edoAWB, odoAWB konj. ‚oder, und, sonst, vel, sive,
aut‘ 〈Var.: a-, æ-; -dh-, -dd-; -a, -e, -eo,
erd(h)o, erđo, erdu, ardo, o(r)der〉. Die ältesten
Varianten sind eddo und odo (8. Jh. Zur Ver-
einfachung der Doppelkonsonanz infolge der
meist proklitischen Stellung s. Braune, Ahd.
Gr.¹⁴ § 167 Anm. 11). — Mhd. ode, od, oder,
nhd. oder. Das -r ist nach dem Vorbild von
aber und weder angetreten; vgl. ahd. (h)wedar
... odo ‚ob ... oder‘.
Ahd. Wb. III, 57 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 1214; Schütz-
eichel⁴ 203; Starck-Wells 123. 802. 841; Graff I,
146 f.; Schade 123; Lexer II, 140; Benecke II, 430;
Diefenbach, Gl. lat.-germ. 63 (aut). 539 (sive). 609
(vel); Dt. Wb. VII, 1148 ff.; Kluge²¹ 519; Kluge²²
513; Pfeifer, Et. Wb. 1193; Behaghel, Dt. Syntax III,
237 f.
Zusammen mit ahd. edo weisen die e-haltigen
Lautungen as. ettho, -a (mndd. ēder, edder;
mndl. ed[d]er), ae. eðða, got. aiþþau auf eine
Vorform mit *-þþ-; vgl. got. miþþan ‚inzwi-
schen‘ < miþ + þan. Vereinfachung der Dop-
pelkonsonanz begegnet in aisl. eða, eðr, nisl.
eða, adän. æthæ, runennord. iþa. Von den e-
haltigen Formen sind die o-/ a-haltigen zu tren-
nen und zu ahd. odo zu stellen: as. ohtho, atha,
mndd. āder, adder; mndl. oder; ae. oðða, -e,
-on, -er, me. oththe, odðe, odde, oðe, ne. or.
Da kein Lautwandel von e zu o im Nebenton
nachgewiesen werden kann, ist hier eine eigene
Vorform anzusetzen. Aus dem Ndd., Ndl. und
Afries. stellen sich weiterhin Formen mit -f-
hierher: as. eftho, -a, ofthe, mndd. eft, oft(e);
mndl. ofte, ocht; afries. jeft(h)a, ieft, ioftha, of-
tha, ofte, efter. Die Ausgänge got. -au, aisl. -a,
ae. -a, as. -o, -a und ahd. -o beruhen auf ur-
germ. *-au (vgl. got. ahtau, aisl. átta, ae. eahta,
afries. achta; → ahto ‚acht‘). Der Bestandteil
*þau ist identisch mit got. þau ‚als, doch, oder‘
< *þa-u (< *to-u mit *to vom Pronominal-
stamm *te/ o- [→ der] + Fragepartikel -u; vgl.
in umgekehrter Reihenfolge aind. utá ‚und
auch‘). Dagegen ist aisl. eðr, ae. oððer wie ahd.
oder analogisch nach Adverbien auf -đr umge-
bildet; vgl. ae. hwæðer in hwæðer ... oððe ‚ob
... oder‘ (anders gebildet ist ndän., nschwed. el-
ler ‚oder‘, eigtl. ‚andernfalls, sonst‘ [anord. el-
lar], das die Fortsetzung von adän. æthæ ver-
drängt hat); → elichô r; und ae. -e in oððe kann
ein zu -a, das als Adverbialausgang aufgefaßt
wurde, neugebildeter Adverbialausgang sein.
Als Vorform für die e-haltigen Lautungen ergibt
sich *eđe/a þau ‚wiederum doch‘ mit Wandel
von *e zu got. aí im Schwachton wie in got.
waila ‚gut‘ (und der Reduplikationssilbe der st.
