filu
Band III, Spalte 228
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filuAWB indeklinables subst., adv., ursprl. nom.
akk.sg.n. eines substantivischen u-Stammes
(s. u.), vom 8. Jh. an: subst. gebraucht viel,
groß
, adv. sehr, viel, gar, ganz (z. B. filu fasto
voll und ganz, filu fram ganz [und gar], gar
sehr, überaus, vor allem, völlig, in hohem Ma-
ße, ganz bestimmt, ganz genau, sehr deutlich
;
filu harto sehr, intensiv, filu mêr viel mehr;
filu nâh fast vollständig; sô filu so viel wie;
sô filu ... sô filu je ... desto, desto ... je; wio
filu mêr um wieviel mehr, in Verbindung mit
Adjektiven zur Bezeichnung des Superlativs
Var.: u-, v-, p-; -o, fil[e]. Mhd. vil(e) viel,
sehr
, nhd. viel.

u in ahd. (Gl. 1, 237, 29) Ra fulu gilt als Ver-
schreibung (z. B. Ahd. Wb. III, 828; Splett, Ab-
rogans-Studien 347). Zusammen mit afries. fule
deutet ahd. fulu aber wohl auf schwundstufiges
urgerm. *fulu (Weiteres s. u.).

Im Ahd. wie in den anderen germ. Sprachen
(s. u.) ist das Wort ursprl. Subst. und erscheint
des öfteren mit dem Genetivus partitivus; z. B.
Otfrid filu manno viele Menschen; vgl. noch
aus dem Nhd. viel Aufhebens. Einmal kommt
ahd. filu in der Funktion eines Dat./Instr. vor:
Hildebr. miti ... sinero degano filu mit vielen
seiner Gefolgsleuten
. Im Ahd. und in weiteren
germ. Sprachen (s. u.) trat filu ferner als Adv.,
darunter auch als prädikatives Adv., auf, z. B.
Abrogans filu lastrot valde tractat; Gl. 1, 571, 53
filo ist ut multum. Da in prädikativer Position
auch endungslose Adjektive vorkommen kön-
nen, war filu im Ahd. als Adj. auffaßbar und
dann als attributives Adj. zu verwenden; vgl. Be-
ned.regel hlahtar filu risum multum. Im späte-
ren Mhd. erfolgte als letzter Schritt der völlige
Übertritt in die adjektivische Flexion; z. B. uz
vilen landen.

Ahd. Wb. III, 826 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 231; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 262; Schützeichel⁵ 133; Starck-Wells
152. XL. 809; Schützeichel, Glossenwortschatz III,
154 ff.; Graff III, 471 ff.; Schade 195; Lexer III, 348;
Benecke III, 312 ff.; Diefenbach, Gl. lat.-germ. 12
(adeo sovil). 573 (tantum so vil); Dt. Wb. XII, 2,
104 ff.; Kluge²¹ 821; Kluge²⁴ 960 (jedoch: Ausgangs-
bedeutung füllend); Pfeifer, Et. Wb.² 1515 f. (bei
Kluge, Pfeifer wie im Ahd. Wb.: unrichtig ursprl.
Adj.). Lühr, Stud. z. Hildebrandlied 481 ff. und
Anm. 5.

Dem Wort in den Bedeutungen viel, sehr ent-
sprechen: as. filo, filu, mndd. vēl(e); aostndfrk.
filo, mndl. vēle (veel, veile, vole), nndl. veel,
dial. veul; afries. felo, fel(e), nostfries. föl, fǟl;
ae. feolu, fela, spätwestsächs. feala, me. (bis En-
de des 15. Jh.s) fēle (Komparativ fēler, feolore,
Superlativ the flest am meisten), ne. veraltet
fele; aisl. (nur in Zusammensetzungen) fjl-,
nisl. fjöl-, nnorw. fjøl- (selten in aisl. PN wie
Fjlmundr, Fjlsviðr, Fjlverkr; vgl. Fjlmóðr
mit erul. Filimuth, bair. Filomuot; ferner got.
Filimer, frk. Filibert, ae. Feolugeld, langob. lat./
romanisiertes Felevertus mit -e- neben Filebertus,
Kurzname Felo; s. Naumann, Anord. Namenstu-
dien 33 f.); got. filu. Zur Verbindung mit einem
Gen. vgl. as. so filo ... uuisaro uuordo so viele ...
weise Worte
, ae. eower fela viele von euch,
afries. felo heles londes viel feste Erde, got. ma-
nageins filu ὄχλος πολύς: < urgerm. *felu-
Vielheit. Daß dieses Subst. regelrecht flek-
tierte, zeigt der Gen. got. filaus um vieles, eigtl.
um eine Vielheit, zur Bezeichnung des Maßes
bei Komparativen; z. B. filaus mais περισσο-
τέρως μᾶλλον
, ferner die ae. (westsächs.) Laut-
form fela, da diese auf einen Gen. oder Dat. ur-
germ. *felauz bzw. *felau weist (zum Gen. vgl.
urgerm. *međauz vom Met in der Fügung vom
Met trinken
; metu; anders Sievers-Brunner,
Ae. Gr.³ § 317: -a in ae. fela sehr < Ablativ
*-d; zum Wandel von *e zu i vor *u s. Brug-
mann, Grdr.² I, 129). Während im Westsächs.
die Lautung des Gen. oder Dat. fela auch als
Nom. und Akk. gebraucht wurde, vertrat umge-
kehrt die ursprl. auf den Nom. und Akk. be-
schränkte Lautung filu im Ahd. auch den Dat./
Instr. (s. o.).

