fîgaAWB f. n-St., seit dem 9. Jh., im Tatian, bei
Otfrid, Williram und in Gl.: ‚Feige, carica, fi-
cus, palatha [Masse von getrockneten Früch-
ten, bes. Feigen, Fruchtmus]‘ (Ficus carica L.;
vgl. auch Mons. Frg. fiicbaum ‚arbor fici‘
→ fîgboum). — Mhd. vîge sw. f. ‚Feige, ficus‘,
nhd. Feige f.
Ahd. Wb. III, 806 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 230; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 260; Schützeichel⁵ 133; Starck-Wells
150. XL. 808; Schützeichel, Glossenwortschatz III,
139 ff.; Seebold, ChWdW8 126; Graff III, 427; Scha-
de 193; Lexer III, 345; Benecke III, 309; Diefenbach,
Gl. lat.-germ. 101 (carica). 233 (ficus). 406 (palata);
Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 91 (carica). 262 (ficus). 460
(palatha); Dt. Wb. III, 1443 ff.; Kluge²¹ 190; Kluge²⁴
283; Pfeifer, Et. Wb.² 332. — Marzell, Wb. d. dt.
Pflanzennamen II, 431 f.
Der früheren Ansicht, der Feigenbaum sei im frühen
Mittelalter in Deutschland noch nicht eingeführt wor-
den, steht heute die Annahme entgegen, daß der Baum
mindestens schon um das Jahr 1000 in der Pfalz häufig
angepflanzt wurde. Ein deutscher Obstbaum ist die
Feige jedoch nie geworden, dazu ist Deutschlands Kli-
ma nicht geeignet.
Ahd. fîga entsprechen: as. fīga sw. f., mndd. vīge
f.; mndl. vīge f., nndl. vijg f.: < *fīōn-. Das
Fem. ist aus prov. figa, dem innerhalb des Gal-
loroman. ein *fica (vgl. afrz. fie, daraus mbret.
fiesen, bret. fiezenn; aprov. figa, daraus frz. fi-
gue [seit dem 12. Jh.], aprov. auch fia, span. sel-
ten higa) vorausgeht, entlehnt; daneben ist das
Mask. lat. ficus in span. figo, port. figo, italien.
fico ‚Feige‘ fortgesetzt. Wahrscheinlich liegt
dem Fem. *fica ein Neutr.Pl. auf -a zugrunde.
Aus ahd. fîga ist westslaw. *pigy (russ. dial. píg-
va über poln. pigwa ‚cydonia vulgaris, pirus cy-
donia‘, atschech. pihva ‚Feige‘, serbo-kroat.
dial. pigva ‚Quittenmispel, wilde Quitte‘) ent-
lehnt (Kiparsky, Gemeinslav. Lehnw. aus d.
Germ. 156; A. Stender-Petersen, Zfslav. Ph. 7
[1930], 252: gemeinslaw. *pigy). Russ. fíga,
ukrain. chvýga gehen dagegen über poln. figa
auf mhd. vîge zurück.
Unmittelbar von dem Mask. lat. fīcus dürften
ae. fīc m. ‚Feige, Feigenbaum, Feigwarze, Hä-
morrhoiden‘ (als gelehrte Anglisierung), me. fi-
ke, afries. fīk ‚Feige, Geschwür‘ herstammen
(aber me. fige, zuerst 13. Jh., pl. figes, ne. fig <
frz. figue). Demgegenüber leitet man aisl. fíka,
fíkja f. (fíkju-kjarni ‚Feigensame‘, fíku-tré
‚-baum‘), aschwed. fica, nschwed. fikon, mit
dem Ausgang -on nach päron ‚Birne‘, ält. ndän.
fikæ, ndän. figen (mit -en nach dem mndd. Pl.
vīgen) aus dem Ahd. oder aus dem Mndd. her.
Doch deuten die Lautungen mit k ebenfalls auf
direkte Entlehnung aus dem Lat.
Offenbar wurde innerhalb der Germania die Be-
zeichnung mit der Frucht eingeführt, während
ae. fīc-æppel, -bēam, -trēow wie auch mhd. fick-
baum bei der hl. Hildegard (im 12. Jh.) gelehrte
Entlehnungen aus fīcus ‚Feigenbaum‘ (ne. fig-
tree) der lat. Bibel darstellen.
