*frêhtenAWB(?) oder *frêhen(?) sw. v. I, nur bei
Notker, Bo. 298, 13 frêhta (3.sg.prät.): dáz er
... sîna tóhter ephigeniam ópferôta . unde dîa
chalchas in frískinges uuîs . uuêneglicho frêhta
(... Chalchas foderat miserum iugulum . i . pec-
tus natae). Das Verb bedeutet ‚(die Kehle oder
Brust) durchstechen, durchbohren‘ (wie beim
Opfern eines Tieres: in frískinges uuîs) und
übersetzt lat. fodere; man braucht nicht, wie
Sehrt, Notker-Gl. 59 (mit Fragezeichen), fode-
re durch foedare ersetzen.
Ahd. Wb. III, 1233; Splett, Ahd. Wb. I, 170; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 327; Graff III, 818; Götz, Lat.-ahd.-
nhd. Wb. 271 (fodere).
Das Wort ist nicht nur im Ahd., sondern auch
im Germ. isoliert, denn Versuche, es mit aisl.
frétt ‚Divination‘, ae. freht ‚Weissagung‘ zu ver-
knüpfen (Grimm, Dt. Myth.⁴ III, 23; R. Meiss-
ner, Zs. d. Vereins f. Volkskunde 27 [1917], 1 ff.;
H. Wesche, PBB 61 [1937], 104 f.), scheitern an
dem Bed.unterschied: aisl. frétt bedeutet im all-
gemeinen ‚Fragen, Erforschung‘ und ist mit aisl.
fregna ‚fragen‘, ahd. gifregnan ‚erfahren‘ (s. d.)
verwandt. Die Divination ist nur die Erfor-
schung der Zukunft (vgl. Vries, Anord. et. Wb.²
142). Auch haben weder die aisl./ae. Wörter
noch das ahd. Wort etwas mit ahd. frêht ‚Ver-
dienst‘, frêhtîg ‚ehrwürdig, heilig‘ (s. d. d.) zu
tun (nach Meissner, a. a. O. bedeutete germ.
*frēht- ‚Gottesanteil [am Opfer]‘). Ahd. frêhta
bei Notker bedeutet weder ‚weissagte‘ noch ‚op-
ferte‘ (dafür steht vorher ópferôta), sondern be-
schreibt den Todesstoß beim Opfer.
Deshalb ist die Herleitung von der idg. Wz.
*i̯- : *- [**H₂ei̯- : **H₂i-] ‚Spieß; mit ei-
ner spitzen Waffe treffen‘ (Pokorny 15; LIV²
259) wahrscheinlich. Es handelt sich entweder
um ein denominatives Verb *frēhten < *fra-iht-
jan- zu *frá-ihtuz ‚(tödlicher) Schnitt, Hieb‘
(vgl. lat. ictus ‚Hieb, Stoß‘ zu īco ‚schlage, ver-
letze‘; mit derselben Ablautstufe wohl auch
nostfries. īn[e] ‚Granne, Ährenspitze‘ < *hne),
oder um eine verbale Bildung *fra-aiχ-jan- ‚mit
einer spitzen Waffe töten‘ (mit derselben Ab-
lautstufe gr. αἰχμή ‚Spieß‘ < *ai̯-smā; apreuß.
aysmis ‚Bratspieß‘, lit. (j)iẽšmas, lett. ìesms
‚dss.‘ [< *ai̯-mos oder *ai̯-smos]; wohl auch
aisl. eigin ‚eben hervorsprießender Saatkeim‘
[= ‚Spitze‘]). Zur Betonung der westgerm. no-
minalen und verbalen Präfixkomposita vgl. Kra-
he-Meid, Germ. Sprachwiss. III § 49 ff. und →
fra-, fravali, frâza, freidi, frezzan.
Da die Ablautstufe *ai̯- sonst nur bei Nomina
vorkommt, ist die erste Herleitung (< *fra-ih-
tuz) wohl vorzuziehen.
Vries, Anord. et. Wb.² 95 f.; F. A. Wood, JEGP 13
(1914), 499 f.; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries.
Spr. I, 127 (īn[e], mit unrichtiger Etym.); Frisk, Gr.
et. Wb. I, 48; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. I, 670;
Fraenkel, Lit. et. Wb. 182; Trautmann, Apreuß.
Spr.denkm. 297; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb.
II, 68.