fiera
Band III, Spalte 206
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fieraAWB f. ō-St., seit dem Ende des 8. Jh.s in
Gl. und bei Otfrid: Seite, Richtung, pars,
(via)
, meist in formelhaften Wendungen als
adverbieller Ausdruck (z. B. in [eina] fiara auf
die Seite, seitwärts, abseits, ab, beiseite
, in fia-
ra lâzan beiseite lassen, aufgeben) Var.: Gl.
1, 256, 3 K -e-, 1, 278, 24 Jb, Rd -ea-, Stein-
meyer, Spr.denkm. 373: Ad equum errhet 9
-ie-, Otfrid -ia-; vgl. Mayer, Ahd. Griffelgl.
5, 19 [fiera]. Wahrscheinlich gehört auch die
Textstelle bei Steinmeyer, Spr.denkm. 373, 9 nu
ziuhez (das Pferd) da bi fiere, tu rune imo in das
ora mit bi fiere in der Bedeutung beiseite hier-
her. In den späteren Sprachstufen des Dt. fin-
den sich keine Fortsetzungen.

Ahd. Wb. III, 802; Splett, Ahd. Wb. I, 229; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 260; Schützeichel⁵ 133; Starck-Wells
150. 808; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 137;
Seebold, ChWdW8 126; Graff III, 579 (s. v. fêra).
668 f. (s. v. fiara); Schade 192; Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 465 (in parte). Braune, Ahd. Gr.¹⁵ § 36; Kelle,
Otfrid Evangelienbuch II, 220 f. Anm. 3.

Das ahd. Wort hat innerhalb des Germ. nur in
got. fera f. ō-St. Seite, Glied des Körpers, Ge-
gend
eine Entsprechung. Die ahd. Belege wei-
sen dabei auf eine Form mit *ē²: urgerm. *fē²-
rō-.

Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 148; Lehmann, Gothic Et.
Dict. F-40. E. Sievers, PBB 16 (1892), 249 f.;
N. Törnqvist, Studia neoph. 41 (1940), 256 ff. 266 ff.
(jedoch ist seine Deutung des Wortes Ufer als Zusam-
mensetzung aus dem Nominalpräfix *ō- [ahd. uo-]
und urgerm. *fē²rō- nicht überzeugend). Nach wie vor
hat die Verbindung von mhd. uover, (md.) über,
mndd. ȫver, mndl., nndl. oever, ae. ōfer, ōfor mit gr.
ἤπειρος, dor. ἄπειρος Festland, Küste Bestand (vgl.
Pokorny 53; Frisk, Gr. et. Wb. I, 640; Kluge²¹ 801;
Kluge²⁴ 939; Pfeifer, Et. Wb.² 1481).

Das Wort hat keine sichere Etymologie. Nimmt
man aber wegen ahd. hier (got. her) < vorur-
germ. *ke-r ( hier) an, daß urgerm. *r die
Entwicklung eines i-Diphthongs zu urgerm. *ē²
begünstigt, käme auch für ahd. fiera eine Vor-
form mit i-Diphthong, vorurgerm. *perā-
[**peHraH₂- mit Laryngalmetathese aus
**peH₁--raH₁-] in Frage (zur Lautstruktur vgl.
got. seiþu Abend < vorurgerm. *-tu-
[**H₁-tu- mit Laryngalmetathese aus *séH-
tu- das Nachlassen]; sîd und R. Lühr, Mü.
Stud. z. Spr.wiss. 37 [1978], 121 ff.). Zugrunde-
liegen könnte eine s-lose Variante einer Wz.
*spē- [**speH-] sich ausdehnen, von der
auch lat. spatium Raum, Zeit, Weite, Strecke,
Dauer
< *spǝ-to- [**spǝ₁-to-] abgeleitet wä-
re. Es ist nicht auszuschließen, daß diese Wz.
mit uridg. *spē- [**speH₁-] gedeihen in Zu-
sammenhang steht (anders Schrijver, Reflexes
93 f.), da die Bedeutungen gedeihen, dick wer-
den
auf die Vorstellung der Ausdehnung rück-
führbar sind. Bei der Vorform vorurgerm. *pe-
rā- Ausdehnung würde es sich dann um eine
fem. Bildung mit r-Suffix des Typs ahd. fedara
Feder (s. d. und Krahe-Meid, Germ. Sprach-
wiss. III § 81) handeln.

Fortsetzer der Wz. uridg. *spē- [**speH₁-] gedeihen,
dick werden
begegnen in: aind. sphīyate wird fett,
feist, nimmt zu
, sphātí- f. Gedeihen, sphirá- dick,
fett
(mit sph- wohl aufgrund von Laryngalkontakt),
khotansak. spata- gesättigt; heth. i-pa-a-i ißt sich
satt
; lat. spēs f. Hoffnung, Erwartung; lit. spti
(spju) Muße haben, schnell genug sein (lit. sprus
flink), lett. spēt können, vermögen; aksl. spěti
(spěj) gedeihen. Im Germ. zeigt das zugehörige
Verb ō-Vokalismus: ae. spōwan, ahd. spuoen von-
statten gehen, gelingen
(s. d. und Matzel, Gesam-
melte Schriften 28 f.). Mit einer Wurzelform *spē-
[**speH-] gedeihen, die zu dem oben vorgenom-
menen Ansatz *(s)pē- [**(s)peH-] sich ausdehnen
stimmen würde, rechnet Rasmussen, Morphophonemik
62. 310.

