ferah
Band III, Spalte 159
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ferahAWB n. a-St., im Hildebr., Tatian, bei Ot-
frid, in Gl. vorwiegend des 11. Jh.s: Leben,
Seele, anima, natura, vita
Var.: -ach, -ech,
-eh, -ih, -ihc, -h; zum Sproßvokal vgl.
Braune, Ahd. Gr.¹⁵ § 69. Mhd. verch st. n.
Leib und Leben, Fleisch und Blut, frühnhd.,
nhd. (veraltet) ferch Leben, Leib, Blut.

Ahd. Wb. III, 739 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 224; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 256; Schützeichel⁵ 132; Starck-Wells
147. 808; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 117;
Graff III, 682 f.; Schade 178; Lexer III, 87; Benecke
III, 302; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 41 (anima). 423
(natura). 715 (vita); Dt. Wb. III, 1527 f. Lühr, Stud.
z. Hildebrandlied 436 Anm. 3.

Verwandte Wörter in anderen germ. Sprachen
sind: as. ferah, ferh, fera n. Leben, Geist, Ver-
stand
; afries. vielleicht in der Zss. *ferch-rēde
fürs Seelenheil zu Vermachendes (von W. L. v.
Helten aus forthrede [2. Hs., Emsiger Recht]
nach mhd. sêl[e]geræte was man zum Seelenheil
einer geistlichen Anstalt vermacht, Schenkung

verbessert [vgl. Helten, Lex. d. Aostfries. 123
und Anm. 7]; nach D. Hofmann, in Holthausen,
Afries. Wb.² 156 könnte forthrede viell. weiteres
Gerät, weitere Ausstattung
bedeuten); vgl. auch
afries. fereth m.n. Leben < *ferχþ- mit idg. t-
Suffix; ae. feorh Leben, Seele, Geist, Person
(vgl. auch ferhð m.n. Leben, Geist, Seele, Ver-
stand
= afries. fereth oben); aisl. fjr n. Leben,
Körper
(< *ferχwa-), run. schwed. fiaru (Rök
c. 800), ält. ndän. fjør (vgl. nnorw. fjørug adj.
lebhaft); got. fairƕus m. Welt, κόσμος,
wahrsch. auch krimgot. fers vir (vgl. Stearns,
Crimean Gothic 135; E. P. Hamp, JEGP 72
[1973], 60 f.); westgerm. GN (inschriftlich) Ala-
ferhviae (vgl. W. Schulze, AfdA. 54 [1913],
172 ff.). Vorausgesetzt wird ein urgerm. wa-St.
*ferχwa- (zur got. Dekl. vgl. Lühr, a. a. O.;
M. Snædal, Hist. Spr.forschung 106 [1993],
140).

Hierher gehört auch die -ja-Erweiterung *firχ-
wja- (nom. sg. nur in der Zss. ahd. smalafirihi
das gemeine Volk, vulgus [s. d.], sonst immer
m.pl.) Menschen, Männer (die zur Welt, zum
Leben Gehörigen
; Kluge, Nom. Stammbil-
dung³ § 7): ahd. *fir(a)ha, nur Wess. Gebet fira-
him (dat.pl.), Hildebr. fireo (gen.pl.), Musp.
urho (für *viriho gen.pl.); as. firihos; ae. fīras;
aisl. firar, fyrvar, fjrvar (und mit Dentalsuffix
fyrðar).

Ahd. Wb. III, 903; Splett, a. a. O.; Köbler, a. a. O. 275;
Schützeichel⁵ 134; Graff, a. a. O; Schade 198. Fick
III (Germ.)⁴ 234; Holthausen, As. Wb. 19. 20; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 127. 132; Berr, Et. Gl. to Hel. 115; Holt-
hausen, Afries. Wb.² 25. 26; ders., Ae. et. Wb. 101.
103 (fierhð). 421 (fīras); Bosworth-Toller, AS Dict.
278 f. 282. 288; Suppl. 212. 219; Suppl. II, 24; Bam-
mesberger, Beitr. z. et. Wb. d. Ae. 52; Vries, Anord. et.
Wb.² 121. 125. 148. 149; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
552; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 62. 64. 76;
Torp, Nynorsk et. ordb. 113; Ordb. o. d. danske sprog
IV, 1113; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 139; Lehmann,
Gothic Et. Dict. F-12.

