firiwizzi¹AWB [-ts-] adj. ja-St., nur bei Otfrid
und in Gl. seit dem 8./9. Jh.: ‚neugierig, vor-
witzig, curiosus‘ (zur Glossierung von lat. fastus
Gl. 1, 138, 7. 139, 7 [Abrogans], das wohl als
Adj. ‚hochmütig‘ aufgefaßt wurde, vgl. Splett,
Abrogans-Studien 209) 〈Var.: firu- (Otfrid; an
das folgende -uu- assimiliert), fir-, uir-; -z-,
-c-〉. — Mhd. virwitze, nhd. veraltet fürwitz (→
furiwizzi), heute durch vorwitzig ersetzt.
Ahd. Wb. III, 909; Splett, Ahd. Wb. I, 1147; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 276; Schützeichel⁵ 135; Starck-Wells
157; Schützeichel, Glossenwortschatz III, 179; See-
bold, ChWdW8 328; Graff I, 1098 f.; Schade 198; Le-
xer III, 368; Benecke III, 793 f.; Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 165 (curiosus). 257 (fastus); Dt. Wb. IV, 1, 1,
943; Kluge²⁴ 964 (Vorwitz); Pfeifer, Et. Wb.² 1525
(Vorwitz).
Das Wort ist eine Zss. aus dem nur in dieser
Wortsippe belegten Präfix firi- und einem Ver-
baladj. -wizzi zur germ. Verbalwz. *wejt- :
*wajt- : *wit-, idg. *u̯ei̯d- : *u̯oi̯d- : *u̯id- ‚se-
hen, (er-)blicken‘ (→ wizzan). Das Präfix geht
auf idg. *peri zurück und hat genaue Entspre-
chungen in aind. pári, av. pairi, apers. pariy, gr.
περί (ohne ausl. -i gr. πέρ, lat. per, got. fair-)
zur idg. Wz. *per- ‚das Hinausführen über‘; →
fir-, fora, fra-, furi. In dieser Zss. hat es eine in-
tensivierende Funktion, wie bei aind. pári-vid-,
gr. περί-οιδα, lat. per-vidēre ‚genau erkennen,
wissen‘, gr. περι-καλλής ‚sehr schön‘, lat. per-
magnus ‚sehr groß‘ usw. (nicht die Bed. ‚umher‘,
die G. Schmidt, Germ. Adverb 327 annimmt).
Aus einer ursprl. Bed. ‚gespannt hinblickend,
anstarrend‘ hat sich die Bed. ‚neugierig, vorwit-
zig‘ entwickelt (vgl. lat. curiosus zu cura ‚Sorg-
falt, Beachtung, Aufmerksamkeit‘); das Subst.
firiwizzi (s. d.) ist wohl zum Adj. gebildet, denn
Adj. werden oft substantiviert (vgl. Wilmanns,
Dt. Gr. II § 298 f. und → elilenti adj. und n. ja-
St.), während Subst. im adj. Gebrauch selten
sind (Wilmanns, a. a. O. § 386). Das Adj. wizzi
erscheint auch in der Zss. wanawizzi ‚vecors‘
(s. d.; dazu das Subst. wanawizzî f. īn-St.). Das
Subst. bedeutet nicht nur ‚Neugier‘, sondern
auch ‚Wunder, wunderbare Erscheinung, por-
tentum‘, d. h. ‚etwas, was man anstarrt, ein selt-
samer Anblick‘. Dieser Wechsel des Blickpunkts
vom „Anstarrenden“ auf „das Angestarrte“ hat
Parallelen in spätlat. curiositas, nfrz. curiosité
(> ne. curiosity), die sowohl ‚Neugier‘ als auch
‚Seltenheit, Merkwürdigkeit‘ bedeuten.
Ahd. firiwizzi entspricht genau dem adj. ja-St.
ae. fyr-, firwit ‚neugierig‘. Verwandt sind auch
got. fairweitjan ‚gespannt hinblicken, ἀτενίσαι‘,
part. präs. auch ‚vorwitzig, περίεργος‘, wohl ein
denom. Verb. zu *fairweit ‚gespannter, auf-
merksamer Blick‘; dazu auch fairweitl n.
‚Schauspiel, θέατρον‘, eine Bildung mit lo-Suffix
nach dem Muster von gr. θέατρον zu θεάομαι
‚schaue‘.
Anders E. Seebold, Sprache 19 (1973), 173 ff.: got.
fairweitl bedeutete ursprl. ‚Erscheinung‘ und war „zu
einem Verbum mit der Bedeutung ‚erscheinen, kom-
men‘ gebildet“ (174); s. auch Casaretto, Nom. Wort-
bildung d. Got. 397.
Holthausen, Ae. et. Wb. 120; Bosworth-Toller, AS
Dict. 289. 355; Suppl. 221. 277; Feist, Vgl. Wb. d. got.
Spr. 141; Lehmann, Gothic Et. Dict. F-17; F-90 (s. v.
fra-weit). — Walde-Pokorny II, 29 ff.; I, 238; Pokorny
810 ff. 1126; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 216 f.;
ders., Et. Wb. d. Altindoar. II, 91 f.; Frisk, Gr. et. Wb.
II, 512 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 283 ff. —
J. Schmidt, Zfvgl. Spr. 26 (1883), 25.