fogal m. a-St., seit dem 8. Jh., im Tatian,
Physiol., bei Otfrid, Notker, Notker, Ps.gl.
und in Gl.: ‚Vogel, ales, aliger, avis, volitans‘,
pl. auch ‚Geflügel, volatila, volucres‘ 〈Var.: v-,
u-; -c-; -ol Gl. 4, 129, 48 [13. Jh., bair.]; fugal-
Gl. 2, 702, 53 [mfrk.] und durchgängig im Ta-
tian; -el, -il〉. Der anaptyktische Vokal tritt
auch in den flektierten Formen auf und gleicht
sich häufig dem Vokal der Kasusendung an
(vgl. Gl. 2, 234, 43 gen.pl. fogolo [Anfang
9. Jh.]). Seltener beeinflußt der mittlere Vokal
den Vokal der Endung (Notker, Ps.gl. 103, 17
dat.pl. fógilin). — Mhd. vogel, nhd. Vogel.
Im Abrogans Gl. 1, 92, 25 Pa glossiert focal lat.
culix ‚Mücke‘. Nach Splett, Abrogans-Studien
158, war dem Glossator das lat. Wort fremd; in
Anlehnung an das in der folgenden Glossen-
gruppe auftretende corax, coruus ‚Rabe‘ habe
der Schreiber culix ebenfalls für eine Vogelbe-
zeichnung gehalten. Da aber in Gl. 2, 702, 53
(11. Jh.) mit manac fugal ‚uolitans‘ wohl ‚Vieh-
bremse‘ gemeint ist und mhd. vogel, (selten) va-
gel außer für ‚Vogel‘ auch für ‚fliegendes Insekt‘
verwendet wird, ist die Bedeutung ‚Mücke‘ si-
cher schon für das Ahd. anzunehmen. Noch im
19. Jh. (W. Busch, in Max und Moritz: „jeder
weisz was so ein Maikäfer für ein Vogel sei“
[1858]) und mdartl. wird Vogel als Oberbegriff
für fliegende Insekten u. ä. verwendet; vgl.
Schweiz. Id. I, 692: die biene ist ein kleins vöge-
lin; Vilmar, Id. von Kurhessen 431: vogel heiszt
in Hessen alles was fliegt (Fledermäuse, Schmetter-
linge, Käfer, sogar Fliegen, Mücken); Kranz-
mayer, Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. II, 841 s.
Karte: Peienfogel ‚Biene = Bienenvogel‘.
Ahd. Wb. III, 1015 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 250; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 306; Schützeichel⁵ 137; Starck-
Wells 167. 810; Schützeichel, Glossenwortschatz III,
228 f.; Seebold, ChWdW8 131; Graff III, 434; Schade
230; Lexer III, 424 f.; Benecke III, 357 f.; Diefenbach,
Gl. lat.-germ. 61 (auis). 21 (ales). 628 (volatile); Götz,
Lat.-ahd.-nhd. Wb. 29 (ales). 31 (aliger). 68 (avis).
161 (culex [mit der Bemerkung ‚Fehlglossierung‘;
doch s. o.]). 718 (volatilia, volitans, volucris); Dt.
Wb. XII, 2, 390 ff.; Kluge²¹ 822 f.; Kluge²⁴ 962; Pfei-
fer, Et. Wb.² 1520. — Braune, Ahd. Gr.¹⁵ § 34 Anm. 3;
Brugmann, Grdr.² I, 1, 446 f.
Ahd. fogal entsprechen: as. fugal m., mndd. vō-
gel, vāgel m.; mndl. vōghel m., nndl. vogel;
afries. fugel, ostfries. fȫgel, fries. fūgel; ae. fugol,
fugul, fugel m., me. fŏul, fohel, ne. fowl archa-
isch; aisl., nisl. fugl m., fär. fuglur, run. norw.
fokl, nnorw. fugl, nschwed. fågel, ndän. fugl;
got. fugls* m. ‚Vogel, πετεινόν‘ (nur nom. pl.
fuglos und dat.pl. fuglam überliefert): < urgerm.
*fu-la- von der Wz. für ‚fliegen‘ (dazu s. u.).
Fick III (Germ.)⁴ 243; Seebold, Germ. st. Verben 201;
Holthausen, As. Wb. 23; Sehrt, Wb. z. Hel.² 157 f.;
Berr, Et. Gl. to Hel. 141 (dissimiliert aus urgerm.
