fieraAWB f. ō-St., seit dem Ende des 8. Jh.s in
Gl. und bei Otfrid: ‚Seite, Richtung, pars,
(via)‘, meist in formelhaften Wendungen als
adverbieller Ausdruck (z. B. in [eina] fiara ‚auf
die Seite, seitwärts, abseits, ab, beiseite‘, in fia-
ra lâzan ‚beiseite lassen, aufgeben‘) 〈Var.: Gl.
1, 256, 3 K -e-, 1, 278, 24 Jb, Rd -ea-, Stein-
meyer, Spr.denkm. 373: Ad equum erręhet 9
-ie-, Otfrid -ia-; vgl. Mayer, Ahd. Griffelgl.
5, 19 [fiera]〉. Wahrscheinlich gehört auch die
Textstelle bei Steinmeyer, Spr.denkm. 373, 9 nu
ziuhez (das Pferd) da bi fiere, tu rune imo in das
ora mit bi fiere in der Bedeutung ‚beiseite‘ hier-
her. In den späteren Sprachstufen des Dt. fin-
den sich keine Fortsetzungen.
Ahd. Wb. III, 802; Splett, Ahd. Wb. I, 229; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 260; Schützeichel⁵ 133; Starck-Wells
150. 808; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 137;
Seebold, ChWdW8 126; Graff III, 579 (s. v. fêra).
668 f. (s. v. fiara); Schade 192; Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 465 (in parte). — Braune, Ahd. Gr.¹⁵ § 36; Kelle,
Otfrid Evangelienbuch II, 220 f. Anm. 3.
Das ahd. Wort hat innerhalb des Germ. nur in
got. fera f. ō-St. ‚Seite, Glied des Körpers, Ge-
gend‘ eine Entsprechung. Die ahd. Belege wei-
sen dabei auf eine Form mit *ē²: urgerm. *fē²-
rō-.
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 148; Lehmann, Gothic Et.
Dict. F-40. — E. Sievers, PBB 16 (1892), 249 f.;
N. Törnqvist, Studia neoph. 41 (1940), 256 ff. 266 ff.
(jedoch ist seine Deutung des Wortes Ufer als Zusam-
mensetzung aus dem Nominalpräfix *ō- [ahd. uo-]
und urgerm. *fē²rō- nicht überzeugend). Nach wie vor
hat die Verbindung von mhd. uover, (md.) über,
mndd. ȫver, mndl., nndl. oever, ae. ōfer, ōfor mit gr.
ἤπειρος, dor. ἄπειρος ‚Festland, Küste‘ Bestand (vgl.
Pokorny 53; Frisk, Gr. et. Wb. I, 640; Kluge²¹ 801;
Kluge²⁴ 939; Pfeifer, Et. Wb.² 1481).
Das Wort hat keine sichere Etymologie. Nimmt
man aber wegen ahd. hier (got. her) < vorur-
germ. *kei̯-r (→ hier) an, daß urgerm. *r die
Entwicklung eines i-Diphthongs zu urgerm. *ē²
begünstigt, käme auch für ahd. fiera eine Vor-
form mit i-Diphthong, vorurgerm. *pei̯rā-
[**pei̯H₁raH₂- mit Laryngalmetathese aus
**peH₁-i̯-raH₁-] in Frage (zur Lautstruktur vgl.
got. seiþu ‚Abend‘ < vorurgerm. *séi̯-tu-
[**séi̯H₁-tu- mit Laryngalmetathese aus *séH₁i̯-
tu- ‚das Nachlassen‘]; → sîd und R. Lühr, Mü.
Stud. z. Spr.wiss. 37 [1978], 121 ff.). Zugrunde-
liegen könnte eine s-lose Variante einer Wz.
