vom 13. bis 17. Jh. vor
(mdartl. noch ofrk., thür.). n-Formen treten
mehrfach im Bair. (neben Kontraktionsformen
wie drān) und Mfrk. auf; vgl. auch Gottscheer
Mundart drānǝn ‚drehen‘ (H. Tschinkel,
Gramm. der Gottscheer Mda. [Halle, 1908],
§ 195). Der nhd. schriftsprachlichen Form liegt
eine Form ohne Gleitkonsonant zugrunde. Seit
Mitte des 17. Jh.s ist das h als Zeichen für den
Hiatauslaut fest. Vom 15. Jh. an setzt sich für
das nicht mehr als Umlaut von ā empfundene
ǟ zunächst im Md. und auch in obd. Texten e-
Schreibung durch, die dann eine Aussprache
mit geschlossenem ē zur Folge hat.
Splett, Ahd. Wb. I, 147; Schützeichel⁴ 92; Starck-
Wells 106. 800. 841; Graff V, 238; Schade 109; Raven,
Schw. Verben d. Ahd. I, 30; Lexer I, 457; Benecke I,
387; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 588; Dt. Wb. II,
1361 ff.; Dt. Wb.² VI, 1341 ff.; Kluge²¹ 141; Kluge²²
154; Pfeifer, Et. Wb. 305; W. Relleke, Ein Instrument
spielen. Instrumentenbez. und Tonerzeugungsverben im
Ahd., Mhd. und Nhd. (Heidelberg, 1980), 294 f.
Ahd. drâen entsprechen: as. thrāian, mndd.
dreyen (> nnorw. dreie, ndän. dreje ‚drehen,
drechseln‘, nschwed. dreja ‚drehen‘), nndd. drei-
en ‚winden, wenden, schlingen‘; mndl. draeyen
(prät. auch drieu), nndl. draaien (> ält. nfrz.
drayer ‚ausschaben, ausfleischen‘); ae. ðrāwan
st. v. (prät. ðrēow, part. prät. ðrāwan) ‚drehen,
quälen‘, me. throwen st. v. ‚drehen, werfen‘, ne.
throw st. v. ‚werfen‘; vielleicht aisl. PN þráinn
(eigtl. Part. Prät., wenn nicht < *þrawinar ‚der
Drohende‘; → drawa): < *þrējan-. Neben der
überwiegenden sw. Flexion flektiert das Verb im
Ae. (Me., Ne.) und, wenn aisl. þráinn zugehörig
ist, auch im Aisl. stark. Die st. Flexion hält
K. Matzel (Gesammelte Schriften 30 f. 55 ff.) für
das Ursprüngliche; bei den Verba pura sei die
sw. Flexion nach einem Muster wie Inf. *wurk-
jan ‚wirken‘, Verbaladj. *wurχta-, Prät. (3. sg.)
*wurχtē = *sējan ‚säen‘, Verbaladj. *sēđa- : x;
x = *sēđē (ahd. sāta ‚säte‘) zustande gekommen.
Doch weist G. Thórhallsdóttir (Development of
Intervocalic *j in PGmc [Diss. Cornell Universi-
ty (1993), 71 ff.] darauf hin, daß bei den Verba
pura to-Partizipien, die nach Matzel die Brücke
für die Ausbildung der sw. Präterita bilden, nor-
malerweise fehlen. Wie das sw. Prät. ae. būde
(von būan ‚leben‘) deutlich mache, könne ein
sw. Prät. auch ohne das Vorhandensein eines
to-Partizips gebildet werden.
Fick III (Germ.)⁴ 181. 189; Holthausen, As. Wb. 78;
Vries, Ndls. et. wb. 131; Holthausen, Ae. et. Wb. 368;
Bosworth-Toller, AS Dict. 1065; OED² XVIII, 16 ff.;
Oxf. Dict. of Engl. Et. 920; Vries, Anord. et. Wb.²
619; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 154; Ordb. o. d.
danske sprog III, 925 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 71;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 154; Svenska akad. ordb.