Verben der VII. Klasse gegenüber got. ni
‚nicht‘, iþ ‚aber‘ mit bereits urgerm. schwachto-
nigen *i); vgl. ae. ed-niwe ‚ganz neu‘ < ‚wieder
neu‘ (< *eđa); aisl. ið-giold ‚Vergeltung‘ (<
*eđi ‚wieder‘; → it(a)niuwes ‚von neuem‘ und
vgl. Pokorny 344; und als Vorform für die o-
haltigen Lautungen ist *uþe/a bzw. *uđe/a þau
‚andererseits doch‘ anzunehmen (vgl. aind. utá
... utá ‚einerseits — andererseits‘) oder eher noch
*ađe/a þau ‚wiederum doch‘ (mit schwachtoni-
ger Entwicklung von *a > o); vgl. ahd. atahaft
‚ununterbrochen‘ < *ađē/ōn χafta- ‚immer wie-
der behaftet mit‘; s. aber atahaft; gr. ἀτάρ ‚dage-
gen, aber‘ < *at + ar, lat. at ‚aber‘, got. aþþan
‚aber, doch‘, lit. ati- ‚weg, wiederum, zurück,
herzu, herbei‘, air. aith-, vortonig ad- ‚wieder,
ent-‘ < *ati. Dagegen beruhen die f-haltigen
Formen as. eftho usw. auf einzelsprachlicher
Kontamination mit dem Wort für ‚ob, wenn‘;
vgl. as. ef, of ‚ob, wenn‘; afries. ief, ef, iof, of
‚wenn‘; ae. ef, of ‚ob, wenn‘. Man braucht also
nicht ein urgerm. *eftþau anzusetzen, wobei
*-ftþ- > *fþþ- nach singulären Lautgesetzen,
wie etwa G. Schmidt, Germ. Adv. 88 annimmt,
einmal zu -fþ-, ein andermal zu -þþ-, verein-
facht wäre. Ein Kontaminationsprodukt stellt
ebenfalls ahd. erdho, erđo, Hildebr. erdo dar,
da es für eine Dissimilation von *-þþ- > -rþ-
sonst keine Zeugnisse gibt. Sofern Hildebr. wer-
dar ‚ob‘ eine sprachwirkliche Form ist (→ we-
dar; vgl. Hildebr. 56 ff. niuse, de motti, werdar
sih hiutu dero hregilo hrumen muotti erdo desero
brunnono bedero uualtan ‚Versuche, der es
kann, ob er sich heute der Brustpanzer rühmen
kann oder über diese beiden Brünnen Herr sein‘;
s. Lühr, Stud. z. Hildebrandlied 690 ff.), könnte
ein ahd. hwerdar ‚ob‘ im Ahd. auf eddo ‚oder‘
einen Einfluß ausgeübt und ahd. erdo verursacht
haben (R. Lühr, Mü. Stud. z. Spr.wiss. 34
[1976], 77 ff.).
Fick III (Germ.)⁴ 24; Holthausen, As. Wb. 14; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 92; Berr, Et. Gl. to Hel. 88 f.; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 512; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. I, 628; Verdam, Mndl. handwb. 158;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 466; Vries, Ndls. et. wb.
479 (jedoch mit Annahme einer Assimilation von *fþ
> þþ); Holthausen, Afries. Wb.² 52; Richthofen,
Afries. Wb. 839 f.; Dijkstra, Friesch Wb. II, 256; Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 94; Bosworth-Toller, AS Dict.
266. 770; Suppl. 678; ME Dict. O-351; OED² X,
882 f.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 630; Vries, Anord. et.
Wb.² 93 f. 615; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 18; Holthau-
sen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 45 f.; Fritzner, Ordb. o. d.
g. norske sprog I, 281 f.; Falk-Torp, Norw.-dän. et.
Wb. 187; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 29; Lehmann,
Gothic Et. Dict. A-92; Grienberger, Unters. z. got.
Wortkunde 17: *aif-þau > got. aiþþau; Streitberg,
Got. El.buch § 26 Anm. 1: *-fþ- > *-þþ- (doch dazu
s. o.); W. Bennett, Lang. 43 (1967), 64: got. iþ ‚aber‘
+ þau ‚der‘ (vgl. A. Bezzenberger, Unters. über die got.
Adv. u. Partikeln [Halle, 1873], 93 f.); wieder anders
F. Cercignani, JIES 12 (1984), 329 ff.: got. ai- beruhe
auf dem Einfluß eines h; ähnlich R. Meringer bei
S. Singer, PBB 12 (1887), 211; Kieckers, Handb. d.
vgl. got. Gr. § 11 (Krause, Handb. d. Got.³ § 61): got.
aiþþau < *aihþau mit aih- gleich lat. ec- in ecce ‚da,
sieh da‘; doch beruht lat. ecce auf *ed-ce (Walde-Hof-
mann, Lat. et. Wb. I, 390). Dagegen ist nach Seebold
(Kluge²²) der zweite Bestandteil der Dual des Demon-
strativpron., während der erste Bestandteil unklar ist.
Zu *ati, *ute s. Walde-Pokorny I, 42 f.; Pokorny 70;
Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. I, 101; ders., Et. Wb.
d. Altindoar. I, 57. 212; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb.
I, 75; Fraenkel, Lit. et. Wb. 20; Vendryes, Lex. ét. de
l’irl. anc. A-13. Der Verbindung von aind. utá mit gr.
ἠ-ύτε ‚wie, gleichwie‘ steht G. E. Dunkels, Zfvgl.Spr.
96 (1982—83), 184 ff. Gleichsetzung mit gr. αὖτε ‚aber-
mals, wiederum‘ [< **H₂u-te] entgegen. — J. E. Härd,
Mndd. „oder“; „oft“ und Verwandtes (Göteborger ger-
manistische Forschungen, 8), Stockholm, 1967.