frîAWB adj.: ‚frei, freigeboren, freigelassen, un-
gebunden, ingenuus, liber, libertus‘ 〈Var.: urî,
friger〉. — Mhd. vrî ‚frei‘, nhd. frei (in der Ost-
schweiz noch in der Bedeutung ‚lieb, freund-
lich, artig‘).
Ahd. Wb. III, 1255 ff.; Splett, Ahd. Wb. I, 263; Köb-
ler, Wb. d. ahd. Spr. 329; Schützeichel⁵ 141; Starck-
Wells 178. 811; Schützeichel, Glossenwortschatz III,
294 f.; Seebold, ChWdW8 135; Graff III, 786 f.; Scha-
de 223 f.; Lexer III, 507; Benecke III, 401 f.; Diefen-
bach, Gl. lat.-germ. 326 (liber); Götz, Lat.-ahd.-nhd.
Wb. 337 (ingenuus). 373 (liber). 374 (libertinus); Dt.
Wb. IV, 1, 1, 94 ff.; Kluge²¹ 216; Kluge²⁴ 314; Pfei-
fer, Et. Wb.² 284. — A. Senn, JEGP 32 (1933), 515.
Das Wort hat in allen germ. Sprachen Entspre-
chungen: as. frī, mndd. vrī; mndl. vrī, nndl.
vrij; afries. frī, nostfries. frē, frēi, nwestfries.
frij; ae. frēo (mit Verallgemeinerung der Fortset-
zung von *-iju- z. B. im Dat. Pl.), gen. frīges (mit
Entwicklung von *w zu *j vor hellem Vokal; s.
Hogg, Gr. of OE § 4, 9; anders Sievers-Brunner,
Ae. Gr.³ § 78: vor palatalem Vokal blieb -ij- er-
halten; A. Bammesberger, Zfvgl. Spr. 84 [1970],
96: analogisch nach dem Verbum frēogan ‚lie-
ben‘), frī, me. frē, ne. free; got. freis; langob.
-free (in fulcfree ‚volkfrei, gemeinfrei‘ [man vgl.
ae. folcfrēo, aschwed. folkfræls neben geneuer-
tem langob. fulfree ‚vollfrei‘]; s. v. Olberg, Bez. f.
soz. Stände 105 ff.) ‚frei‘: < urgerm. *frija-. Da-
zu stellt sich der GN ahd. Friia (mit -a aus dem
Akk.Sg.f.), ae. frēo ‚Frau‘, as. frī n. ‚Frau‘ (mit
sekundärem Übertritt zu den Neutra nach dem
Schwund des auslautenden *-u nach wīf ‚Weib,
Frau‘) < westgerm. *frijju, aisl. GN Frigg (gen.
-jar) Name von Óðinns Ehefrau, eigtl. ‚die Lie-
be‘ (< *frijjō-; → frîjatag). Ob nnorw., ndän.,
nschwed. fri Erbwörter oder Lehnwörter aus
dem Deutschen sind, ist lautlich nicht zu ent-
scheiden.
Fick III (Germ.)⁴ 247; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 215 f.; Holthausen, As. Wb. 23; Sehrt, Wb.
z. Hel.² 151; Berr, Et. Gl. to Hel. 136; Lasch-Borch-
ling, Mndd. Handwb. I, 1, 998; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. V, 530 f.; Verdam, Mndl. handwb. 750 f.;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 762 f.; Vries, Ndls. et. wb.
804 f.; Holthausen, Afries. Wb.² 32; Richthofen,
Afries. Wb. 764; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries.
Spr. I, 555; Dijkstra, Friesch Wb. I, 430; Holthausen,
Ae. et. Wb. 116; Bosworth-Toller, AS Dict. 333;
Suppl. 264 f.; Suppl. II, 28; ME Dict. E-F, 868 ff.;
OED² IV, 157 ff.; Oxf. Dict. of Engl. Et. 375 f.; Vries,
Anord. et. Wb.² 143; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 568;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 73; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 272; Ordb. o. d. danske sprog VI,
1 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 135; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 236 f.; Svenska akad. ordb. F-1465 ff.; Feist,
Vgl. Wb. d. got. Spr. 167 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict.
F-93; Bruckner, Spr. d. Langob. 204; Rhee, Germ.
Wörter in langob. Gesetzen 59 ff. — Lühr, Egill 142.
Die Bedeutung von germ. *frija- ‚frei‘ ist eine
semantische Weiterentwicklung. Die Grundbe-
deutung war ‚lieb‘ (s. u.). Diese ist auch im
Germ. nachweisbar: vgl. unter den Ableitungen
von uridg. *prii̯ó- [**priH₂ó-] (s. u.) den Na-
men der Göttin Friia (vgl. oben), ferner ae. frēod
‚Liebe‘ (< *frijuđ- mit *-u- anstelle von *-a-
aus dem Akk.Sg. *-uđ-un; vgl. ae. fēond ‚Feind‘
mit *-u- statt *-a- < Akk.Sg. *-und-un), das in
der Bildeweise aind. priyátā f. ‚Liebhaben, Lieb-
sein‘ entspricht (kein alter Zusammenhang be-
steht dagegen wohl zwischen got. frijaþwa f.
