flockoAWB m. n-St., nur in Gl. vom 9. Jh. an:
‚Flocke, Flaum, lanugo, [capparis]‘ 〈Var.:
-chch-, -cch-, -cc-〉. In 1, 546, 34 (Mons. Frg.)
glossiert flocko lat. capparis ‚Kapernstrauch‘,
wobei die Kaper als Sinnbild der Vergänglich-
keit steht; vgl. Ahd. Wb. III, 993. — Mhd. vlok-
ke sw. m., vloc st.m. ‚Schnee-, Blüten-, Woll-
flocke, Funke, Flaum‘, nhd. Flocke f. Das fem.
Genus kommt erst in nhd. Zeit auf, doch er-
scheint dial. noch das Mask.; z. B. schweiz.
flocken m. ‚Flocke; Flughafer‘, schwäb. flocke,
tirol. vlokh m. ‚Flocke‘. (Der Genuswechsel in
die große Gruppe der Fem. auf -e betrifft viele
urspr. Mask. auf -e, die nicht genusfixiert wa-
ren; vgl. Moser, Gr. d. Frühnhd. III, 273;
Dam, Hb. d. dt. Spr. II, 176). Ein Lehnwort ist
nhd. dial. obd. flocken m. ‚langes faltiges
Oberkleid einiger Mönchsorden‘ (s. u.).
Ahd. Wb. III, a. a. O.; Splett, Ahd. Wb. I, 248; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 303; Starck-Wells 165; Schützeichel,
Glossenwortschatz III, 219; Graff III, 763; Schade
207; Lexer III, 409 f.; Benecke III, 345; Diefenbach,
Gl. lat.-germ. 98 (capparis). 239 f. (floccus). 317 (la-
nugo); Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 88 (capparis). 367
(lanugo); Dt. Wb. III, 1809 ff.; Kluge²¹ 208; Kluge²⁴
356 f.; Pfeifer, Et. Wb.² 356 f. — Schweiz. Id. I, 1194;
Fischer, Schwäb. Wb. II, 1575; Schmeller, Bayer.
Wb.² I, 787; Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. I, 180.
Ahd. flocko entsprechen: mndd. vlocke (nur pl.)
‚zusammenhängende, zusammengeballte Fa-
sern, Haare oder sonstige leichte Teile, Flocke,
Büschel, Wollflocke‘ (> ndän. flok[ke] ‚Flocke,
Faser‘, nschwed. flock[a]); mndl. vlocke, vloc f.
‚Schnee-, Haar-, Wollflocke, Wollstoff‘, nndl.
vlok f. (mit Genuswechsel wie im Nhd.); afries.
flokk- in flokskivech ‚ungeschoren‘ (eigtl. ‚Flok-
kenkügelchen habend‘), nostfries. flok(ke)
‚Woll-, Haar-, Schneeflocke‘, nwestfries. flok,
z. B. snieflok; me. (zuerst um 1250) flok (pl.
flokkes) ‚Wollflocke‘ (aus dem Mndd.?, aus
afrz. floc?), ne. flock: < urgerm. *flukkan-.
Fick III (Germ.)⁴ 254; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. I, 1, 751; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. V,
278; Verdam, Mndl. handwb. 722; Franck, Et. wb. d.
ndl. taal² 751; Vries, Ndls. et. wb. 794; Holthausen,
Afries. Wb.² 29; Richthofen, Afries. Wb. 94 (anders zu
flokskivech: „pflock-schiebig, ... so dass die pfähle ei-
nes stakets sich verschieben“; doch s. Helten, Lex. d.
Aostfries. 130); Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries.
Spr. I, 516; Dijkstra, Friesch Wb. I, 371; Holthausen,
Ae. et. Wb. 109; Bosworth-Toller, AS Dict. 294; ME
Dict. E-F, 648 ff.; OED² V, 1073 ff.; Oxf. Dict. of
Engl. Et. 363; Vries, Anord. et. Wb.² 133; Jóhannes-
son, Isl. et. Wb. 573. 577. 579; Fritzner, Ordb. o. d. g.
norske sprog I, 444; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awest-
nord. 67; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 239; Ordb.
o. d. danske sprog IV, 1208 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb.
123; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 221; Svenska akad.
ordb. F-824 ff.
Nach älterer Auffassung ist das Wort aus lat.
floccus ‚Wollbüschel, das Flockige an Pflanzen,
im Urin‘ (italien. fiocco, frz. floc ‚Troddel‘, da-
von frz. flocon ‚Flocke‘) entlehnt (z. B. Brüch,
Einfl. d. germ. Spr. 9 [lat. floccus sei im Germ.
mit einem nach Laut und Bedeutung ähnlichen
Wort zusammengefallen]; Seebold [Kluge²⁴]
a. a. O. als wahrscheinlichere Alternative).