*spēi̯- [**speH₁i̯-] ‚sich ausdehnen‘, von der
auch lat. spatium ‚Raum, Zeit, Weite, Strecke,
Dauer‘ < *spǝ-ti̯o- [**spǝ₁-ti̯o-] abgeleitet wä-
re. Es ist nicht auszuschließen, daß diese Wz.
mit uridg. *spē- [**speH₁-] ‚gedeihen‘ in Zu-
sammenhang steht (anders Schrijver, Reflexes
93 f.), da die Bedeutungen ‚gedeihen, dick wer-
den‘ auf die Vorstellung der Ausdehnung rück-
führbar sind. Bei der Vorform vorurgerm. *pei̯-
rā- ‚Ausdehnung‘ würde es sich dann um eine
fem. Bildung mit r-Suffix des Typs ahd. fedara
‚Feder‘ (s. d. und Krahe-Meid, Germ. Sprach-
wiss. III § 81) handeln.
Fortsetzer der Wz. uridg. *spē- [**speH₁-] ‚gedeihen,
dick werden‘ begegnen in: aind. sphīyate ‚wird fett,
feist, nimmt zu‘, sphātí- f. ‚Gedeihen‘, sphirá- ‚dick,
fett‘ (mit sph- wohl aufgrund von „Laryngalkontakt“),
khotansak. spata- ‚gesättigt‘; heth. iš-pa-a-i ‚ißt sich
satt‘; lat. spēs f. ‚Hoffnung, Erwartung‘; lit. spti
(spju) ‚Muße haben, schnell genug sein‘ (lit. sprus
‚flink‘), lett. spēt ‚können, vermögen‘; aksl. spěti
(spějǫ) ‚gedeihen‘. Im Germ. zeigt das zugehörige
Verb ō-Vokalismus: ae. spōwan, ahd. spuoen ‚von-
statten gehen, gelingen‘ (s. d. und Matzel, Gesam-
melte Schriften 28 f.). Mit einer Wurzelform *spēi̯-
[**speH₁i̯-] ‚gedeihen‘, die zu dem oben vorgenom-
menen Ansatz *(s)pēi̯- [**(s)peH₁i̯-] ‚sich ausdehnen‘
stimmen würde, rechnet Rasmussen, Morphophonemik
62. 310.
Vgl. C. C. Uhlenbecks (PBB 30 [1905], 275) Grdf.
*(s)phēi̯rā zur idg. Wz. *(s)phēi̯- ‚sich ausdehnen‘; zu-
stimmend Lehmann, a. a. O.; vgl. auch dens., PIE Pho-
nology 66 ff.; Schulze, Kl. Schriften 54; zweifelnd je-
doch S. Feist, PBB 32 (1907), 501 f.
Lautlich unbefriedigend ist die Verbindung mit aind.
pārá- ‚hinüberfahrend, hinüberführend‘, n. ‚jenseiti-
ges Ufer, jenseitige Grenze, Ziel‘, jav. dūraē-pāra-
‚dessen Ufer in der Ferne liegen‘ (angeführt von Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. a. a. O.), da hier eine Vorform
*por-ó- (gr. πόρος ‚Durchgang, Furt‘) vorausgeht
(Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 258; ders., Et. Wb.
d. Altindoar. II, 122; s. auch C. C. Uhlenbeck, Tijd-
schrift 25 [1906], 264 f.); → faran. Auch Entsprechun-
gen zu den gr. Wörtern πέρας, poet. πεῖραρ, πεῖρας
‚Ausgang, Ende‘, ἀ-πείρων ‚unendlich‘, die Grienber-
ger (Unters. z. got. Wortkunde 66 f.; ebenso H. Gün-
tert, WuS 11 [1928], 139: jedoch *pēira- mit „sekun-
därem Ablaut“) zum Vergleich heranzieht, würden
keine lautliche Basis für ein urgerm. *ē² bieten; denn
der Ausgangspunkt für die gr. Wörter ist ein *πέρ-ϝαρ
mit kurzem *e (vgl. auch gr. πέρᾱ ‚darüber hinaus,
weiter, länger, mehr, jenseits‘; s. Frisk, Gr. et. Wb. II,
490 f.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 770 f.). Als „ganz fraglich“
bezeichnet Frisk (a. a. O. II, 530 f.; vgl. Boisacq,
a. a. O. 756) die Anknüpfung an gr. Hesych πηρία
Ἀ < σ > πένδιοι τὴν χώραν τοῦ ἀγροῦ (A. Bezzen-
berger, BB 5 [1880], 329 Anm. 8; Bechtel, Gr. Dial.
