frâza
Volume III, Column 530
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frâza f. ō- oder jō-St., nur Gl. 2, 428, 18
(11. Jh.): Hartnäckigkeit, Starrsinn, obstina-
tio
. frâzarheit f. i-St., nur Gl. 2, 574, 18
(10. Jh.), wohl auch 557, 11 (11. Jh.; Hs. nur
fra...): Schamlosigkeit, Hemmungslosigkeit,
protervitas
. S. -heit. frâzari adj. ja-St., nur in
Gl. seit dem 8./9. Jh.: vermessen, unbesonnen,
schamlos, zudringlich, widerspenstig, halsstar-
rig, contumax, pertinax, procax, protervus, te-
merarius
Var.: -ur-, -or- (vgl. Schatz, Ahd.
Gr. § 91. 98. 100), -arr-. frâzarî f. īn-St.,
nur in Gl. seit dem 8./9. Jh.: Vermessenheit,
Schamlosigkeit, Hemmungslosigkeit, Hart-
näckigkeit, luxus, protervia, protervitas, prae-
sumptio, pervicacia
. frâzarlîh adj., nur in Gl.
(dat. sg. frazillihemo; s. Mayer, Ahd. Gl.:
Nachträge 100, 4): ausgelassen, procax. frâ-
zarlîcho
adv., nur in Gl. (Mayer, Ahd. Grif-
felgl. 29, 10. 34, 28. 35, 23): widerspenstig, per
contumaciam, propter contumaciam
Var.: -or-;
-h-. frâzaro adv., nur Gl. 1, 536, 61 (10.-
11. Jh.); 2, 442, 35 (11. Jh.): frech, vermessen,
unverschämt, procaciter
. Die Wörter sind im
Mhd. und Nhd. nicht belegt.

Die Länge des Wurzelvokals ist umstritten. Zwar ist
die konstante[] Schreibung mit einfachem z (Hei-
dermanns, Et. Wb. d. germ. Primäradj. 213) kein abso-
luter Beweis für den langen Vokal, aber das Zeugnis
der ae. und afries. Belege (s. u.) behebt alle Zweifel.

Ahd. Wb. III, 1228 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 261; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 326; Starck-Wells 176. 811;
Schützeichel, Glossenwortschatz III, 288 f.; Seebold,
ChWdW8 135; Graff III, 839 f.; Schade 222.

Die ahd. Wörter haben nur im Ae. und viell. im
Afries. Entsprechungen: ae. frǣte verkehrt, un-
sittlich, stolz, hartnäckig, perversus, superbus
,
frǣtig dss.; zu afries. frēta Friedloser, profu-
gus
s. u.; sie haben bisher keine befriedigende
Etymologie.

Abzulehnen F. Holthausen, PBB 45 (1921), 297 f.: zu
lat. prēlium Kampf wenn dies sabin. -l- für lat. -d-
hat
(vgl. Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 369 [proe-
lium]); auch Heidermanns, a. a. O. 213 f.: zur idg. Wz.
*prē- anzünden, entfachen ( frat) mit einer Grund-
bed. sich (an seiner Umgebung) aufreibend.

Aufgrund der Bed. ist eine Zss. mit dem Präfix
fra- (s. d.) zweifellos anzusetzen (vgl. z. B. ahd.
frabâri unbesonnen, zudringlich, frabald un-
verschämt, ungestüm
, und mit dem verwandten
Präfix pro- lat. protervus ungestüm, unver-
schämt
; zu den verschiedenen Bed. des Präfixes
fra- vgl. Wilmanns, Dt. Gr. II § 124 ff.). Der
zweite Bestandteil, germ. *at-, ist wohl mit aisl.
at n. Kampf, Streit, ata f. Streit, Anreizung,
ata sw. v. anreizen, etja sw. v. hetzen, streiten
zu verbinden. Die aisl. Wörter setzen ein germ.
Verb *atjan- oder *atōn- voraus, das von dem
Adverb/der Präposition *at ( az) abgeleitet
wurde: ein (feindliches) Treffen bewirken (vgl.
ahd. ûfen promere zu ûf, ûzôn excludere zu
ûz, fremmen dar-, vollbringen zu fram usw.; s.
auch Wilmanns, a. a. O. § 37, 4. 47; zum Begriff
der Feindlichkeit, die auch das Präfix *at- besit-
zen kann, vgl. aisl. atfr, atganga Angriff [at +
fr Fahrt, ganga Gang]).