Thes. ling. lat. VI, 1, 415 f.; Körting, Lat.-rom. Wb.³
Nr. 3847; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 3375;
G. Gröber, Arch. f. lat. Lex. 2 (1885), 425. — Walde-
Hofmann, Lat. et. Wb. I, 517 f. führen lat. floccus auf
eine Vorform *bhlōko- zurück, die mit Metathese lat.
floccus (ablautend mit ahd. blaha ‚grobes Leintuch‘;
s. d.) ergeben hat. Für diesen Ansatz spricht, daß das
mit lat. floccus unter einer Grundbedeutung ‚flockiger
Schaum‘ zu verbindende floccēs ‚Bodensatz (Hefe) des
gekelterten Weins‘ (mit geneuertem Ausgang nach fra-
cēs ‚Ölhefe‘, faecēs ‚Hefe‘) nach Ausweis der romani-
schen Sprachen eine Lautfolge -ōc- voraussetzt; s.
Lühr, Expressivität 80.
Die Annahme einer Entlehnung aus mlat. floccus
‚Wollkutte der Benediktiner‘ (eigtl. ‚Wollbü-
schel‘) trifft jedoch nur für obd. flocken (s. o.) zu
(anders noch im Band II, 156: Nhd. Flocke sei
aus lat. floccus ‚Wollbüschel, Flocke‘ entlehnt).
Die weite Verbreitung von Flocke im Westgerm.
weist eher auf einheimischen Ursprung. Als An-
schlußmöglichkeit hat man lit. pláukas ‚Haar,
(Haar-)Farbe, Art, Gattung‘ (mit Fortsetzung
der abgetönten Hochstufe), plaukaĩ ‚Haare‘,
lett. plaûka, (gewöhnlich Pl.) plaũkas ‚Flocken,
Fasern, Abfall von Wolle, Flachs‘, plauki
‚Schneeflocken‘, ablautend lit. plùnksna ‚Feder‘
(mit analogischer Übernahme des -n- vom Verb
plùnkti ‚[einen Vogel] an den Federn zupfen‘
[mit Nasalinfix bei Verbalwurzeln auf Tektal;
vgl. Senn, Hb. d. lit. Spr. 269]), lett. plūksnas
‚Abfall von Flachs, feine Federn der Vögel, wei-
ße im Wind flatternde Birkenrinde‘ (< *pleu̯k-/
plou̯k-, ursprl. wohl ‚schweben‘; davon auch lit.
plaũkti ‚schwimmen‘; → fliogan), lett. plucinât
‚rupfen, zupfen, abbrühen‘ (mit iterativem Suf-
fix *-inā-; vgl. Stang, Vgl. Gr. d. balt. Spr. 369)
erwogen.
Umstritten ist die Zugehörigkeit von apreuß. plaux-
dine f. ‚vederbette‘, lit. pláuzenis usw. ‚(Deck-)Bett‘ zu
lit. pláukas usw. (Fraenkel, Lit. et. Wb. 609 s. v. plaũšas
‚Lindenbast‘; anders Zupitza, Germ. Gutturale 130;
Trautmann, Apreuß. Spr.denkm. 400 zu lit. pláukas
und damit zu ahd. fliogan [s. d.]).
Abzulehnen: L. Sütterlin, BB 17 (1891), 164 f.;
W. Stokes, BB 19 (1893), 114 f.: *flukk- < urgerm.
*þlukk- < vorurgerm. *tghnó- und Verbindung mit
gr. λάχνη ‚krausiges, wolliges Haar, Pelzhaar‘. Abge-
sehen von dem nicht weiter motivierbaren Lautwandel
vorurgerm. *tl zu *fl beruht gr. λάχνη auf *ϝλακ-σν-
ᾱ < *u̯-snā (vgl. Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 567; Frisk,
Gr. et. Wb. II, 93; vgl. av. varǝsna- m., npers. gurs;
aksl. vlasъ, russ. vólos < *u̯ol-o-; s. auch Chan-
traine, Dict. ét. gr. 562). Zur fraglichen Herleitung von
russ. klok usw. ‚Büschel, Haare, Flocke‘ aus *plъkъ
mit Fernassimilation und dem Anschluß an die Sippe
von ahd. flocko s. Vasmer, Russ. et. Wb. I, 571.
Bei einer unmittelbaren Verbindung der k-halti-
gen baltischen Wörter findet die Geminata *kk
im Germ. aber keine plausible Erklärung. Auch
für die Annahme einer „expressiven Geminati-
on“ bietet die Wortbedeutung keinen Anlaß.
Daher dürfte nach wie vor F. Kluges²¹ Herlei-
tung aus einem erst urgerm. Paradigma *fluan-,
*flukk- (< *flun- mit n-Gemination) ‚das in
der Luft Fliegende‘, einer Ableitung von der
dem Verb fliegen (s. u.) zugrundeliegenden Wz.,
Bestand haben; zur Bedeutung vgl. die ebenfalls
von fliegen abgeleiteten Wörter nostfries. flog,
flogge ‚alles Leichte und Fliegende, wie Staub,
Asche, Wollfasern, Wollflocken, Schneeflocken‘
(-gg- als lautsymbolische Bezeichnung des
‚Sich-Hin-und-Herbewegens‘; vgl. afries. rogga
m. ‚Roggen‘, eigtl. ‚der Schwankende‘[?]; →
rocko und Lühr, a. a. O. 291. 308), neben nfries.
flunk ‚Flocken‘ [H. G. Ehrentraut, Fries. Archiv
1 (1849), 367] mit expressiver Nasalierung; da-
zu Lühr, a. a. O.); schweiz. flocken ‚Flughafer‘
(s. o.); nnorw. dial. flugsa, flygsa ‚Schneeflocke‘;
nndl. vloghaver ‚Flughafer, Windhafer‘.