II, 823) ebenso wie die Verbindung mit dem thessal.
ON Πηρείη (so A. Fick, BB 24 [1899], 295), aber auch
die mit air. īriu ‚Land‘ (W. Stokes, Zfvgl. Spr. 40
[1905—06], 248).
Nach der communis opinio stammt air. Ériu ‚Irland‘,
íriu ‚Land‘ aus *pīu̯erī [**piHu̯er-iH₂] ‚die fette
(Erde)‘ (vgl. gr. πίειρα γῆ ‚die fette Erde‘; s. J. Po-
korny, Zfvgl. Spr. 47 [1915—16], 234; Schrijver, Stu-
dies 288). Wegen des langen ē im Air. liegt aber die
Herleitung von air. Ériu, gen. Érenn f. ‚Irland‘ aus ei-
nem vorurkelt. Sg.Nom. *epi-u̯erii̯ō(n), Akk. *epi-u̯e-
rii̯on- ‚umhegtes Land, Hügel, Insel‘ näher; vgl.
auch kymr. Iwerddon < urbrit. akk.sg. *īu̯eri̯ón-am
(vgl. lat. Hibernia ‚Irland‘) mit Wandel von urbrit. *ī
< urkelt. *ē < *ei̯ (und mit Wandel von *rδ < *ri̯
vor betontem Vokal und wohl mit Kürzung von *-i̯o-
< *-ii̯o- in langer Wortform im Brit.). Ganz anders
Th. Vennemann, gen. Nierfeld, Sprachwissenschaft 23
(1998), 461 ff. (Herkunft von air. Ériu usw. aus dem
Semit.).
Ebensowenig sind die air. Präp. íar-n < *eperom und
gall. are- ‚bei, vor‘ (z. B. in Aremorici) < vorurkelt.
*p-e- Vergleichsmöglichkeiten für urgerm. *fē²rō-
(anders O. Schrader, BB 15 [1899], 131 ff. bzw.
A. Fick, BB 28 [1904], 106).
Wieder anders R. Trautmann, Zfdt. Wortf. 7 (1905—
06), 270: zu lett. pìere ‚Stirn‘. Auch heth. piran ‚vorn,
voran‘ erweist kein Subst. der Bedeutung ‚Vorder-
seite‘.
Walde-Pokorny II, 656 ff.; Pokorny 983; Mayrhofer,
K. et. Wb. d. Aind. III, 541 (sphāyate); ders., Et. Wb.
d. Altindoar. II, 776 ff.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 770 f.
(πέρᾱ); Frisk, Gr. et. Wb. II, 510 f. (πέρᾱ); Chan-
traine, Dict. ét. gr. 884 f.; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. II, 573 f. (spēs); Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴
641; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 274; Miklosich, Et.
Wb. d. slav. Spr. 317; Vasmer, Russ. et. Wb. II, 707;
Fraenkel, Lit. et. Wb. 866; Mühlenbach-Endzelin,
Lett.-dt. Wb. III, 993; Fick II (Kelt.)⁴ 45; Holder,
Acelt. Spr. II, 99 ff.; Hessens Ir. Lex. II, 47; Dict. of
Irish I-299; Dict. of Welsh II, 2042; Friedrich, Heth.
Wb. 170; Kronasser, Et. d. heth. Spr. 538; Tischler,
Heth. et. Gl. I, 408 f.; II, 574.