Vielleicht setzt ahd. filu in der Funktion eines Dat./
Instr. aber auch den uridg. Instr. *pélū [**pélHu-H₁]
fort (zur Grundform s. u.).

Des weiteren wurde das Wort viel in den germ.
Sprachen als prädikatives Adv. verwendet, ein
Gebrauch, der, wie oben bemerkt, eine Brücke
zu der Verwendung als Adj. bildet; vgl. got. þata
riqiz ƕan filu wie groß ist diese Finsternis, τὸ
σκότος πόσον
; ae. hearmedwit feala viel krän-
kenden Hohn
. Wie im Mhd. wird viel als flek-
tiertes Adj. so auch im Mndd., Mndl., Afries.
(Nostfries.), Ae.? (dat.pl. auf -um), Me.? (ein-
mal dat.pl. auf -en) gebraucht.

Die Rückführung von finn. paljo viel, Menge auf ein
zu got. *falu gehöriges *faljō (T. E. Karsten, Finn.-
Ugr. Forsch. 2 [1902], 192 f.; E. N. Setälä, Finn.-Ugr.
Forsch. 13 [1913], 420) ist sicher unzutreffend, weil
eine Entsprechung von gr. πολύς für das Germ. nicht
erwiesen werden kann.

Fick III (Germ.)⁴ 234; Holthausen, As. Wb. 20; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 130; Berr, Et. Gl. to Hel. 120; Wadstein,
Kl. as. Spr.denkm. 239; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 681 f.; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. V,
223; Helten, Aostndfrk. Psalmenfrg. 57; Kyes, Dict. of
O. Low and C. Franc. Ps. 25; Verdam, Mndl. handwb.
646; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 725 f.; Vries, Ndls.
et. wb. 767; Holthausen, Afries. Wb.² 25; Richthofen,
Afries. Wb. 731; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries.
Spr. I, 531 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 100; Bosworth-
Toller, AS Dict. 274; Suppl. 208 f.; Suppl. II, 24; ME
Dict. E-F, 466 f.; OED² V, 811 f.; Vries, Anord. et.
Wb.² 125; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 561; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog I, 432; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 64; Torp, Nynorsk et. ordb. 112;
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 152 f. 580; Lehmann, Go-
thic Et. Dict. F-52; Bruckner, Spr. d. Langob. 65
(§ 12). 77 (§ 16 Anm. 2). 247.