*flug-la-); Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1,
760; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. V, 295; Verdam,
Mndl. handwb. 726; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. IX,
769 ff.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 754; Suppl. 184;
Vries, Ndls. et. wb. 797; Holthausen, Afries. Wb.² 32;
Richthofen, Afries. Wb. 769; Doornkaat Koolman,
Wb. d. ostfries. Spr. I, 529; Dijkstra, Friesch Wb. I,
433 f.; Holthausen, Ae. et. Wb. 118; Bosworth-Toller,
AS Dict. 343; ME Dict. E-F, 832 ff.; OED² VI, 130 f.;
Oxf. Dict. of Engl. Et. 374; Vries, Anord. et. Wb.²
146; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 564; Fritzner, Ordb. o.
d. g. norske sprog I, 499; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 69; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 280 f.;
Ordb. o. d. danske sprog VI, 144 ff.; Torp, Nynorsk et.
ordb. 139; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 250 f.; Svenska
akad. ordb. F-1968 ff.; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 170;
Lehmann, Gothic Et. Dict. F-101. — Wilmanns, Dt.
Gr. II § 205.
Für das Wort ‚Vogel‘ sind verschiedene etymo-
logische Anschlüsse in Betracht gezogen wor-
den: Am wahrscheinlichsten ist der Ansatz einer
urgerm. Vorform *flula- mit -la-Suffix, in der
der erste Resonant dissimiliert wurde. Dann läßt
sich urgerm. *fula- ohne weiteres mit der Sippe
von urgerm. *flewan ‚fliegen‘ verbinden (→
fliogan) und auf vorurgerm. *pleu̯k-e/o- ‚schwe-
ben, schwimmen‘, einer sonst nur noch balt. Er-
weiterung von uridg. *pleu̯- ‚dss.‘, also vorur-
balt., vorurgerm. *pleu̯k-, zurückführen. Die
Grundbedeutung von *pleu̯k- dürfte ‚schweben‘
als nicht zielgerichtete Fortbewegung im Wasser
oder in der Luft ohne eigene Kraftanstrengung
gewesen sein. Bei ‚schwimmen‘ tritt das Moment
‚mit eigener Kraft im Wasser‘ und bei ‚fliegen‘
‚mit eigener Kraft in der Luft‘ hinzu.
Die Einwände gegen eine Zurückführung von
*fu-la- auf *pleu̯k- sind nicht stichhaltig: Der
Hinweis, daß parallele Fälle einer bereits ur-
germ. erfolgten Dissimilation von l - l fehlen
(F. Solmsen, IF 31 [1912/13], 483), überzeugt
nicht, da der Ausfall des ersten l in Verbindun-
gen wie *flulaz flewet phonetisch durchaus
verständlich ist. Des weiteren wurde wegen lit.
paũkštis ‚Vogel‘ eine Verbindung von ahd. fogal
usw. zur Sippe von ‚fliegen‘ abgelehnt (bereits
von E. Berneker, IF 9 [1898], 361 f.]). So leitet
Seebold (in Lautgeschichte und Etymologie 433)
ahd. fogal aus urgerm. *fula-, uridg. *puk-ló-
her und betrachtet lit. paũkštis < uridg. *pou̯k-
s-ti- und *puk-ló- als Weiterbildungen einer ur-
idg. Wz. *pu- ‚Tierjunges‘, die auch in lit. putýti
‚Hähnchen‘, aksl. pъtica ‚Vogel‘ fortgesetzt sei.
Doch war das Benennungsmotiv für den Vogel
sicher nicht ‚Tierjunges‘, ‚Kleines‘, sondern
seine Fähigkeit zu fliegen. Hinzu kommt, daß
die Verbindung mit lit. paũkštis nicht zwingend
ist, da das Wort in der Bed. ‚der Gefiederte‘ eine
Ableitung von pũkas ‚Daune, Flaumfeder‘ sein
kann.
Bereits Uhlenbeck (K. et. Wb. d. aind. Spr. 184) lehnt
einen etymologischen Zusammenhang zwischen dem
wohl onomatopoetischen, nur lexikographischen aind.
phuka- m. ‚Vogel‘ und dem gemeingerm. Wort für Vo-
gel ab; vgl. Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 397.
Walde-Pokorny II, 75 f.; Pokorny 837; LIV² 487;
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 385 f.; Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 233; Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr.
269; Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. zu den aksl. Tex-
ten 291; Vasmer, Russ. et. Wb. II, 458; Fraenkel, Lit.
et. Wb. 554. — F. Solmsen, IF 31 (1912/13), 473 ff.
482 ff.; Krahe-Meid, Germ. Sprachwiss. I § 108. 2;
E. Polomé, JIES 2 (1974), 107; H. Rosenfeld, Rosen-
feld-Festschrift 371; Lühr, Stud. z. Hildebrandlied 538;
Seebold, Germ. st. Verben 201; Griepentrog, Wurzel-
nomina d. Germ. 219.