dwinganAWB st. v. III, seit dem 8. Jh.: ‚zwingen,
bezwingen, binden, beherrschen, unterwerfen,
zügeln, züchtigen; bekämpfen, beschuldigen,
constringere, affligere, urgere‘ 〈Var.: th(w)-, t-,
-en; Gl. 4, 264, 4 Oxford Laud. lat. 92 mfrk.
duuand als hyperkorrekte Schreibung für
duuang; s. Bergmann, Mfrk. Glossen 296; vgl.
as. Gl. 4, 287, 60 bethuindan. Im Part. Prät.
überwiegt in den ältesten ahd. Gl. gidungan,
githungan mit lautgesetzlichem Schwund des
w vor u, in K ausnahmslos, in Pa und Ra in
der Mehrzahl der Belege; vgl. auch Musp. pi-
dungan, Trierer Cap. bethungen, Notker
W.Ps. gedungen und latinisiertes thunginus in
der Lex Salica (s. E. Karg-Gasterstädt, PBB 72
[1950], 314 ff.). Doch wird w im Laufe der
ahd. Zeit restituiert; vgl. schon Pa caduungan〉.
— Mhd. dwingen, twingen, quingen, zwingen
‚(zusammen)drücken, zusammenfügen, pres-
sen‘, nhd. zwingen. tw- im Anlaut, das verein-
zelt schon im 9. Jh. und dann bei Notker belegt
ist, herrscht im Mhd. bis gegen Ende des
15. Jh.s; zw-Anlaut setzt im 14. Jh. ein. Seit
dem 13. Jh. erscheint kw- statt tw-, und zwar
vor allem im Omd. Demgegenüber tritt im
Schwäb. (lokal beschränkt oder eher individu-
ell) im Anlaut schw- auf. Der Ablaut im
Stammsilbenvokal des Prät. mhd. sg. twanc,
pl. twungen ist erst während der nhd. Sprach-
periode ausgeglichen worden.
Splett, Ahd. Wb. I, 160; Schützeichel⁴ 96; Starck-
Wells 113 f. 801; Graff V, 269 ff.; Schade 121; Lugin-
bühl, Stud. z. Notkers Übers.kunst 87; Lexer II,
1602 f.; Benecke III, 161 f.; Diefenbach, Gl. lat. germ.
145 (constringere). 630 (urgere); Dt. Wb. XVI,
1224 ff.; Kluge²¹ 897; Kluge²² 821; Pfeifer, Et. Wb.
2053 f.; Braune, Ahd. Gr.¹⁴ § 105. 159 Anm. 5. 336
Anm. 5; Schatz, Ahd. Gr. § 192 f. 283. 503; Franck,
Afrk. Gr.² § 69. 93. 184; Paul, Mhd. Gr.²³ § 148.
166, 2. 247; Wilmanns, Dt. Gr. I § 85; Paul, Dt. Gr.
II, 214 f. — Fischer, Schwäb. Wb. VI, 1, 1461; W. Besch,
Sprachlandschaften u. Sprachausgleich im 15. Jh. (Mün-
chen, 1967), 129.
Ahd. dwingan entsprechen: as. thwingan (part.
prät. bethungun neben bethuindan) ‚zwingen,
bedrängen‘, mndd. dwingen, twingen ‚(er)zwin-
gen, rechtlich erlangen; drücken, pressen, be-
drängen‘; mndl. dwinghen, nndl. dwingen
‚drücken, kneifen, beherrschen, stillen, nöti-
gen‘; afries. thwinga ‚zwingen‘, nostfries. dwin-
gen, nwestfries. twinge ‚zwingen, nötigen‘; me.
twingen (part. twungen, nur vereinzelt um 1300
als Variante neben twinged); aschwed. þvinga
(prät. þvang und þvingaþe), mschwed. þvinga
(prät. twyngde und thwang, twang), nnorw.,
nschwed. tvinga, ndän. tvinge sw.v. neben
nnorw., nschwed. tvinga st. v.: < urgerm.