Wahrscheinlich haben die Angelsachsen die Feige
nicht gekannt; diese Annahme legen die wiederholten
Verwechslungen mit der Dattel in den Glossen nahe;
vgl. auch die Wiedergabe von lat. Matth. 7, 16 Num-
quid colligunt de tribolis ficos im Lindisfarne Ms. mit
hueðer somnigas ... of hagaðornum ficbeamas; Luk. 6,
44 ne forðon of ðornum gesomnað ficbeam, während
der merc. Bearbeiter im Rushworth Ms. (10. Jh.) das
lat. ficos stehen ließ und mit dem erklärenden Zusatz
vel nyte ‚oder Nüsse‘ versah; dagegen in der west-
sächs. Evangelienübersetzung (11. Jh.) ficæppla.
Den Germanen war die Feige in vorrömischer
Zeit unbekannt. So erklärt sich, daß die Be-
zeichnungen für diese Südfrucht in den einzel-
nen germ. Sprachen verschieden sind. Im Got.
wird die Frucht mit smakka (entlehnt als aksl.
smoky [mit -k- für germ. *-kk- entsprechend
dem Verhältnis von got. skatts ‚Geld(stück)‘ und
daraus entlehntem aksl. skotъ; → scaz], serb.,
russ. smókva, bulg. smokina, smokinja ‚Feige‘)
bezeichnet.
Zur Verbindung von got. smakka mit der Sippe von
nhd. Geschmack (K. Johansson, Zfvgl. Spr. 36 [1900],
383; Lühr, Expressivität 353 f.) s. smecken.
Got. peika- in peikabagms ‚Palme, φοίνιξ‘, dessen p-
Anlaut volkstümlich an den der Sippe von aisl. pīk f.
‚Spitze, Stachelstock‘, ae., afries. pīc ‚Spitze‘ angegli-
chen sein kann, ist wohl nicht aus lat. ficus entlehnt.
Feist, Vgl. wb. d. got. Spr. 383. 438 f.; Lehmann, Go-
thic Et. Dict. P-8. S-105.
Holthausen, As. Wb. 19; Sehrt, Wb. z. Hel.² 129;
Berr, Et. Gl. to Hel. 119; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 717; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. V,
251; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. II, 802; Verdam,
Mndl. handwb. 713; Franck, Et. Wb. d. ndl. taal² 742;
Vries, Ndl. et. wb. 784; Holthausen, Afries. Wb.² 27;
Holthausen, Ae. et. Wb. 103; Bosworth-Toller, AS
Dict. 285; Suppl. 216; ME Dict. E-F, 546. 553 f.;
OED² V, 890 f.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 354; Vries,
Anord. et. Wb.² 119; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 988;
Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog II, 411; Holthau-
sen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 61; Falk-Torp, Norw.-
dän. et. Wb. 215; Ordb. o. d. danske sprog IV, 931;
Torp, Nynorsk et. ordb. 103; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 209; Svenska akad. ordb. F-518 ff. — Hoops
Reallex. II, 17 f.; Hoops Reallex.² VIII, 285 ff.; Schra-
der, Reallex. d. idg. Alt.² I, 304 ff.; Hehn, Kulturpflan-
zen u. Haustiere⁸ 84 ff.; Fischer-Benzon, Adt. Garten-
flora 157; Frings, Germania Romana II, 253 f.
Die an das Mittelmeer vorstoßenden Indoger-
manen haben die Bezeichnung der Feige aus ei-
ner voridg. Substratsprache des Mittelmeerrau-
mes oder Kleinasiens übernommen; vgl. die bo-
tanische Bezeichnung lat. cāricus ‚in Karien
(Kleinasien) vorkommend‘; Plinius, Nat. Hist.
13, 51 carica (ficus). Arm. tՙowz, gr. σῦκον,
böot. τῦκον n. ‚Feige‘, übertragen auch ‚Feig-
warze‘, lat. fīcus, -ī, jünger -ūs f. ‚Feigenbaum,
Feige, Feigwarze‘ sind dabei unabhängig von-
einander entlehnt.
S. auch fîg.