Diese Wörter haben keine sichere Etymologie.
Da die rekonstruierte idg. Vorform *perk- mit
idg. *perk- Eiche (oder viell. Baum im allge-
meinen
) identisch ist (vgl. langob. fereha aescu-
lus
, lat. quercus Eiche [< *perkus], air. ceirt
Apfelbaum, Obstgarten, kymr. perth Strauch,
Hecke
und fereheih), ist man eher geneigt,
den Ursprung der germ. Wörter in einem Ei-
chen- oder Baumkult zu suchen; vgl. bes. J. Ven-
dryes, Rev. celt. 44 (1927), 313 ff.; Fr. Specht,
Zfvgl. Spr. 68 (1944), 191 ff.; Friedrich, PIE
Trees 133 ff. Nach W. Meid, in Das Germ. u. d.
Rekonstr. d. idg. Grundspr. 98 ff. sind die beiden
Sippen zwar verwandt, gehen aber auf ein vor-
einzelsprachliches *perkwu- Leben, Lebens-
kraft, Lebensstoff
zurück.

Walde-Pokorny II, 44 f.; Pokorny 822; Bruckner, Spr.
d. Langob. § 12. 41. 84. 204; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. II, 402 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 555; Ven-
dryes, Lex. ét. de l’irl. anc. C-56; Dict. of Irish C-103.
Neri, Sostantivi in -u 202 ff.

Eine weitere Verbindung mit lit. perknas Donner,
Donnergott
, lett. prkūns, prkuons dss. ist fraglich
(W. C. Jaskiewicz, Studi baltici 9 [1952], 92 f.; Fraen-
kel, Lit. et. Wb. 575 [zur idg. Wz. *per- schlagen,
wie auch aruss. Perunъ Donnergott, nruss. perún
Donnerkeil, Blitz; Vasmer, Russ. et. Wb. II, 345 f.);
doch s. Neri, a. a. O. 205 f.

Daß es neben der idg. Wz. *perk- auch eine Variante
mit Metathese *kerp- gegeben habe, woraus lat. cor-
pus entstanden sei (vgl. Vendryes, Rev. celt. 44 (1927),
313 ff.; Bammesberger, a. a. O.), bleibt nach wie vor
hypothetisch (vgl. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I,
278 s. v. corpus und farawa).

Mit dieser Etymologie konkurriert eine zweite,
weniger wahrscheinliche, die O. Wiedemann,
BB 28 (1904), 1 ff. (bes. 17 ff.) vorgeschlagen
hat: germ. *ferχwa-, das ursprl. Körper, Leib
bedeutet habe, sei auf eine idg. Wz. *per- um-
schließen
zurückzuführen, die in aind. páru- f.
Rippe, av. pǝrǝsu- Rippe, Seite, aksl. prъsi
Brüste, prъst Finger, lit. pitas Finger, gr.
πόρκης Ring um den Speerschaft, der die Lan-
zenspitze festhält
, lat. compescō (< *com-parc-
scō) schließe ein, beschränke usw. vorkommen
soll (ähnlich auch Fick III, a. a. O.; Jóhannes-
son, a. a. O.). Der Körper sei also das Umschlie-
ßende, die Hülle
(Wiedemann, a. a. O. 17). Es
ist aber sehr fraglich, ob Körper, Leib für die
Grundbed. dieser Sippe gehalten werden kann.
Eine Bed.entwicklung Leib > Leben, Welt
läuft der gewöhnlichen Richtung Leben >
Leib oder Welt zuwider: vgl. einerseits nhd.
Leib zur Wz. von leben ( lîb), andererseits
air. bith Welt zur idg. Wz. *gi(ǝ)- [**giH₃-]
leben (Pokorny 468, LIV² 215). Auch ist es
nicht sicher, daß es eine idg. Wz. *per- um-
schließen
gab, und daß die oben genannten
Wörter alle zur selben Wz. gehören (vgl. Walde-
Pokorny, a. a. O. und die einzelnen etym. Wbb.).

Mann, IE Comp. Dict. 925 verbindet die germ. Wörter
mit einer idg. Wz. *perus, -uos side, bosom, soul,
heart, life
, ohne von einer Grundbed. umschließen
zu reden und mit der Bemerkung semantics obscure.
Abzulehnen Th. v. Grienberger, Arch. f. slav. Phil. 18
(1896), 14 f.: zur idg. Wz. *per- schlagen (wie lit. per-
knas usw.; s. o.) mit einer ursprl. Bed. Herz = das
Schlagende
.

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