D-2090 ff.; F. Kluge, W. Viëtor-Festschrift (Marburg,
1910), 106 ff.; A. S. C. Ross, Etymology with Especial
Ref. to Engl. (London, 1965), 155 f. — Wartburg, Frz.
et. Wb. III, 149; XV, 2, 67.
Zu der ahd. drâen zugrunde liegenden Wz.
*þrē- stellen sich: gr. τείρω (nur präs., imperf.,
äol. perf. τέτορται) ‚reibe auf, erschöpfe, ent-
kräfte, quäle‘ (< *teri̯ō < *terǝ- [**terH₁-]);
lat. terō (trīvī, trītus) ‚reibe (ab), zerreibe, dre-
sche, reibe auf‘; aksl. tьrǫ, trěti ‚reiben‘ (<
*tьrǫ, *terti < *tr̥̄-, *terǝ- [**tH₁-, *terH₁-]);
lit. tìrti (tiriù, týriau) ‚erfahren, forschen, un-
tersuchen‘, tìrtas ‚durchforscht‘ (< *tr̥̄to-
[**tH₁to-]), lett. tirt ‚ausfragen, in Erfahrung
bringen‘ (vgl. nhd. bohren, bohrend fragen), se-
kundäres n-Infix-Präsens lit. trìnti (trinù, trý-
niau) ‚(durch)reiben, feilen, sägen‘, lett. trīt
(trinu) ‚reiben‘, apreuß. 3. sg.ind. trinie ‚droht‘
(vgl. die Bedeutung ‚quälen‘ von gr. τείρω). Eine
urgerm. *þrē- entsprechende Ablautstufe begeg-
net in Formen des semantisch ferner stehenden
Verbs gr. τετραίνω (Neubildung nach den Ver-
ben auf -αίνω), aorist τετρῆναι (meist mit Prä-
fix, besonders δια-, συν-) ‚durchbohren, durch-
löchern‘, τρη-τός ‚durchbohrt‘ (Weiteres →
drum), wozu mit der Ablautstufe *terǝ-
[**terH₁-] wiederum lat. terebra, -ae f. ‚Bohrer‘,
und wahrscheinlich air. tarathar ‚Bohrer‘, mbret.
tarazr, talazr, nbret. tarar, nkymr. taradr,
gall.-lat. taratrum (< **terH₁tro- oder eher
**terH₁tro- mit Entwicklung von *era > *ara
im Kelt. oder analogisch nach air. arathar
‚Pflug‘ < *aratro- [**H₂arH₃to-]?; s. A. Bam-
mesberger, Ét. celt. 18 [1981], 117 ff.; dazu
E. P. Hamp, Ét. celt. 20 [1983], 91) gehören.
Daher kann auch für die Bedeutung ‚reiben‘ eine
neben *terǝ- [**terH₁-] (‚drehend reiben,
durchbohren‘) stehende Ablautstufe *trē-
[**treH₁-], wie sie im Germ. auftritt, für das
Uridg. postuliert werden; zum Ansatz von **H₁
vgl. gr. τέρετρον ‚Bohrer‘.
*terǝ- [**terH₁-] bildet nach allgemeiner Ansicht ein
Suppletionsparadigma mit der Wurzelform *trī-
[**triH₁-], wie lat. perf. trīvī, part. prät. trītus (zu terō
‚reibe‘, s. o.) neben gr. τρίβω (sehr oft mit Präfix, z. B.
ἀπο-, κατα- usw.) ‚(zer)reibe, erschöpfe, verbrauche‘
zeigen. Eine unmittelbare Verbindung der unter-
schiedlichen Stämme beruht auf Hirts (Idg. Ablaut 81)
von der älteren Forschung aufgegriffenem Ansatz *te-
rēi- ‚bohren‘ (s. auch Curtius, Grundzüge d. gr. Et.⁵
222 f.; Persson, Beitr. z. idg. Wortf. 639 f. 776 Anm. 1).
Laryngalistisch ergäbe sich dagegen ein Wz.-Ansatz
**treH₁i-, wobei in der Schwundstufe Laryngalmeta-
these zu **triH₁- eingetreten wäre.