Zugehörige Bildungen aus weiteren idg. Spra-
chen sind: aind. m. purú-, f. pūrv- (< *p-
[**pHíH₂-]) viel, reichlich, av. pouru-,
apers. paru- dss. < uridg. m. *pú- [**pHú-];
hierher ahd. fulu, afries. fule?; s. o.), f. *p-
[**pHíH₂-]; gr. πολύς, πολλή (< *πολϝᾱ-;
danach auch ion. poet. πολλός, πολλόν mit -λλ-
oder mit Silbenverlust < *πολυ-λο-, -λᾱ-, Neu-
bildungen nach μεγα-λο-, -λᾱ- groß; s. Schwy-
zer, Gr. Gram.² I, 265; Szemerényi, Syncope in
Gr. and IE 278. 289), πολύ dss., häufig als
Vorderglied, z. B. πολύτροπος vielgewandert,
vielgewandt, verschlagen
, z. B. von Odysseus,
Hermes, (< *polú-, mit Akzentverschiebung <
*pólu- [**pólHu-]); air. il mit Subst. im Pl.
viele, Adv., häufig in Zusammensetzungen,
auch hil (dazu Pedersen, Vgl. Gr. d. kelt. Spr. I,
91) (< *pelu- [**pelHu-]), ilar, gen. -air n.
(nir. m.) Menge, Überfluß, Plural (ild[a]e
vielfach); lit. pilu? im Überfluß (parpilu svec-
ziu für per pilu Gäste im Überfluß; s. Leskien,
Nom. bildung im Lit. 248); Komparativ aind.
adv. prya meistens, gewöhnlich, av. frāiiah-
(oder alte o-Stufe; s. u.), gr. πλείων (zu gr. πλέες
s. Szemerényi, a. a. O. 255 f. mit Literatur), air.
līa < *plē-os- [**pleH₁-os-] (anders Thurney-
sen, Gr. of OIr. 236: *plē-is-); dazu lat. Kompa-
rativ Carmen fratrum Arvalium pleōrēs < *plē-
ōs-ēs (mit auffallendem Rhotazismus anstelle
von *pleoses; anders Th. v. Grienberger, IF 19
[1906], 158: verkehrte Schreibung für ploeres;
so als archaisierende Schreibung bei Cicero);
Superlativ plīsima als Ableitung von *plē-is-
[**pleH₁-is-]; akymr. liaus, nkymr. lliaws Men-
ge
< *plēōs-tu- oder *-to- (Falileyev, Et. gloss.
of Old Welsh 103); dagegen alat. plous, lat. plūs
mehr (italien. più, frz. plus usw., davon abge-
leitet afrz. pluisour, nfrz. plusieurs) < *plō-is
[**ploH₁-is], mit o-Stufe aus dem Neutr. (s. u.;
anders Szemerényi, a. a. O. 256 Anm. 2: lat. plūs
< *plēyos); dazu lat. Superlativ alat. ploirume
(Varro plūsima), lat. plūrimus < *plōisimo-
[**ploHismo-] im Lat. ist der Positiv schon
vorhistorisch durch multus ersetzt; Superlativ
av. fraēta- (oder alte o-Stufe; s. u.), gr. πλεῖστος
< [**pleH₁-ist(H)o-]; aisl. fleistr < *plōisto-
[**ploHist(H)o-], alles Ableitungen von der
Wz. uridg. *pelǝ- [**pelH₁-] füllen.

St. Schaffner, Mü. Stud. z. Spr.wiss. 56 (1996), 161
Anm. 118. Überholt sind Herleitungen der Kompara-
tiv- und Superlativformen wie: lat. plūs < *plēōs (z. B.
J. Schmidt, Zfvgl. Spr. 38 [1905], 41 ff.); oder die An-
nahme, gr. πολύς sei mit aind. purú- identisch
(F. Specht, Zfvgl. Spr. 59 [1932], 111; ähnlich
K. Strunk, Glotta 47 [1969], 3: aind. purú-, gr. πολύς
< *pǝx-ú-; vgl. dazu auch Schulze, Kl. Schriften
52) oder entspreche unter einer Vorform pe unmit-
telbar aind. purú- (J. Schmidt, Zfvgl. Spr. 32 [1893],
382). Die Wörter aind. adv. prya, av. frāiiah- erwei-
sen keine neben uridg. *plē- [**pleH₁-] stehende Wz.
*pl-, sondern sind komparativische Bildungen (Ost-
hoff-Brugmann, Morph. Unters. VI, 83 ff.).

In den urgerm. Fortsetzungen von [**pélHu-]
und [**pHú-] fand ein Ausgleich in der Weise
statt, daß das einfache *l (< [**H₁]) von ur-
germ. *fulu- das lautgesetzliche, infolge von Re-
sonantengemination durch Laryngal zu erwar-
tende *ll (< [**lH₁]) verdrängt hat.

In spätwestsächs. feala sieht man sicher zu Unrecht
die Entsprechung von gr. πολύ; s. Sievers-Brunner,
Ae. Gr.³ § 110, 2 Anm. 5.