‚Liebe‘ und aind. ep. klass. priyatvam n. ‚das
Liebsein‘); vgl. weiterhin aksl. prijatelь ‚Freund,
Geliebter‘; zu aind. priyāyá- ‚an jmdm. seine
Freude haben, gern haben, freundlich sein‘,
aksl. prijati, -ajǫ ‚hold sein, beistehen, sorgen‘;
s. friunt. Die Bedeutungen sind über ‚zu den ei-
genen gehörig, die man gern hat und schont und
die, wie man selber, unabhängig, also keine
Sklaven sind‘ vermittelbar. Die Personengruppe,
die unter den ‚zu den eigenen‘ Gehörenden zu
verstehen ist, ist wohl die Verwandtschaft (vgl.
ae. frēobrōđor ‚leiblicher Bruder‘, frēodohtor
‚leibliche Tochter‘, frēomǣg ‚leiblicher Ver-
wandter‘), nicht die Stammesgenossen (so
Schrader, Reallex. d. idg. Alt.² II, 458 ff.;
O. Schrader, ZfS 1 [1898], 339 ff).
Scheller, Ved. priyá- 23 ff.; v. See, Altnord. Rechtswör-
ter 142 ff.; Schlumbohm, Freiheitsbegriff 7; v. Olberg,
Freie, Nachbarn u. Gefolgsleute 104 ff.
Dagegen nimmt H. de Arbois de Jubainville (MSLP 7
[1892], 291; Les premiers habitants de l’Europe² II,
343) ohne nähere Begründung eine Entlehnung aus
dem Kelt. an (auch Benveniste, Institutions i.-e. I,
325—327 als Möglichkeit).
Porzig (Glied. d. idg. Spr. 119) zieht für den Bedeu-
tungswandel die Bedeutungen ‚Volk‘ und ‚frei‘ bei ur-
germ. *lewđejez (→ liut) bzw. gr. ἐλεύθερος als Paral-
lelen heran; vgl. auch den Gebrauch von urgerm.
*swēsa- ‚eigen‘ (→ swâs) und gr. φίλος ‚lieb‘ (s.
W. P. Lehmann, PIE syntax 129; J. Haudry, Rix-Fest-
schrift 188; anders Szemerényi, Kinship Terminology
117 ff.; D. E. Evans, Bull. of Board of Celt. Stud. 29
[1981], 246; vgl. auch G. Mazzuoli Porru, Arch. glot-
tol. 49 [1964], 143 ff.; Benveniste, a. a. O. 266 f.).
Außerhalb des Germ. entsprechen: aind. priyá-
‚lieb, erwünscht, eigen‘ (superl. préṣṭha- ‚liebst,
teuerst‘, wonach kompar. préyas- ‚lieber‘), av.
friia- ‚lieb, befreundet‘ (aav. fraēšta- ‚liebst‘),
khotansak. bria-, sogd. fry-, kymr. rhydd ‚frei‘
< uridg. *prii̯ó- [**priH₂ó-] ‚lieb‘. Im Kymr.
findet sich somit dieselbe Bedeutungsentwick-
lung von ‚lieb‘ zu ‚frei‘ wie im Germ.; dieser Be-
deutungswandel hat sich wohl unabhängig von-
einander vollzogen, da das Germ. und das Kelt.
nicht näher verwandt sind und eine rein seman-
tische Entlehnung kaum in Frage kommt (Schel-
ler, a. a. O. 21. 23).
Unbeweisbar ist die Auffassung von E. Polomé (Ogam
6 [1954], 159 ff.), daß die kymr.-germ. Bedeutung
aufgrund der Substitution von uridg. *ari̯o- (air. airj
‚primas‘, airech < *ari̯āko-) zustande gekommen sei;
vgl. auch Puhvel, Hittite Etym. Dict. I, 120 zu heth.
ara- n. ‚Wohl, Recht, Angemessenheit‘; Weiteres bei
Mayrhofer, Et. Wb. d. Altindoar. I, 111 f.). Vgl. Schra-
der, Spr.vgl. u. Urgesch.³ II, 2, 294; G. Neckel, PBB
41 (1916), 403 ff.
Dagegen nimmt Scheller (a. a. O. 21. 23. 61. 69 ff. 90 f.)
u. a. wegen der Gleichung ae. frēonoma ‚eigentümli-
cher Name‘ - aind. priyáṃ nma zu Unrecht eine
Grundbedeutung ‚eigen‘ an (s. u. zu den Bedeutungen
der Wz. uridg. *prei̯ǝ- [**prei̯H₂-]).
Eine andere Ablautstufe setzt lett. priêks ‚Freude‘ (<
*prēi̯kó- [**prei̯H₂kó-]) voraus (doch s. Karulis, Latv.
et. vārd. II, 80 f. [eher zu gr. σφριγάω ‚strotzen, zum
Platzen voll sein‘; nach Frisk, Gr. et. Wb. II, 834 je-
doch: „Intensivbildung auf -άω volkstümlichen Cha-
rakters“]).