*þwinan-. Die Entsprechung von ahd. dwin-
gan fehlt nur im Altenglischen und Gotischen;
doch ist im Ae. eine Verbalableitung ðwinglian
‚aufbinden‘ belegt. Das spät und selten bezeugte
sw. Verb aisl. þvinga (prät. þvingaða) ‚drük-
ken, unterdrücken, plagen, nötigen‘ (nisl. þvin-
ga) ist wohl nicht einheimisch, sondern aus dem
Mndd. entlehnt (Fischer, Lehnw. d. Awestnord.
43). Ne. twinge ‚kneifen, pressen‘ und ae. twen-
gan ‚kneifen‘ haben wie ahd. zwangôn ‚reizen,
kneifen‘, zwengen ‚zupfen, kneifen‘ (s. d. d.) die
Fortsetzung von urgerm. *t- im Anlaut (anders
H. Kuhn, Gedenkschrift für William Foerste
[Köln, 1970] 42: ne. twinge usw. mit der Fort-
setzung eines vorgerm. Anlauts-t). Auf die
Schwundstufe einer Wz. urgerm. *þwenχ- kön-
nen ahd. dûhen (vgl. auch Gl. 4, 222, 30 ardhu-
hent ‚expremunt‘), andfrk. -thūwen, mndl. du-
wen, douwen ‚drücken, kneifen‘, nndl. duwen
‚bedrängen, drücken‘, ae. ðȳ(a)n, ðēon, ðȳwan,
ðeowan ‚pressen, drücken, zwingen; stoßen, er-
stechen‘ weisen (→ dûhen).
Fick III (Germ.)⁴ 196; Seebold, Germ. st. Verben
526 f.; Holthausen, As. Wb. 80; Sehrt, Wb. z. Hel.²
622; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm. 233; Gallée, Vorst.
z. e. andd. Wb. 350; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 506; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. I,
615 f.; Verdam, Mndl. handwb. 157; Verwijs-Verdam,
Mndl. wb. I, 504 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 146;
Vries, Ndls. et. wb. 147; Holthausen, Afries. Wb.²
113; Richthofen, Afries. Wb. 1081 f.; Doornkaat
Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I, 375; Dijkstra, Friesch
Wb. III, 357; Holthausen, Ae. et. Wb. 373 f.; Bos-
worth-Toller, AS Dict. 1027; Stratmann-Bradley, ME
Dict.³ 626; OED² XVIII, 757; Vries, Anord. et. Wb.²
629; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 452; Fritzner, Ordb. o.
d. g. norske sprog III, 1060; Heggstad, Gamalnorsk
ordb. 736; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 323 f.;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 1305. 1313; Ord. o. d.
danske sprog XXIV, 1162 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb.
823; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 1252; Söderwall,
Svenska medeltids-spr. III, 746.
Außergerm. vergleicht man mit urgerm. *þwin-
an- das av. Verb θβązjaiti (< *tu̯eng̑h-se-ti;
mit Wandel von uridg. *-g̑h-s- > urar. *-žh-
> av. -zj-) ‚gerät in Bedrängnis‘ < uridg.
*tu̯eng̑h-. Gehört auch ahd. dûhen hierher, so
ist anzunehmen, daß im Urgerm. die Wurzel-
form *þwen- als eine durch grammatischen
Wechsel entstandene Lautung aufgefaßt und zu
*þwen- so eine Variante *þwenχ- gebildet
wurde. Ein Vorbild für diese Wurzelvarianten
gäbe etwa die Wz. *þrenχ-/*þren- ab, die in
got. þreihan ‚drücken, pressen‘/ahd. dringan
(s. d.) fortgesetzt ist; vgl. auch die Wurzeln
*wren-/*wrenχ- ‚winden, wringen‘ und
*klen-/*klenχ- ‚(sich) zusammenziehen‘: ae.
wringan ‚winden, wringen‘; anord. rá f. ‚Win-
kel, Ecke‘, älter mit anlautendem vr- (< *wran-
χō) bzw. ahd. clāh- in Clahuelde, ne. clough
‚Bergschlucht‘; ahd. klingan ‚sich kräuseln‘ (s.
