gîgaAWB f. ō-St., nur Gl. 4,235,8 (Clm.
17142, 12. Jh., bair.): ‚Geige; tricordum‘
〈Var.: giga〉. — Mhd. gîge sw. f. (selten st. f.;
vgl. Paul 1989: § 189 Anm. 1), nhd. Geige
‚Violine‘.
In der mittelalterlichen Literatur kommen gîge
und videl(e) ‚Geige, Fiedel‘ (→ fidula) syno-
nym vor (so auch noch bei Luther: 1. Samuel
18,6 fiddeln [1523], geygen [1534]), doch ver-
drängt ‚Geige‘ schließlich älteres ‚Fiedel‘. Bis
ins 16. Jh. wird gîge für verschiedene Bogen-
instrumente verwendet, und zwar scheint je-
weils das verbreitetste Streichinstrument einer
bestimmten Zeit gemeint zu sein. Erst seit
dem 16. Jh. bezeichnet es das hohe Saitenin-
strument der Violingruppe. Ab dem 18. Jh.
wird das Wort als Synonym für ‚Violine‘ ge-
braucht, wobei ‚Geige‘ vornehmlich münd-
lich, ‚Violine‘ schriftsprachlich benutzt wird.
In alten sprichwörtl. Redensarten ist ‚Geige‘
mitunter verhüllend für ‚Frau‘ verwendet, so
u. a. in man muß spielen, wie die Geige will,
du fiedelst auf fremder Geigen. Bereits mhd.
ist die Wendung nâch der gîgen tanzen ‚so
tanzen, wie die Geiger den Takt streichen‘,
übertragen ‚sich in allem nach jemandem rich-
ten‘ (19. Jh.), seit etwa 1500 ist jemandem
hängt der Himmel voller Geigen ‚jemand ist
glücklich und sieht erwartungsvoll in die Zu-
kunft‘ belegt. Dagegen ist die erste Geige
spielen erst im 17./18. Jh. mit der Ausbildung
des Streichquartetts entstanden.
Ahd. Wb. 4, 255; Splett, Ahd. Wb. 1, 1217; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 393; Schützeichel⁶ 134; Starck-Wells 207;
Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 452; Bergmann-
Stricker, Katalog Nr. 623; Lexer 1, 1014; Götz, Lat.-
ahd.-nhd. Wb. 677 (tricordium); Dt. Wb. 5, 2567 ff.;
Kluge²¹ 242; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 413 f. —
BRM 1978: 1, 456 f.; Heyne 1899—1908: 4, 196; Hirt
1921: 235; Relleke 1980: 76. 180—185. 213. 297—299;
Röhrich 2004: 1, 523 f.; Steger 1971: 18 und passim; M.
Willburg, Mu 73 (1963), 202 f.
Spätahd. gîga hat nur Entsprechungen in:
mndd. gīge f. ‚Geige‘, daneben gīgel f. (mit
der Fortsetzung des *-lo-Suffixes zur Be-
zeichnung von Instrumenten); mndl. gige
‚Geige‘; nostfries. gīgel ‚Geige, Stockgeige‘:
< westgerm. *gīgō-. Spät bezeugtes aisl., nisl.
gígja ‚Geige‘, nnorw. gigja, aschwed. gīgha,
nschwed. giga, ndän. gige ‚Geige‘ sind aus
dem Mndd. entlehnt (Fischer 1909: 30).
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 112; Schiller-
Lübben, Mndd. Wb. 2, 110; Verwijs-Verdam, Mndl. wb.
2, 1964; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 1,
626; Vries, Anord. et. Wb.² 166; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 1011; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 1, 594;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 84; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 309; Nielsen, Dansk et. ordb. 150
(s. v. gabe); Ordb. o. d. danske sprog 6, 950; Torp, Ny-
norsk et. ordb. 152; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 279 f.;
Svenska akad. ordb. s. v.
Aus dem Dt. wurde die Instrumentenbezeich-
nung in die romanischen Sprachen übernom-
men. Gamillscheg (1969: 478) vermutet un-
mittelbare Entlehnung aus dem Frk., doch ist
das Wort dort in den ältesten Quellen nicht be-
legt. Spätahd. gîga erscheint als italien., prov.
giga ‚Geige‘, afrz., nfrz. gigue ‚Geige‘
(12. Jh.), nfrz. auch ‚Rehkeule‘ (nach der
Formähnlichkeit; dagegen ist nfrz. gigue ‚ma-
geres, flinkes Mädchen‘ vom Verb giguer
‚springen‘ rückgebildet), port. giga ‚Geige‘,
span. giga ‚Art Tanz‘. Als Bezeichnung eines
bestimmten schnellen Tanzes, vorwiegend auf
Bällen, ist nfrz. gigue aus ne. jig ‚schneller
Tanz im 6/8- oder 9/8-Takt‘, verbal ‚Gigue
tanzen‘, entlehnt, das wiederum aus afrz. gi-
guer ‚hüpfen, tanzen‘ übernommen wurde.
Für die Etymologie der Instrumentenbezeich-
nung wurden zwei Möglichkeiten in Betracht
gezogen: Vorwiegend älteren Datums sind
Deutungen, nach denen spätahd. gîga usw. zu
der Wortsippe aisl. geiga sw. v. II ‚seitwärts
abweichen‘, nnorw. dial. geiga ‚(mit dem
Oberkörper) hin- und herschwanken‘ (Vries,
Anord. et. Wb.² 160 f.) neben den sw. v. I ae.
for-gægan ‚abweichen, überschreiten‘ (Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 121), afries. geia ‚übertre-
ten, Buße zahlen‘ < urgerm. *ei̯i̯e/a- oder
*ei̯ō- ‚sich schief bewegen‘ gehört (so Klu-
ge⁶ s. v. [schon nicht mehr in Kluge⁷ 165];
Meringer, IF 16 [1904], 133—136; Vries,
a. a. O.). Die Vorform vorurgerm. *ĝei̯-gh-
(Pokorny 421) könnte eine Gutturalerweite-
rung der Wurzel *ĝheHi̯- ‚gähnen, (den Mund)
aufsperren‘ (LIV² 173 f.) darstellen; und das
Benennungsmotiv für die ‚Geige‘ wären die
mit dem Bogen ausgeführten charakteristi-
schen Armbewegungen beim Geigenspiel.
Zunächst wäre also eine nicht zielgerichtete,
schwankende Bewegung mit teilweise pejora-
tiver Konnotation (wie in afries. geia) be-
zeichnet worden und dann eine Streichbewe-
gung, bei der man sich immerhin seitwärts
bewegt.
Nach einer anderen Auffassung, die in jünge-
rer Zeit vertreten wird (Pfeifer, Et. Wb.²
a. a. O.), handelt es sich bei Geige um ein
onomatopoetisches Wort, wobei das Instru-
ment nach den hohen Tönen, die auf ihm her-
vorgebracht werden können, benannt sei; vgl.
ahd. ir-gickazzen, mhd. gigzen ‚feinere, unar-
tikulierte Töne ausstoßen‘.
Walde-Pokorny 1, 550; Körting, Lat.-rom. Wb.³ Nr.
4242; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 3757; Diez, Et.
Wb. d. rom. Spr.⁵ 164 f.; Wartburg, Frz. et. Wb. 16, 35.
— Persson 1912: 60 f.; Wissmann 1932: 41 f.