Fraglich ist die Zugehörigkeit von npers. farī ‚lieb,
schön‘ (s. Hübschmann, IF [Anz.] 6 [1896], 33; an-
ders Horn, Grdr. d. npers. Et. 181).
Von der Wz. uridg. *prei̯ǝ- [**prei̯H₂-] ‚jmdn.
freundlich stimmen, erfreuen, zufriedenstellen,
sich als lieb erweisen‘ erscheint im Indoiran.
auch eine Verbalbildung: aind. prīṇti/prīṇīté
‚erfreut, erquickt, findet an etwas Gefallen, ge-
nießt‘, aav. friiąnmahī ‚wir stellen zufrieden‘ für
*frinmahi aus einem vorurindoiran. n-Infixpräs.
*pri-n-, *pri-nǝ-, *pri-n- [**pri-náH₂-,
**pri-nǝ₂-, **pri-nH₂-] mit Dehnung des Wur-
zelvokals *-i- in aind. prīṇti, prīṇīté analo-
gisch nach dem Verbaladj. aind. prītá- ‚freund-
lich gestimmt‘; und Dehnung von *-i- in prīṇīté
analogisch nach dem -ā- von prīṇti (vgl. die
entsprechenden Lautverhältnisse bei aind. jān-
ti, jānīté ‚kennt, erkennt, weiß‘).
Möglicherweise ist auch air. ríar f. ‚Wille, Wunsch,
Verlangen‘ (< vorurkelt. *prei̯-rā- mit *ei̯ > *ē > ia)
zugehörig. Nicht mit urgerm. *frija- zu verbinden ist
lat. prīvus, -a, -um ‚für sich bestehend, einzeln‘
(Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. II, 363 f.). Auch gr.
Πρίᾱπος Name eines phallischen Gottes, der die Gär-
ten schützte, bleibt fern (Frisk, Gr. et. Wb. II, 594;
anders H. Osthoff, Arch. f. Religionswiss. 7 (1904),
412 ff.
Walde-Pokorny II, 86 f.; Pokorny 844; LIV² 490;
Mann, IE Comp. Dict. 987 ff.; Fick I (Idg.)⁴ 259.
484 f.; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. II, 378 f. 380;
ders., Et. Wb. d. Altindoar. II, 181 f. 189 f.; Uhlen-
beck, K. et. Wb. d. aind. Spr. 180; Monier-Williams,
Skt.-Engl. Dict. 709 f.; Bartholomae, Airan. Wb.²
1016 f. 1026; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 231; Miklo-
sich, Et. Wb. d. slav. Spr. 263 f.; Sadnik-Aitzetmüller,
Handwb. zu den aksl. Texten 290 Nr. 716; Vasmer,
Russ. et. Wb. II, 436 f.; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-
dt. Wb. III, 393; Fick II (Kelt.)⁴ 233; Hessens Ir. Lex.
II, 207; Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. R-27; Dict. of
Irish R-58 ff. — K. H. Schmidt, in Das Germ. u. d. Re-
konstr. d. idg. Grundspr. 128 f.; ders., Studien z. idg.
Wortschatz 267; ders., in Germanenprobleme 239;
ders., Hist. Spr.forschung 104 (1991), 143; J. Jasanoff,
Mü. Stud. z. Spr.wiss. 37 (1978), 86 f.; R. Hiersche,
Matzel-Festschrift 91.
Die zugrundeliegende Wz. hatte wohl ursprl.
die Form *prā-i- [**praH₂-i̯-] ‚lieb sein‘ (gr.
πρᾱΰς ‚sanft, gelinde, zahm‘ wohl < vorurgr.
*pr̥̄i̯-ú- [**ph₂i̯-ú-], eigtl. ‚lieb, angenehm‘).
Trifft dieser Ansatz zu, ist die Form *prī-
[**priH₂-] auf Laryngalmetathese neben Eng-
vokal zurückzuführen. Die Wurzelform *prei̯ǝ-
[**prei̯H₂-], wie sie u. a. für das Germ. voraus-
zusetzen ist, wäre dann eine Vollstufenneubil-
dung auf der Grundlage von *prī- [**priH₂-].
Vgl. neben den älteren Vertretern dieser Deutung
(Curtius, Grundzüge der gr. Et.⁵ 283; W. Schulze,
Zfvgl. Spr. 27 [1885], 426; F. Specht, Voretzsch-Fest-
schrift 34 f.; Boisacq, Dict. ét. gr.⁴ 809) nun J. E. Ras-
mussen, Morphophonemik 27. 94; anders Chantraine,
Dict. ét. gr. 933 f.; Frisk, Gr. et. Wb. II, 588; R. S.
P. Beekes, Orbis 21 (1972), 330; Peters, Idg. Laryngale
im Griech. 253 ff.; Szemerényi, Kinship Terminology
117 ff.; Mayrhofer, Et. Wb. d. Altindoar. II, 182.
S. auch fridu.