Zugrunde liegt ein neutr. Subst. uridg. nom.akk.
*pólu, gen. *pélu-s [**pólHu, **pélHu-s]
Vielheit mit dem Akzent auf der Wurzelsilbe
und Ablaut (s. J. Schindler, BSLP 70 [1975],
6 ff.); zum Wortbildungstyp vgl. uridg. nom.
akk. *ónu (aind. jnu; gr. γόνυ), gen. *énu-s
Knie (heth. genu-; lat. genū), wobei der Gen.
zu *én--os (heth. genuwas) und *n-é-s
( kniu) umgebildet wurde. Dem o-stufigen
Subst. ist der Komparativ und Superlativ *plōis
[**ploHis] bzw. *plōisto- [**ploHist(H)o-]
zuzuordnen. Schwundstufiges *pú- [**pHú-]
stellt demgegenüber eine Ableitung dar und be-
deutet mit Vielheit versehen; der Komparativ
und Superlativ dazu hatte e-Stufe, *plēis
[**pleHis] bzw. *plēisto- [**pleHist(H)o-]
(G. Klingenschmitt mündlich).

Weitere Ableitungen der Wz. uridg. *pelǝ-
[**pelH₁-] füllen sind z. B.: aind. 3.sg. pti
(zu der sekundären thematischen Form páti s.
Strunk, Nasalpräsentien 57); aav. pǝrǝnā er-
fülle
; gr. 3.sg. πίμπλησι füllt, macht voll; füllt
sich, wird, ist voll
, mit sekundärem Nasal <
*pi-plē-ti [**pi-pleH₁-ti], 1.pl.präs. πίμ-πλα-
μεν (vgl. aind. ápiprata), Aor. ἔ-πλησ-ε (vgl.
aind. á-prās) < *é-plē-s + e; lat. plēre, plēvī,
plētum füllen, sättigen, nähren; arm. lnowm <
*plēnu-; air. 3.sg. līnaid (mit analogischem ī)
füllt, wird voll < *linati < *pnǝti [**pti]
(mit sekundärem Übergang in die ā-Verben?
[Klingenschmitt, Altarm. Verbum 254]); lit. pìlti
(pilù, pliau) gießen, (aus-)schütten, (aus-)fül-
len
, lett. pilt (pilstu, pilu) tröpfeln.

Die Bedeutungsbestimmung von aind. píparti als füllt
(z. B. Uhlenbeck, K. et. Wb. d. aind. Spr. 166) ist un-
zutreffend; s. Narten, Kl. Schriften I, 123 f.

Walde-Pokorny II, 64 f.; Pokorny 800; Mann, IE
Comp. Dict. 918; Fick I (Idg.)⁴ 82. 251. 476 f.; C. Wat-
kins, American Heritage dictionary of Indo-European
roots (Boston, 1985), 48; Mayrhofer, K. et. Wb. d.
Aind. II, 282 f. 311; ders., Et. Wb. d. Altindoar. II,
89 f. 148; Bartholomae, Airan. Wb.² 854 f. (s. v. parav-).
1018 f. (s. v. frāyah-). 974 f. (s. v. ¹fraēta-). 850 (s. v.
²par-); Hoffmann-Forssman, Av. Laut- u. Flex.lehre
129 ff. 217; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 783 f. 802 f.; Frisk,
Gr. et. Wb. II, 537 f. 577 f.; Chantraine, Dict. ét. gr.
901 f. 927; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 322 f.
327 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 515 ff.; Leumann,
Lat. Laut- u. Formenlehre 496 f.; Meiser, Hist. Laut- u.
Formenlehre d. lat. Spr. § 105, 4; Du Cange² VI, 377
(plūs); Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr. 7270; Meyer-
Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 6618; Wartburg, Frz. et.
Wb. IX, 102 ff.; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 218;
Fraenkel, Lit. et. Wb. 592; Fick II (Kelt.)⁴ 41; Hessens
Ir. Lex. II, 9. 69; Dict. of Irish I-55 ff.; Pedersen,
a. a. O. II, 119 f.; Thurneysen, Gr. of OIr. 138. 231.
235. 244. Persson, Beitr. z. idg. Wortf. 749; Brug-
mann, Grdr.² II, 3, 317; Benveniste, Origines 54 f.;
Beekes, Develop. of PIE Laryngeals 218 (der Ansatz
[**pólHus], [**pHéus] verdiene den Vorzug vor
dem Ansatz [**pélHus], [**pHéus]). 241 (aind.
pūrv, gr. πολλή < [**pH-]); J. Kuryłowicz, tudes
indo-européennes (Kraków, 1935), 70.

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