evinaAWB f. ō-, n-St., in vorwiegend mfrk.,
westfäl. Gl. vom 10. Jh. an: ‚Echter Hafer, ave-
na‘ (Avena sativa L.), ‚minderwertige, un-
krautartige Haferart‘, vergleichbar dem
‚Wind-Hafer‘ (Avena fatua L.), ‚Sand-Hafer‘
(Avena strigosa Schreb.) 〈Var.: -e-, -e〉. Das
Wort ist aus lat. avēna ‚Grasart, Hafer, nur als
Viehfutter angebaut; Halm, Rohr‘, mlat. ave-
na ‚Speise-, Futterhafer‘ (fortgesetzt in allen
roman. Sprachen mit Ausnahme des Rum.; vgl.
z. B. afrz. aveine, frz. avoine, italien., span.
avena) entlehnt. Es lebt in nhd. dial. rhein. ver-
altend even, ever als Bezeichnungen einer
minderwertigen Sorte Hafer fort; vgl. auch
rhein. evenblume, -garbe, -geschirr, -korb, -re-
chen usw.
Ahd. Wb. III, 446; Splett, Ahd. Wb. I, 1214; Starck-
Wells 135. 860; Graff I, 176; Dt. Wb. III, 1200. —
Müller, Rhein. Wb. II, 218 f. — Mittellat. Wb. I,
1204 f.; Wartburg, Frz. et. Wb. I, 187; Gamillscheg,
Et. Wb. d. frz. Spr.² 67; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³
Nr. 818; Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 1090; Hoops,
Waldbäume u. Kulturpflanzen 408 ff.; Hoops Reallex.
II, 352 ff.; Schrader, Reallex. d. idg. Alt.² I, 427 f.;
Marzell, Wb. d. dt. Pflanzennamen I, 526 ff.
Ahd. evina usw. entsprechen: mndd. ēven(e) f.;
mndl. even(e), eivene f. ‚Schwarz-, Weiß-, Rauh-
hafer, Hafer‘ ., nndl. dial. Geldern, Kempen,
Brabant even(e) für verschiedene Hafersorten.
Eine Ableitung auf -īn, evenīn ‚von Hafer‘, ist
im As. (Freckenhorster Heberegister) belegt.
Das Wort findet sich im linken Rheingebiet von
der ndl. Küste (s. u.) bis zur Trierer Südgrenze,
also im Einflußbereich der gallischen Romania.
Wahrscheinlich standen sich im dt. Westen ave-
na und Hafer ursprl. als avena strigosa und ave-
na sativa, Rauhhafer und Rispenhafer, gegen-
über; vgl. die im Südndl. gebräuchliche Unter-
scheidung zwischen even ‚avena strigosa, ruwe
haver, avoine rude‘ und haver ‚avena sativa, ge-
wone haver, avoine cultivée‘.
Holthausen, As. Wb. 17; Wadstein, Kl. as. Spr.denkm.
181; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 623; Ver-
dam, Mndl. handwb. 190; Vries, Ndls. et. wb. 164;
Köbler, Lat.-germanist. Lex. 41; Frings, Germania Ro-
mana I², 152 ff.; II, 113 f.
-ē- in lat. avēna war zum Zeitpunkt der Entleh-
nung bereits gekürzt und erfuhr im Westgerm.
so die Mittelsilbenschwächung zu *-i-.
H. Pedersen, IF 5 (1895), 42 f. nimmt an, daß im Lat.
die Lautung -ēna analogisch von arēna, terrēnus bezo-
gen sei (zustimmend Zupitza, Germ. Gutturale 32), da
er wegen lit. avižà (pl. ãvižos) ‚Haferkorn‘, lett. àuza
(gewöhnlich pl.f. àuzas) ‚Hafer‘, aruss. ovьsъ, russ.
ovës (s aus z infolge der Auslautstellung in einem als
Konsonantenstamm flektierenden Nom. *ovьz <
*au̯ig̑-) von einer Vorform *avīna und weiter *au̯ig̑-
snā ausgeht. Wahrscheinlicher ist jedoch der Ansatz
*au̯esnā für lat. avēna (Specht, Ursprung d. idg. Dekl.
298). Dieses *au̯esnā stellt sich kaum zu aind. avasá-
n. ‚Wegzehrung, Labung, Nahrung‘, wie in der älteren
Forschung (z. B. Fick I [Idg.]⁴ 12, 357; F. Froehde,
BB 3 [1879], 11) behauptet wurde (Mayrhofer, Et.
Wb. d. Altindoar. I, 133; F. Solmsen, Zfvgl.Spr. 37
[1904], 6 Anm. 1; Solmsens Anschluß des aind. Wor-
tes an aind. ávas- n. ‚Beistand, Förderung, Hilfe‘
bleibt jedoch ebenfalls unsicher).
Gr. αἰγίλωψ, -ωπος m. ‚Eichenart; Flughafer; Tränen-
fistel‘ ist sicher nicht zugehörig (anders z. B. Boisacq,
Dict. ét. gr.⁴ 21: *αϝιγλωψ). Frisk, Gr. et. Wb. I, 31 f.
verweist u. a. auf αἴγειρος f. ‚Schwarzpappel‘ und
λώπη ‚Schale, Rinde‘ (→ eih).
Walde-Pokorny I, 24; Pokorny 88; Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. I, 81; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 56
(doch nichtidg. Ursprung von lat. avēna usw.); Thes.
ling. lat. II, 1308 ff.; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 21;
Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr. 229; Vasmer, Russ. et.
Wb. II, 248 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 28; Mühlenbach-
Endzelin, Lett.-dt. Wb. I, 231; Trautmann, Apreuß.
Spr.denkm. 463; F. Specht, Zfvgl.Spr. 69 (1948—51),
137.
Apreuß. wyse (wisge, wisse, wesen, weyszen) ‚Hafer‘
ist möglicherweise keine einzelsprachliche Umgestal-
tung der Entsprechung von lit. avižà usw., sondern ge-
hört zu lit. vizgà, gen. vìzgos ‚weiches Gras, ähnlich
dem Schilfröhricht, Riedgras‘ (Fraenkel, a. a. O.
1269).