freidiAWB adj. ja-St., nur Gl. 1, 584, 43 (8./
9. Jh.) und Notker, Bo. 196, 4: ‚abtrünnig,
flüchtig‘ (die Glosse freidiu [f.?] übersetzt lat.
apostatea, das ein Femininum von einem sonst
nicht belegten Adj. *apostateus zu sein scheint
— oder fehlerhaft für apostata ‚der Abtrünnige‘,
das der Glossator für ein Fem. hielt?); wahr-
scheinlich auch hierher uréden : profanum
Notker, Bo. 12, 16 ‚nicht eingeweiht, außen-
stehend‘ (nach Luginbühl, Stud. z. Notkers
Übers.kunst 49 ist es eher für frémede ver-
schrieben [→ fremidi], was aber schon aus pa-
läographischen Gründen unwahrscheinlich ist;
vgl. T. Starck, AfdA. 53 [1934], 144). — frei-
d(e)oAWB m. jan-St., subst. Adj., nur in Gl. seit
dem 9. Jh. u. Steinmeyer, Spr.denkm. 399 (Wi-
der den Teufel): ‚Abtrünniger, Flüchtling, apo-
stata, defuga, perfuga, profugus‘. — freidîgAWB, -agAWB
adj., mehrmals in Gl. seit dem 8./9. Jh. und
Bened.regel: ‚abtrünnig, flüchtig, (subst.) Ab-
trünniger, Flüchtling, apostata, apostaticus,
apostatrix, perfuga, profugus‘ 〈Var.: u-; -ai-,
-æ-; -e-; -ic, -ak-〉. — Mhd. vreide adj. ‚ab-
trünnig, flüchtig, mutig, kühn‘ (zur Bed.ent-
wicklung vgl. ahd. recko ‚Recke‘ [s. d.]), vrei-
dec, -ic adj. ‚abtrünnig, flüchtig, übermütig,
munter, kühn‘. Nhd. ist freidig nur mdartl. be-
legt: Schweiz. Id. I, 1273 f. ‚mutig, kühn, wild‘;
Fischer, Schwäb. Wb. II, 1722 f. (veraltet) ‚ver-
brecherisch, verdammt‘; Jutz, Vorarlberg. Wb.
I, 992 f. ‚kühn, herausfordernd‘; Schmeller,
Bayer. Wb.² I, 806 f. (fraidig) ‚unverdrossen,
kühn, mutwillig, frech‘; Lexer, Kärnt. Wb. 101
(frâdig) ‚munter, frisch, lebhaft‘; Schöpf, Tirol.
Id. 149 (fraidig, froadig) ‚zornig, unwillig‘;
Schatz, Wb. d. tirol. Mdaa. I, 187 (froadig,
-ik) ‚mutig, frisch, zornig‘; mit anderer Bed.
Martin-Lienhart, Wb. d. els. Mdaa. I, 178 ‚we-
nig Brot enthaltend (von einer Suppe)‘(?).
Ahd. Wb. III, 1235 f.; Splett, Ahd. Wb. I, 262; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 327; Schützeichel⁵ 140; Starck-Wells
177. 811. 846; Schützeichel, Glossenwortschatz III,
290 f.; Seebold, ChWdW8 135; Graff III, 792; Schade
222; Lexer III, 495 f.; Benecke III, 397; Dt. Wb. IV,
1, 1, 102 f.
Entsprechungen dieser Wörter sind nur im Ndd.
und Ndl. belegt (ndän. freidig ‚keck, unbefan-
gen‘, nschwed. frejdig ‚mutig, zuversichtlich,
unbekümmert‘ sind aus dem Mndd. entlehnt):
as. frēthig ‚verbannt, flüchtig‘ in der Wendung
fluhtik endi frēđig (Heliand), flúhtigún endi fré-
thivn : defugas (Wadstein, Kl. as. Spr.denkm.
97, 12), mndd. vreidich ‚wild, draufgängerisch,
verwegen, mutig‘; mndl. vredich ‚unbrauchbar,
unfruchtbar‘ (? vgl. Verwijs-Verdam, Mndl. wb.
IX, 1279 f.). Zu afries. frēta ‚Friedloser, profu-
gus‘ → frâza.
Wegen der Wendung im Heliand deutet Frings, Ger-
mania Romana I², 199 as. fréthivn als *frēthigun (mit
g-Schwund vor i; vgl. Holthausen, As. El. buch § 232);
es könnte auch akk.pl.m. von *frēthio = ahd. freid(e)o
sein (vgl. Wadstein, a. a. O. 242).
Verwandt ist auch langob. fraida st.f. ‚Treulo-
sigkeit, Flüchtigkeit‘ (= mhd. vreide st.f. ‚Ab-
trünnigkeit, Treulosigkeit‘; Lexer III, 495). Aus
dem Ahd. entlehnt ist aprov. fradin ‚ruchlos,
gottlos‘, daraus mfrz. fredain ‚mauvais‘ usw.
Anorm. fradous ‚arm(selig)‘ ist dagegen viell. aus
dem Ndl. entlehnt (vgl. Wartburg, Frz. et. Wb.
XV, 2, 162).
Holthausen, As. Wb. 22; Sehrt, Wb. z. Hel.² 149;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. I, 1, 992; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. V, 526; Falk-Torp, Norw.-dän.
et. Wb. 272; Svenska akad. ordb. F-1454; Bruckner,
Spr. d. Langob. 99. 168. 183. 204; Meyer-Lübke, Rom.
et. Wb.³ Nr. 3490; Diez, Et. Wb. d. rom. Spr.⁵ 587;
Mackel, Germ. Elemente 115.
Seit H. Hirt, IF 47 (1916—17), 235 f. führt man
ahd. freidi usw. gewöhnlich auf germ. *frá-iþja-,
idg. *pro-iti̯os ‚der Fortgegangene‘ zurück (zur
idg. Wz. *ei̯- ‚gehen‘; → arbeit I, 317, 30 ff.).
Ähnliche Bildungen sind aind. préti- f. ‚Weg-
gang, Flucht‘, préta- ‚gestorben, tot‘ (eigentl.
‚weggegangen‘), prétya (Abs.) ‚nach dem Tode,
jenseits‘. Zur Betonung der westgerm. nomina-
len Präfixkomposita vgl. Krahe-Meid, Germ.
Sprachwiss. III § 51 und → fra-, fravali, frâza.
Walde-Pokorny I, 103; Pokorny 295; Mayrhofer, K.
et. Wb. d. Aind. II, 353; Heidermanns, Et. Wb. d.
germ. Primäradj. 207 f.
Die frühere, zuerst von J. Grimm (Dt. Wb. IV, 1, 1,
102) vorgeschlagene Etymologie: zu einem unbelegten
got. Wort *fra-aiþ(ei)s ‚eidbrüchig, treulos‘ (→ eid) ist
weniger wahrscheinlich und wird heute kaum mehr
vertreten, obgleich sie in frz. Wörterbüchern immer
noch vorkommt (z. B. Wartburg, a. a. O.; Trésor de la
langue franç. VIII, 1234).