Walde-Pokorny I, 728 ff.; Pokorny 1071 f.; Fick I
(Idg.)⁴ 59 f. 443; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I,
483. 514; ders., Et. Wb. d. Altindoar. I, 632. 657; Mo-
nier-Williams, Skt.-Engl. Dict. 135. 451; Boisacq,
Dict. ét. gr.⁴ 948 f. 985; Frisk, Gr. et. Wb. II, 865. 879.
883. 885. 930 ff.; Chantraine, Dict. ét. gr. 1098. 1106.
1109 f. 1137 ff.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II,
672 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 686 f.; Traut-
mann, Balt.-Slav. Wb. 324. 329; Miklosich, Et. Wb.
d. slav. Spr. 352 f.; Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. z. d.
aksl. Texten 138. 320; Vasmer, Russ. et. Wb. III, 97.
133; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1102. 1124. 1129; Mühlen-
bach-Endzelin, Lett. dt. Wb. IV, 242; Trautmann,
Apreuß. Spr.denkm. 450; Fick II (Kelt.)⁴ 123; Holder,
Acelt. Spr. II, 1730; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. T-
30; Dict. of Irish T-77; E. O. Lindeman, Norsk tids-
skrift f. sprogv. 22 (1968), 71; Beekes, Develop. of PIE
Laryngeals 228 f. 237.
In der ursprgl. Bedeutung ‚aufgerieben‘ werden teils
als zugehörig betrachtet: aind. tura-, turá- ‚krank‘
(oder ‚wund‘); gr. τέρην, -εινα, -εν ‚zart‘. Doch liegt
eine Vorform *tr̥̄o- [**tH₃o-] und damit Anschluß
an gr. τιθρώσκω ‚verwunde‘ näher (→ drawa); vgl.
auch die mit *-u erweiterte Wurzelform *ter(ǝ)u-
[**ter(H₃)u-] in den möglicherweise zugehörigen For-
men aind. táruṇa- ‚jung, frisch, zart‘, av. tauruna-
‚jung‘, m. ‚Knabe‘; gr. Hesych τέρυ ⋅ ἀσθενές, λεπτόν
‚zart, schwach‘. — Das von Seebold (Kluge²², a. a. O.)
verglichene Verb gr. τιτράω ‚durchbohre‘ ist ebenso
wie τίτρημι ein sekundäres Präsens zu dem Perf. me-
dium τέτρημαι.
Als ablautende Form zu urgerm. *þrējan- gilt
got. þroþjan (nur 2.sg.imp. þroþei) ‚üben‘,
usþroþjan (nur part.prät. us-þroþiþs) ‚ein-
üben‘, usþroþeins f. ‚Übung‘. Verglichen wird
aksl. traštę ‚μεταδιώκων‘, russ. tratit’ ‚verbrau-
chen, ausgeben‘ < urslav. *tratiti (dazu lit. pa-
trota ‚Unrat‘; gr. ἀ-ταρτᾶν in ἀταρτᾶται ⋅ βλάπ-
τει, πονεῖ, λυπεῖ? (F. Bechtel, Zfvgl.Spr. 46
[1914], 161). Trifft die Verbindung mit der in
ahd. drâen vorliegenden Wz. urgerm. *þrē-
‚drehen‘ zu, so liegt von der Bedeutung her aber
eine Ableitung von einem ablautenden Part.
Prät. *þrōþa- (vorurgerm. *trṓ-to- oder *trō-
tó- mit sekundärem þ im Got.) ‚gedreht‘ näher,
da dann das Verb *þrōþ(i)jan- als faktitives
Denominativ mit der Bedeutung ‚gedreht ma-
chen‘ > ‚üben‘ aufgefaßt werden kann; zum Be-
deutungswandel vgl. lat. trītus ‚geübt‘.
Osthoff-Brugmann, Morph. Unters. I, 41 f.; zu weite-
ren, aber weniger sicheren Anschlüssen s. Feist, Vgl.
Wb. d. got. Spr. 503; Lehmann, Gothic Et. Dict. þ-56.