Die mit dem Wort Flocke verglichenen Wörter mir. ló
‚Wollflocke, Wollhaar, Härchen der Augenbrauen,
Schneeflocke‘, lóe ‚Wolle, Flies, Pelz, Decke‘ sind
nach J. Pokorny (Zfcelt. Ph. 13 [1921], 122 f.) nicht
verwandt, sondern leiten sich von den Vorformen
*lau̯ā bzw. *lau̯i̯ā her.
Auf eine ähnliche Vorform wie das Wort Flocke
gehen zurück: mndd. vlocke ‚Schafherde,
Schar‘; mndl. vlocke; aisl. flokkr m. ‚Haufe,
Menge, Schar‘, auch Bezeichnung einer Ge-
dichtgattung, nisl. flokkur, nnorw., nschwed.
flock ‚Haufen‘, ndän. flok; ae. flocc ‚Herde,
Trupp‘, me. flok (pl. flokkes, vlockes) ‚Schaf-,
Schweineherde, Vogelschar, Menschen-, Krie-
gerschar‘, ne. flock ‚Herde, Schar‘ (besonders
von Schafen) < urgerm. *flukkan-. Nach Falk-
Torp (a. a. O.) ist die Grundbedeutung dieser
Wörter entweder ‚Schwarm Vögel‘ oder ‚Schaf-
herde‘ gewesen. Im ersteren Fall sei das Wort
mit fliegen und im letzteren Fall mit fliehen zu
verbinden. Obwohl die Bedeutung ‚Herde‘ die
ältere ist (zuerst im Aisl.), dürfte dennoch die
Verbindung mit fliegen vorzuziehen sein (vgl.
Flucht Tauben, Spatzen, Hühner, ne. flight
‚Schwarm, Schar‘), da eine ursprl. Bedeutung
‚fliehende Schar‘ für Wörter der Bedeutung
‚Schar‘ wenig wahrscheinlich ist. Da sich die Be-
deutungen ‚Flocke‘ und ‚Vogelschar‘ kaum ver-
mitteln lassen, sind die Vorformen dieser Wör-
ter wohl voneinander unabhängige Ableitungen
von dem Verb fliegen (s. Lühr, Expressivität
218 f.).
Walde-Pokorny II, 97; Pokorny 837; Ernout-Meillet,
Dict. ét. lat.⁴ 241; Fraenkel, a. a. O. 605 f. (Vergleich
des bedeutungsverwandten Wortpaars lit. plãštakà
‚Schneeflocke, Schmetterling‘, plastti ‚flattern‘).
607 f.; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. III, 324 f.
353. 362; Dict. of Irish L-171 f. — Lanszweert, Re-
konstr. d. Balt. 44 f. 61; R. Pfister, Mü. Stud. z.
Spr.wiss. 25 (1969), 75—94, bes. 89—91; E. Polomé, in
JIES 2 (1974), 110.
Nach R. Thurneysen (IF 14 [1903], 127 f.) stammt lett.
plūzu, plūkt ‚zupfen, raufen, pflücken‘ aus der germ.
Sippe von dt. pflücken < italien. piluccare ‚abbeeren‘,
frz. éplucher ‚abzupfen, rupfen, abschuppen‘ usw.
(Falk-Torp, a. a. O. 840; die entgegengesetzte Entleh-
nungsrichtung nehmen z. B. R. Meringer, IF 17 [1904—
05], 144; N. v. Wijk, IF 23 [1908—09], 371 an). Doch
können die balt. au/ū-Formen nicht mit sekundärem
Ablaut aus einer Lehnsippe erklärt werden. Zugrunde
liegt eine Wz. *pleu̯k-, auf der möglicherweise auch
lat. plūma f. ‚Flaumfeder, Flaum‘ (< *pluk-snā?; s.
Joh. Schmidt, Kritik d. Sonantentheorie 107) beruht.
Zu einer weiteren möglichen Vorform für lat. plūma,
*plus-mā, und einem Zusammenhang mit mhd. vlius,
vlies, ae. flēos, flīes (ablautend mndd. vlūs[ch], woraus
ält. nhd. Flaus, nhd. Flausch) s. Ernout-Meillet,
a. a. O. 516; Walde-Hofmann, a. a. O. II, 324 f. und →
pfrûma, pflûma.
Aisl. flóki m. ‚Flocke, Filz‘, auch PN, nisl. flóki,
nnorw. floke ‚wirre Masse‘, nschwed. dial. flok ‚Filz‘
gehören dagegen zu ae. flōcan ‚klatschen, schlagen‘.
Zu einer möglichen Verwandtschaft von ne. flake
‚Flocke‘ mit aisl. flóki s. OED² V, 996.