galla¹AWB f. n-St., seit Anfang des 9. Jh.s in
Gl., bei N, Npg, O, in T: ‚Galle(nsaft), Gal-
lenblase, Bösartigkeit, Schlechtigkeit; bilis,
cicidon(?), fel‘ 〈Var.: c-〉. — Mhd. galle
sw. f. ‚Galle, Bitteres‘, nhd. Galle f. ‚bittere,
gelbflüssige Absonderung der Leber, Gal-
lenblase‘. Da die Galle als Symbol für das
Schädliche, das Sündhafte, die Bosheit, die
Falschheit, den Haß, den Neid und den Zorn
gilt, wird das Wort auch in Redewendungen
verwendet: Die Galle läuft ihm über, Gift
und Galle spucken, die Galle mit Honig
überziehen (zur Galle und zum Gallensaft im
Aberglauben und in der medizinischen Ver-
wendung vgl. HDA 3, 271 ff.; zu Gallener-
krankungen Höfler 1899: 178 ff.; Röhrich
2004: 1, 500 f.).
Ahd. Wb. 4, 29 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 281; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 353 f.; Schützeichel⁶ 127; Starck-Wells 189;
Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 375 f.; Graff 4, 180;
Lexer 1, 729; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 74 (bilis). 258
(fel); Dt. Wb. 4, 1183 ff.; Kluge²¹ 229; Kluge²⁴ s. v.;
Pfeifer, Et. Wb.² 392. — Paul 1989: § 189; Grimm
[1819 ff.] 1999: 1, 602.
In den anderen germ. Sprachen finden sich
folgende Entsprechungen (wobei teils f. n-
St., teils m./n. a-St. vorkommen): as. galla
‚Galle‘, mndd. galle ‚Galle, Bitterkeit, Bit-
ternis, Gallentrank‘; andfrk. galla ‚Galle;
fel‘, mndl. gal(le), nndl. gal; nfries. galle
‚Galle‘; ae. gealla m. ‚Galle‘, me. galle, ne.
gall ‚Galle‘; aisl., nisl., fär., nnorw. gall n.
‚Galle, bitteres Getränk, Gift‘, nschwed. gal-
la, galle, ndän. galde ‚Galle, Gift‘: < urgerm.
*allōn-/*alla-. Das Nebeneinander von n-
und a-St. beruht auf dem sekundären Antritt
des urgerm. individualisierenden *-n-Suf-
fixes an einen ursprünglichen a-St. urgerm.
*ala-. Mit Suffixablaut ergeben sich dabei
urgerm. *alan- und *aln- und Wandel von
*-ln- > *-ll- (zur Lautentwicklung vgl. ur-
germ. *fulna- ‚voll‘ > *fulla- > got. fulls,
ahd. fol; vgl. Krahe-Meid 1969: 1, § 96, 3).
Fick 3 (Germ.)⁴ 131; Holthausen, As. Wb. 24; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 161; Berr, Et. Gl. to Hel. 146; Wadstein,
Kl. as. Spr.denkm. 181; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 1, 6; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 8;
Quak, Wortkonkordanz zu d. am.- u. andfrk. Ps. u. Gl.
62; Quak, Die am.- u. andfrk. Ps. u. Gl. 77. 199; Ver-
wijs-Verdam, Mndl. wb. 2, 901; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 173; Suppl. 52; Vries, Ndls. et. wb. 180; Et. wb.
Ndl. F-Ka 153 f.; Fryske wb. 7, 58; Doornkaat Kool-
man, Wb. d. ostfries. Spr. 1, 582; Dijkstra, Friesch
Wb. 1, 437; Holthausen, Ae. et. Wb. 125; Bosworth-
Toller, AS Dict. 366; Suppl. 285; Suppl. 2, 30; ME
Dict. s. v.; OED² s. v.; Vries, Anord. et. Wb.² 153;
Bjorvand, Våre arveord 280 ff.; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 375 ff.; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 79;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 295; Nielsen, Dansk et.
ordb. 150 Ordb. o. d. danske sprog 6, 612 f.; Torp,
Nynorsk et. ordb. 145; Hellquist, Svensk et. ordb.³
268; Svenska akad. ordb. s. v. — Lühr 1988: 198 ff.
Der urgerm. primäre a-St. ist direkt mit gr.
χόλος ‚bittrer Haß, Zorn, (vereinzelt) Galle‘
vergleichbar (das neben ebenfalls primärem
gr. χολή ‚Galle, bittrer Haß, Zorn‘ steht) <
uridg. *ĝhol(h₃)o-. Zugrunde liegt die einzel-
sprachlich nicht fortgesetzte Verbalwurzel
uridg. *ĝhel(h₃)- ‚gelblich, grün sein‘ (zur
Lautqualität des Laryngals vgl. gr. χλωρός
‚blaßgrün, grüngelb‘ < uridg. **ĝhh₃-ró-; →
gelo, gold). Für den Ansatz uridg. *ĝholo-
oder *ĝholh₃o- bringt wohl jav. zāra- ‚Galle‘
(ohne Parallelen in den restlichen iran. Spra-
chen) keine Entscheidung. Zwar könnte ā in
offener Silbe auf *o zurückgehen (Vorform:
*ĝholo-), doch findet sich des öfteren ā statt
a in der ersten Silbe einer av. Wortform
(Vorform: *ĝholh₃o-; vgl. Hoffmann-Forss-
man 2004: § 23).