Zwar fehlen sonstige sichere Belege für diese
Verbalwz. im Dt. was an sich nicht überra-
schend ist, zumal die Präp. az schon im Ahd. im
Absterben war. Dennoch kann die Wz. viell.
auch in ahd. azgêr Lanze, Wurfspeer stecken.
Anders als in Band I, wo das erste Element nur
mit dem Adv./der Präp. az verbunden wurde:
ein gegen den Feind zu werfender Speer ( az-
gêr
), kann es wegen aisl. atgeirr dss. wohl eher
zur Verbalwz. gestellt werden: ein Angriffs-
speer
. Diese Wz. könnten auch die nhd. Mund-
artwörter nass. atzen, atzeln raufen, streiten,
schwäb. ätzen verspotten enthalten, wenn sie
nicht zu Atzel Elster gehören ( anazen, das
aber nicht hierher zu stellen ist, denn *ana-atjan
würde im Ahd. als *an[a]ezzen mit Umlaut der
Stammsilbe erscheinen).

Wenn diese Deutung richtig ist, sind die germ.
Wörter auf folgende Weise zu rekonstruieren:

1) ahd. frâza < *frá-atō: ein beharrliches, un-
ablässiges Streiten
; zur Bed. vgl. ahd. einstrît
Hartnäckigkeit, Beharrlichkeit, einstrîti wi-
derspenstig, hartnäckig, beharrlich
(s. d.) aus
in einer Richtung streitend. In dieser Zss. (wie
auch in den folgenden) wurde der Vokal des be-
tonten Präfixes mit dem Wurzelvokal des Sub-
stantivs kontrahiert. Die Betonung des Präfixes
ist noch ein Hinweis (neben dem veralteten
Wort az; s. o.) für das Alter der Zss., denn in
den späteren westgerm. nominalen Präfixkom-
posita wird die Betonung, wie bei den Verbal-
komposita, auf die Wurzelsilbe verschoben;
deshalb schwindet der Vokal des unbetonten
Präfixes ( fravali).

2) ahd. frâzari usw. < *frá-at-ra- ungezie-
mend, ungehörig streitend
mit einem adj. r-Suf-
fix wie in got. hlūtrs, ahd. lût(t)ar lauter
zur idg. Wz. *le- spülen, rein machen (zum
Suffix vgl. Wilmanns, a. a. O. § 322).

3) ae. frǣte < *frá-at-ja- ungeziemend, unge-
hörig streitend
.

4) afries. frēta kann aus *frá-at-jan- stammen
und hierher gehören, aber die Bed. wie auch die
afries. Nebenform frētha deuten auf Verwandt-
schaft mit ahd. freid(e)o profugus (s. d.). Viell.
sind hier die beiden Sippen zusammengefallen:
der Friedlose wurde oft auch als Störenfried be-
trachtet (vgl. Helten, Aostfries. Gr. § 124
S. 100 f.). Auch im Ae. sind frǣtgenga aposta-
sia(?)
, frǣtum fugitivus (-is?) (vgl. Bosworth-
Toller, AS Dict. Suppl. 261; Suppl. II, 28) viell.
auch als durch frǣte beeinflußte volksetym.
Umbildungen von ursprl. *frǣði- (< *frāðja-)
zu ahd. freid(e)o aufzufassen. Der Zusammen-
fall der beiden Sippen scheint also eine anglo-
fries. Erscheinung zu sein.

Holthausen, Afries. Wb.² 31; Richthofen, Afries. Wb.
759; Holthausen, Ae. et. Wb. 114; Bosworth-Toller,
AS Dict. 329 (irrig: fræt, frætig); Suppl. 261 (korr. zu
frǣte, frǣtig); Vries, Anord. et. Wb.² 16. 17. 106; Jó-
hannesson, Isl. et. Wb. 19 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d.
Awestnord. 7. 53.

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