ferahAWB n. a-St., im Hildebr., Tatian, bei Ot-
frid, in Gl. vorwiegend des 11. Jh.s: ‚Leben,
Seele, anima, natura, vita‘ 〈Var.: -ach, -ech,
-eh, -ih, -ihc, -h; zum Sproßvokal vgl.
Braune, Ahd. Gr.¹⁵ § 69〉. — Mhd. verch st. n.
‚Leib und Leben, Fleisch und Blut‘, frühnhd.,
nhd. (veraltet) ferch ‚Leben, Leib, Blut‘.
Ahd. Wb. III, 739 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 224; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 256; Schützeichel⁵ 132; Starck-Wells
147. 808; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 117;
Graff III, 682 f.; Schade 178; Lexer III, 87; Benecke
III, 302; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 41 (anima). 423
(natura). 715 (vita); Dt. Wb. III, 1527 f. — Lühr, Stud.
z. Hildebrandlied 436 Anm. 3.
Verwandte Wörter in anderen germ. Sprachen
sind: as. ferah, ferh, fera n. ‚Leben, Geist, Ver-
stand‘; afries. vielleicht in der Zss. *ferch-rēde
‚fürs Seelenheil zu Vermachendes‘ (von W. L. v.
Helten aus forthrede [2. Hs., Emsiger Recht]
nach mhd. sêl[e]geræte ‚was man zum Seelenheil
einer geistlichen Anstalt vermacht, Schenkung‘
verbessert [vgl. Helten, Lex. d. Aostfries. 123
und Anm. 7]; nach D. Hofmann, in Holthausen,
Afries. Wb.² 156 könnte forthrede viell. ‚weiteres
Gerät, weitere Ausstattung‘ bedeuten); vgl. auch
afries. fereth m.n. ‚Leben‘ < *ferχþ- mit idg. t-
Suffix; ae. feorh ‚Leben, Seele, Geist, Person‘
(vgl. auch ferhð m.n. ‚Leben, Geist, Seele, Ver-
stand‘ = afries. fereth oben); aisl. fjǫr n. ‚Leben,
Körper‘ (< *ferχwa-), run. schwed. fiaru (Rök
c. 800), ält. ndän. fjør (vgl. nnorw. fjørug adj.
‚lebhaft‘); got. fairƕus m. ‚Welt, κόσμος‘,
wahrsch. auch krimgot. fers ‚vir‘ (vgl. Stearns,
Crimean Gothic 135; E. P. Hamp, JEGP 72
[1973], 60 f.); westgerm. GN (inschriftlich) Ala-
ferhviae (vgl. W. Schulze, AfdA. 54 [1913],
172 ff.). Vorausgesetzt wird ein urgerm. wa-St.
*ferχwa- (zur got. Dekl. vgl. Lühr, a. a. O.;
M. Snædal, Hist. Spr.forschung 106 [1993],
140).
Hierher gehört auch die -ja-Erweiterung *firχ-
wja- (nom. sg. nur in der Zss. ahd. smalafirihi
‚das gemeine Volk, vulgus‘ [s. d.], sonst immer
m.pl.) ‚Menschen, Männer‘ („die zur Welt, zum
Leben Gehörigen“; Kluge, Nom. Stammbil-
dung³ § 7): ahd. *fir(a)ha, nur Wess. Gebet fira-
him (dat.pl.), Hildebr. fireo (gen.pl.), Musp.
urho (für *viriho gen.pl.); as. firihos; ae. fīras;
aisl. firar, fyrvar, fjǫrvar (und mit Dentalsuffix
fyrðar).
Ahd. Wb. III, 903; Splett, a. a. O.; Köbler, a. a. O. 275;
Schützeichel⁵ 134; Graff, a. a. O; Schade 198. — Fick
III (Germ.)⁴ 234; Holthausen, As. Wb. 19. 20; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 127. 132; Berr, Et. Gl. to Hel. 115; Holt-
hausen, Afries. Wb.² 25. 26; ders., Ae. et. Wb. 101.
103 (fierhð). 421 (fīras); Bosworth-Toller, AS Dict.
278 f. 282. 288; Suppl. 212. 219; Suppl. II, 24; Bam-
mesberger, Beitr. z. et. Wb. d. Ae. 52; Vries, Anord. et.
Wb.² 121. 125. 148. 149; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
552; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 62. 64. 76;
Torp, Nynorsk et. ordb. 113; Ordb. o. d. danske sprog
IV, 1113; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 139; Lehmann,
Gothic Et. Dict. F-12.
Diese Wörter haben keine sichere Etymologie.
