fliodemaAWB, fliotemaAWB f. ō- und n-St., seit dem
9. Jh., nur in Gl.: ‚Lanzette (zum Aderlassen),
phlebotomum, -us, fleotomum‘ 〈Var.: flied-,
flid-, fliet-, flit-, fleid-, vlied-; -ima, -im〉.
Das Wort wurde aus gleichbedeutendem spät-
lat. flebotomus m. mit Haplologie über *flēto-
mu- > *flēdomu (mit „romanischer Lenition“,
s. E. Polomé, in Rekonstruktion u. relative
Chronologie 61) entlehnt, das wiederum aus
gr. φλεβοτόμον n. stammt. — Mhd. vliedeme,
vlieme sw. f. und sw. m., nhd. veraltet Fliete f.
Im Nhd. ist das Wort nur noch dialektal (vor-
wiegend im süddt. Raum) und im FamN Flied-
ner, Flit(h)ner, einer alten Berufsbezeichnung
‚Aderlasser, Schröpfer‘, erhalten.
Wegen seiner weiten Verbreitung ist die Annahme we-
niger wahrscheinlich, daß der FamN vom ON Flieden
(bei Kassel) abgeleitet ist.
Ahd. Wb. III, 968 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 244; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 300 f.; Starck-Wells 164. 810; Schütz-
eichel, Glossenwortschatz III, 210 f.; Graff III, 360;
Lexer III, 401; Benecke III, 341; Diefenbach, Gl. lat.-
germ. (flebotomum); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 490
(phlebotomum); Dt. Wb. III, 1797 f.; Kluge²¹ 206;
Kluge²⁴ 302. — Schatz, Ahd. Gr. § 45; Bach, Dt. Na-
menkunde I, § 233 b; Brechenmacher, Et. Wb. d. dt.
FamN I, 478; Schweiz. Id. I, 1230; Ochs, Bad. Wb.
II, 179; Fischer, Schwäb. Wb. II, 1573; Schmeller,
Bayer. Wb.² I, 788; Müller, Rhein. Wb. II, 617;
Christmann, Pfälz. Wb. II, 1459; Maurer-Mulch,
Südhess. Wb. II, 805; Crecelius, Oberhess. Wb. 384.
Aus spätlat. flebotomus sind auch mndd. vlē-
tem(e), vlētme, vlēte m. und f.; nostfries. flēt;
ae. flītme, flȳtme f.; dän. flitte entlehnt. Mndl.
vlīm(e) m., nndl. vlijm m.; nwestfries. flym,
flime; me. flēme, ne. fleam haben dagegen die
afrz. Form flieme als Ausgangspunkt.
Den Aderlaß als Vorbeugungsmittel gegen Krankhei-
ten kennt bereits die gr. Heilkunde, er wurde dann
von römischen Ärzten übernommen und auch in der
Tierheilkunde, besonders bei Pferden, angewendet.
Da man seit Galen (129—199, Leibarzt von Mark Au-
rel) von der Nützlichkeit einer regelmäßigen Blutent-
nahme überzeugt war, verbreitete sich diese Methode
auch bei den Germanen, die mit Römern in Kontakt
kamen, speziell den Franken. Der Umgang mit der
fliodema wurde zunächst vorwiegend in Klöstern aus-
geübt, erlangte aber schnell allgemeine Verbreitung.
Wie die sprachlichen Zeugnisse belegen, fand das me-
dizinische Gerät bis nach Skandinavien Anwendung.
Genuswechsel und sprachliche Form zeigen, daß das
fremde Wort schnell assimiliert wurde (vgl. Heyne,
Dt. Hausaltertümer III, 107 ff.).
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 746; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. V, 272; Verdam, Mndl. handwb.
720; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 750; Vries, Ndls. et.
wb. 792; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. I,
508; Dijkstra, Friesch Wb. I, 369; Holthausen, Ae. et.
Wb. 108; Bosworth-Toller, AS Dict., Suppl. 226; ME
Dict. E-F, 613; OED² V, 1034; Oxf. Dict. of Engl. Et.
361; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 238; Ordb. o. d.
danske sprog IV, 1190.
In den romanischen Sprachen ist das Wort außer im
Frz. (afrz. flieme, nfrz. flamme) noch in prov. flecme,
span. fleme, port. flame, italien. fiama fortgesetzt.
Gr. φλεβοτόμον n. ist vom verb. Rektionskomp.
φλεβοτόμος ‚zur Ader lassend‘ abgeleitet, das
aus dem Wz.-Nomen φλέψ ‚Blutader‘, gen.sg.
φλεβός und dem Hinterglied -τόμος ‚schnei-
dend, öffnend‘ komponiert ist.
Frisk, Gr. et. Wb. II, 1025 (s. v. φλέψ); Chantraine,
Dict. ét. gr. 1211 (s. v. φλέψ); Ernout-Meillet, Dict. ét.
lat.⁴ 505; Du Cange² VI, 305 f.; Körting, Lat.-rom.
Wb.³ Nr. 7122; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr.
6467. — Risch, Wortbildung d. hom. Spr.² § 74.