Lühr, Expressivität 123 ff. 177 ff.).
Auch ein Anschluß an uridg. *tu̯enk- ‚drücken‘
wurde erwogen: aind. (unbelegt) tvanakti ‚zieht
zusammen‘ (aind. tvák f. ‚Haut, Fell‘, srya-tva-
cas- ‚dessen Haut wie die Sonne glänzt‘ bleibt
wegen heth. tu̯ekka- ‚Körper, Person, selbst‘
fern, → dwerah; anders Fick I [Idg.]⁴ 63 f.), gr.
σάττω < *σάκi̯ω ‚stopfe voll‘, σηκός m. (dor.
mit ᾱ) ‚Einfriedung, Umzäunung, Hürde, Stall‘,
lit. tvankùs ‚heiß, schwül, drückend‘, tvankà
‚Schwüle‘, lett. tvan̂ks ‚Gestank, Dampf‘, tvìkt
(-kstu, -ku) ‚Schwüle fühlen, vor Hitze
schmachten, dursten‘, tvīksme ‚Hitze, Schwüle‘,
lit. tveñkti (-kiù, -kiaũ) ‚(das Wasser, einen
Fluß durch Verschüttung von Schleusen usw.)
anschwellen oder anstauen machen, (ein)däm-
men‘, reflexiv ‚sich versammeln‘, toch. twāṅk-
‚einzwängen‘ (part. prät. A tātwänku, B tātwāṅ-
kan, A konj.medium twāṅkatär). Doch ist das
aind. Verb nur bei Grammatikern belegt und
möglicherweise zu tanákti ‚macht gerinnen‘ hin-
zuerfunden; und gr. σάττω kann auch eine zu
gr. σαγή ‚Bepackung, Ausrüstung‘ gehörige und
so eine anstelle von *σάζω (< *σάγi̯ω) analo-
gisch nach dem Aorist σάξαι zustande gekom-
mene Bildung sein (s. Bechtel, Gr. Dial. II, 745:
γ ursprl. wegen kret. σάδδῃ mit δδ < *gi̯;
K. Brugmann, IF 28 [1911], 286 Anm. 2;
Schwyzer, Gr. Gr.² I, 715). Dennoch gibt es an
einer neben uridg. *tu̯eng̑h- stehenden Wz.
*tu̯enk- ‚drücken‘, von der sowohl ahd. dwin-
gan als auch ahd. dûhen herleitbar wären, kei-
nen Zweifel.
Walde-Pokorny II, 746 ff.; Pokorny 1099 f.; Fick I
(Idg.)⁴ 449; Mann, IE Comp. Dict. 1465 (die Verbin-
dung mit der Sippe von aksl. tęgostъ f. ‚Last, Bürde‘ ist
jedoch unzutreffend; s. Trautmann, Balt.-Slav. Wb.
318; Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 350 f.; Sadnik-
Aitzetmüller, Handwb. z. d. aksl. Texten 317 f.: zu av.
θang- ‚ziehen‘; anord. þungr ‚schwer‘ usw.); Mayrho-
fer, K. et. Wb. d. Aind. I, 537 f.; ders., Et. Wb. d. Alt-
indoar. I, 684; Bartholomae, Airan. Wb. 798; Boi-
sacq, Dict. ét. gr.⁴ 854 f.; Frisk, Gr. et. Wb. II, 681.
695 (nach A. Bezzenberger, BB 12 [1887], 240):
σάττω < *σάκi̯ω; Chantraine, Dict. ét. gr. 989 f.;
Fraenkel, Lit. et. Wb. 1149. 1151 f. 1153 f.; ders., Le-
xis 3 (1953), 66 f. (der Anschluß von gr. σηκός an
dwingan wird zugunsten der älteren Verbindung mit
gr. σωκός ‚kräftig, stark‘ usw. aufgegeben); Mühlen-
bach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. IV, 288; A. J. van Win-
dekens, Orbis 11 (1962), 180; 12 (1963), 188; ders.,
Le tokharien I, 518.
S. auch dwang, dwengen, gidwang, gidwing,
unbidwungan, unbidwunganî.