Vgl. C. C. Uhlenbecks (PBB 30 [1905], 275) Grdf.
*(s)phērā zur idg. Wz. *(s)phē- sich ausdehnen; zu-
stimmend Lehmann, a. a. O.; vgl. auch dens., PIE Pho-
nology 66 ff.; Schulze, Kl. Schriften 54; zweifelnd je-
doch S. Feist, PBB 32 (1907), 501 f.

Lautlich unbefriedigend ist die Verbindung mit aind.
pārá- hinüberfahrend, hinüberführend, n. jenseiti-
ges Ufer, jenseitige Grenze, Ziel
, jav. dūraē-pāra-
dessen Ufer in der Ferne liegen (angeführt von Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. a. a. O.), da hier eine Vorform
*por-ó- (gr. πόρος Durchgang, Furt) vorausgeht
(Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 258; ders., Et. Wb.
d. Altindoar. II, 122; s. auch C. C. Uhlenbeck, Tijd-
schrift 25 [1906], 264 f.); faran. Auch Entsprechun-
gen zu den gr. Wörtern πέρας, poet. πεῖραρ, πεῖρας
Ausgang, Ende, ἀ-πείρων unendlich, die Grienber-
ger (Unters. z. got. Wortkunde 66 f.; ebenso H. Gün-
tert, WuS 11 [1928], 139: jedoch *pēira- mit sekun-
därem Ablaut
) zum Vergleich heranzieht, würden
keine lautliche Basis für ein urgerm. *ē² bieten; denn
der Ausgangspunkt für die gr. Wörter ist ein *πέρ-ϝαρ
mit kurzem *e (vgl. auch gr. πέρᾱ darüber hinaus,
weiter, länger, mehr, jenseits
; s. Frisk, Gr. et. Wb. II,
490 f.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 770 f.). Als ganz fraglich
bezeichnet Frisk (a. a. O. II, 530 f.; vgl. Boisacq,
a. a. O. 756) die Anknüpfung an gr. Hesych πηρία
Ἀ < σ > πένδιοι τὴν χώραν τοῦ ἀγροῦ (A. Bezzen-
berger, BB 5 [1880], 329 Anm. 8; Bechtel, Gr. Dial.
II, 823) ebenso wie die Verbindung mit dem thessal.
ON Πηρείη (so A. Fick, BB 24 [1899], 295), aber auch
die mit air. īriu Land (W. Stokes, Zfvgl. Spr. 40
[190506], 248).

Nach der communis opinio stammt air. riu Irland,
íriu Land aus *pīerī [**piHer-iH₂] die fette
(Erde)
(vgl. gr. πίειρα γῆ die fette Erde; s. J. Po-
korny, Zfvgl. Spr. 47 [191516], 234; Schrijver, Stu-
dies 288). Wegen des langen ē im Air. liegt aber die
Herleitung von air. riu, gen. renn f. Irland aus ei-
nem vorurkelt. Sg.Nom. *epi-eriō(n), Akk. *epi-e-
rion- umhegtes Land, Hügel, Insel näher; vgl.
auch kymr. Iwerddon < urbrit. akk.sg. *īerón-am
(vgl. lat. Hibernia Irland) mit Wandel von urbrit. *ī
< urkelt. *ē < *e (und mit Wandel von * < *r
vor betontem Vokal und wohl mit Kürzung von *-o-
< *-io- in langer Wortform im Brit.). Ganz anders
Th. Vennemann, gen. Nierfeld, Sprachwissenschaft 23
(1998), 461 ff. (Herkunft von air. riu usw. aus dem
Semit.).

Ebensowenig sind die air. Präp. íar-n < *eperom und
gall. are- bei, vor (z. B. in Aremorici) < vorurkelt.
*p-e- Vergleichsmöglichkeiten für urgerm. *fē²rō-
(anders O. Schrader, BB 15 [1899], 131 ff. bzw.
A. Fick, BB 28 [1904], 106).

Wieder anders R. Trautmann, Zfdt. Wortf. 7 (1905
06), 270: zu lett. pìere Stirn. Auch heth. piran vorn,
voran
erweist kein Subst. der Bedeutung Vorder-
seite
.

Walde-Pokorny II, 656 ff.; Pokorny 983; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. III, 541 (sphāyate); ders., Et. Wb.
d. Altindoar. II, 776 ff.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 770 f.
(πέρᾱ); Frisk, Gr. et. Wb. II, 510 f. (πέρᾱ); Chan-
traine, Dict. ét. gr. 884 f.; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. II, 573 f. (spēs); Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.
641; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 274; Miklosich, Et.
Wb. d. slav. Spr. 317; Vasmer, Russ. et. Wb. II, 707;
Fraenkel, Lit. et. Wb. 866; Mühlenbach-Endzelin,
Lett.-dt. Wb. III, 993; Fick II (Kelt.)⁴ 45; Holder,
Acelt. Spr. II, 99 ff.; Hessens Ir. Lex. II, 47; Dict. of
Irish I-299; Dict. of Welsh II, 2042; Friedrich, Heth.
Wb. 170; Kronasser, Et. d. heth. Spr. 538; Tischler,
Heth. et. Gl. I, 408 f.; II, 574.

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