Ebenfalls auf die Wurzel uridg. *ĝhel(h₃)-
(im Balt. mit *t-, im Slaw. mit *k-Er-
weiterung) gehen folgende balto-slaw. Wör-
ter für ‚Galle‘ zurück: lit. tulžìs ‚Galle‘ (mit
Metathese aus *žultìs), lett. zu(k)ts ‚Galle‘
(neben žu[k]ts mit anlautendem ž- durch
Anlehnung an lett. žudze ‚Brandblase‘),
aksl. zlьčь ‚Galle‘, aruss. zъlčь neben žъlčь,
nruss. žëlč’, ukrain. žovč, wruss. žołć, bulg.
žlъč, serbo-kroat. žûč, slowen. žôłč, tschech.
žluč, poln. żółć, osorb. žołč, ndsorb. žołc (mit
teilweise sekundärem ž- im Anlaut von For-
men, in denen *ĝh vor *e stand).
Mit r-Suffix gehören auch ir., kymr., korn.
galar ‚Krankheit, Trauer‘ hierher (vgl. zur
Bildung gr. χολέρᾱ ‚eine Magenkrankheit‘).
Nicht klar ist, wie lat. fel ‚Galle(nblase), Bit-
terkeit, Zorn, Neid, Gehässigkeit‘ mit diesen
Formen zu verbinden ist, da ein uridg. *ĝh
ebenso wie *gh (Lühr 2000: 272: uridg.
*ghel(h₃)-n-) im Anlaut (außer vor r und l)
lat. h ergibt (vgl. Meiser 1998: 103; Som-
mer-Pfister 1977: 141). Für die Annahme ei-
ner dialektischen Entwicklung (so Ernout
[1909] 1928: 163) liegen kaum beweiskräfti-
ge Gründe vor (vgl. bereits Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. 1, 474; ebenso [zu gleichfalls als
dialektal gedeutetem fovea ‚Grube‘] Schrij-
ver 1991: 448). Wegen dieser Unsicherheit
wurde auch eine Wurzelanlautvariante uridg.
*gu̯hel- angesetzt (etwa Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. 1, 474), da sich uridg. *gu̯h- laut-
gesetzlich zu lat. f- entwickelt. Zu einer sol-
chen Wurzelvariante könnte das jav. Adj.
gǝrǝδō.kǝrǝta- ‚die Galle herausschneidend‘
gestellt werden (< *gu̯h[h₃]-do- [?]); jedoch
ist hier auch anlautendes *gh möglich (zu
rhythmischem ō als Fugenvokal eines thema-
tischen Kompositionsvordergliedes vor ei-
nem Trennungspunkt vgl. Hoffmann-Forss-
man 2004: § 33; wegen der jav. Form setzt
Bartholomae, Airan. Wb.² 1690 auch für lat.
fel eine Vorform mit *-d-Suffix an); zu einer
Dentalerweiterung mit *-t- vgl. lit. tulžìs
(s. o.). Eine mit uridg. *gu̯h- anlautende Wur-
zel ist zwar auch für lit. getas ‚gelb‘ denk-
bar, doch ist die Annahme einer Depalatali-
sierung wegen der verwandten slaw. Formen
wahrscheinlicher (→ gelo; vgl. hierzu auch
R. Hiersche, Glotta 43 [1965], 108 f.).
Aus semantischen Gründen nicht überzeugend ist die
von Lidén 1916: 27 f. vorgenommene Trennung von
lat. fel ‚Galle‘ von der Wurzel uridg. *ĝhel(h₃)-: Er
führt fel auf uridg. *dhu̯el-n- zurück und stellt es zu
lat. fulvus ‚braungelb, rotgelb‘.
Eine semantische Parallele ist ai. pittā- n. ‚Galle‘, das
ursprünglich wohl dasselbe Wort wie ai. pīta- ‚gelb‘
ist (vgl. Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. 2, 279; Wak-
kernagel [1896—1964] 1954—87: 1, Nachträge 60 f.; H.
Petersson, ASPh 34 [1913], 372 f.).
Walde-Pokorny 1, 624 ff.; Pokorny 429 f.; Bartholo-
mae, Airan. Wb.² 1690; Frisk, Gr. et. Wb. 2, 1109 f.;
Chantraine, Dict. ét. gr. 1267 f.; Walde-Hofmann, Lat.
et. Wb. 1, 473 f.; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 223;
Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 83 f.; Sadnik-Aitzet-
müller, Handwb. zu den aksl. Texten 167. 337; Vas-
mer, Russ. et. Wb. 1, 416 f.; Schuster-Šewc, Hist.-et.
Wb. d. Sorb. 1800 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1138; Müh-
lenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 4, 750. 831; Dict. of
Irish G-37; Evans-Thomas 1953: 98. — Grimm [1880]
1970: 281 f.; Curtius 1879: 203; Schmidt [1889]
1980: 249; Pedersen [1909—13] 1976: 2, 25; A. Kuhn,
ZVSp 1 (1852), 516; L. Meyer, ZVSp 5 (1856), 379; F.
Fröhde, BB 7 (1883), 105; P. Kretschmer, Glotta 2
(1910), 352; H. Petersson, IF 34 (1914—1915), 245 f.;
F. Specht, ZVSp 56 (1928), 123 f.; E. Fraenkel, ZSPh
23 (1954), 349 ff.; W. Cowgill, Sprache 24 (1978),
38 f.