Da die rekonstruierte idg. Vorform *perku̯- mit
idg. *perku̯- ‚Eiche‘ (oder viell. ‚Baum im allge-
meinen‘) identisch ist (vgl. langob. fereha ‚aescu-
lus‘, lat. quercus ‚Eiche‘ [< *perku̯us], air. ceirt
‚Apfelbaum, Obstgarten‘, kymr. perth ‚Strauch,
Hecke‘ und → fereheih), ist man eher geneigt,
den Ursprung der germ. Wörter in einem Ei-
chen- oder Baumkult zu suchen; vgl. bes. J. Ven-
dryes, Rev. celt. 44 (1927), 313 ff.; Fr. Specht,
Zfvgl. Spr. 68 (1944), 191 ff.; Friedrich, PIE
Trees 133 ff. Nach W. Meid, in Das Germ. u. d.
Rekonstr. d. idg. Grundspr. 98 ff. sind die beiden
Sippen zwar verwandt, gehen aber auf ein vor-
einzelsprachliches *perkwu- ‚Leben, Lebens-
kraft, Lebensstoff‘ zurück.
Walde-Pokorny II, 44 f.; Pokorny 822; Bruckner, Spr.
d. Langob. § 12. 41. 84. 204; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. II, 402 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 555; Ven-
dryes, Lex. ét. de l’irl. anc. C-56; Dict. of Irish C-103.
— Neri, Sostantivi in -u 202 ff.
Eine weitere Verbindung mit lit. perknas ‚Donner,
Donnergott‘, lett. prkūns, prkuons ‚dss.‘ ist fraglich
(W. C. Jaskiewicz, Studi baltici 9 [1952], 92 f.; Fraen-
kel, Lit. et. Wb. 575 [zur idg. Wz. *per- ‚schlagen‘,
wie auch aruss. Perunъ ‚Donnergott‘, nruss. perún
‚Donnerkeil, Blitz‘; Vasmer, Russ. et. Wb. II, 345 f.);
doch s. Neri, a. a. O. 205 f.
Daß es neben der idg. Wz. *perku̯- auch eine Variante
mit Metathese *ku̯erp- gegeben habe, woraus lat. cor-
pus entstanden sei (vgl. Vendryes, Rev. celt. 44 (1927),
313 ff.; Bammesberger, a. a. O.), bleibt nach wie vor
hypothetisch (vgl. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I,
278 s. v. corpus und → farawa).
Mit dieser Etymologie konkurriert eine zweite,
weniger wahrscheinliche, die O. Wiedemann,
BB 28 (1904), 1 ff. (bes. 17 ff.) vorgeschlagen
hat: germ. *ferχwa-, das ursprl. ‚Körper, Leib‘
bedeutet habe, sei auf eine idg. Wz. *per- ‚um-
schließen‘ zurückzuführen, die in aind. párśu- f.
‚Rippe‘, av. pǝrǝsu- ‚Rippe, Seite‘, aksl. prъsi
‚Brüste‘, prъst ‚Finger‘, lit. pištas ‚Finger‘, gr.
πόρκης ‚Ring um den Speerschaft, der die Lan-
zenspitze festhält‘, lat. compescō (< *com-parc-
scō) ‚schließe ein, beschränke usw.‘ vorkommen
soll (ähnlich auch Fick III, a. a. O.; Jóhannes-
son, a. a. O.). Der Körper sei also ‚das Umschlie-
ßende, die Hülle‘ (Wiedemann, a. a. O. 17). Es
ist aber sehr fraglich, ob ‚Körper, Leib‘ für die
Grundbed. dieser Sippe gehalten werden kann.
Eine Bed.entwicklung ‚Leib‘ > ‚Leben, Welt‘
läuft der gewöhnlichen Richtung ‚Leben‘ >
‚Leib‘ oder ‚Welt‘ zuwider: vgl. einerseits nhd.
Leib zur Wz. von leben (→ lîb), andererseits
air. bith ‚Welt‘ zur idg. Wz. *gu̯i(ǝ)- [**gu̯iH₃-]
‚leben‘ (Pokorny 468, LIV² 215). Auch ist es
nicht sicher, daß es eine idg. Wz. *per- ‚um-
schließen‘ gab, und daß die oben genannten
Wörter alle zur selben Wz. gehören (vgl. Walde-
Pokorny, a. a. O. und die einzelnen etym. Wbb.).
Mann, IE Comp. Dict. 925 verbindet die germ. Wörter
mit einer idg. Wz. *perus, -uos ‚side, bosom, soul,
heart, life‘, ohne von einer Grundbed. ‚umschließen‘
zu reden und mit der Bemerkung „semantics obscure“.
Abzulehnen Th. v. Grienberger, Arch. f. slav. Phil. 18
(1896), 14 f.: zur idg. Wz. *per- ‚schlagen‘ (wie lit. per-
knas usw.; s. o.) mit einer ursprl. Bed. ‚Herz‘ = ‚das
Schlagende‘.