gans f. i-St., nur in Gl. ab dem 9. Jh.:
‚Gans, Gänserich; anser, auca‘ 〈Var.: c-, k-;
-nn-; -z〉. — Mhd. gans st. f. ‚Gans‘, nhd.
Gans f. ‚zu den Schwimmvögeln gehören-
des, aber vor allem auf dem Lande lebendes
Haustier‘.
Ahd. Wb. 4, 91 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 286; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 356; Schützeichel⁶ 129; Starck-Wells
191. 814; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 392 f.;
Graff 4, 220; Lexer 1, 736; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb.
43 (anser). 62 (auca); Dt. Wb. 4, 1255 ff.; Kluge²¹
231; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 395 f.
Entsprechungen finden sich in den meisten
anderen germ. Sprachen: as. gōs, gās (im
Runenalphabet, in Gl. und in ON), mndd.
gōs, gās, gans ‚Gans‘; mndl., nndl. gans
‚Gans‘; afries. gōs, nfries. goes ‚Gans‘; ae.,
me. gōs, ne. goose ‚Gans‘; aisl. gás f., nisl.,
fär. gás, nnorw., ndän. gaas, nschwed. gås
‚Gans‘: < urgerm. *ans- f. Im Ahd. und
Mndd. ist der urgerm. Konsonantenstamm in
die i-Deklination übergetreten. Der Ansatz
eines Konsonantenstamms wird durch aisl.
nom.pl. gǽss (Noreen [1923] 1970: § 416
und Anm. 3), ae. nom./akk.pl. gēs neben gæs
(vgl. Brunner 1965: § 283 f.) < urgerm.
*ans-iz eindeutig erwiesen. Für das Got. ist
das Wort für die Gans indirekt aus den span.
und port. Entlehnungen ganso ‚Gänserich‘
und gansa ‚Gans‘ wohl als *gans zu er-
schließen (nicht **gansus, wie Gamillscheg
1970: 1, 382 vermutete).
Im Nordgerm. und Ahd. wird das Wort auch
übertragen auf Menschen verwendet, und
zwar als ‚Scherzname‘ für Frauen und als
‚dummer Mensch‘ (vielleicht auch im Got.,
da die span. Fortsetzer ebenfalls die Neben-
bedeutung ‚dumm‘ aufweisen [vgl. auch die
Ableitung span. gansada ‚Albernheit‘], falls
hier nicht eine eigenständige span. Bedeu-
tungsentwicklung vorliegt).
Aus dem Nordgerm. wurde das Wort in die
lapp. Dialekte entlehnt: lapp.-norw. gāssa,
lapp.-schwed. gas (vgl. Qvigstad 1893: 166).
Fick 3 (Germ.)⁴ 125; Holthausen, As. Wb. 25. 28;
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 23. 135;
Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 134 f.; Verwijs-Ver-
dam, Mndl. wb. 2, 910 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal²
174 f.; Vries, Ndls. et. wb. 182; Et. wb. Ndl. F-Ka
165 f.; Holthausen, Afries. Wb.² 36; Fryske wb. 7,
313 f.; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 1,
667 f.; Dijkstra, Friesch Wb. 1, 468; Holthausen, Ae.
et. Wb. 135; Bosworth-Toller, AS Dict. 485; Suppl.
483; ME Dict. s. v.; OED s. v.; Vries, Anord. et. Wb.²
157; Bjorvand, Våre arveord 333 f.; Jóhannesson, Isl.
et. Wb. 292; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 1,
563; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 80; Falk-
Torp, Norw.-dän. et. Wb. 293; Nielsen, Dansk et.
ordb. 170; Ordb. o. d. danske sprog 6, 566 ff.; Torp,
Nynorsk et. ordb. 150; Hellquist, Svensk et. ordb.³
317; Svenska akad. ordb. s. v. — Griepentrog 1995:
211 ff.
Der urgerm. Konsonantenstamm *ans-
führt auf uridg. *ĝhans- ‚Gans‘ zurück. Die-
ser ist außerhalb des Germ. nur noch in gr.
ion., att. (nom.pl.) χῆν-ες m. f., dor., böot.
χᾶν-ες fortgesetzt (dazu analogisch nom.sg.
χήν, χάν) und lit. dial. (nom.pl.) žą̃s-es <
uridg. *ĝhans-es; vgl. auch gen.pl. gr. ion.,
att. χην-ῶν, dor., böot. χαν-ῶν, lit. dial. žą̃sų̃,
lett. zuosu < uridg. *ĝhans-ōm.
Dagegen weisen die Fortsetzer in den ande-
ren idg. Sprachen suffixale Erweiterungen
auf, die wohl allesamt das Resultat nach-
uridg. Umbildungen sind: ai. haṃsá- m.
‚Gans [Gattungsbegriff], Gänserich‘ (< vor-
uriir. *ĝhans-ó-, wohl ein maskulines sub-
stantiviertes Zugehörigkeitsadjektiv mit Suf-
fix *-ó-) neben davon abgeleitetem ai. haṃ-
sī- ‚Gans‘; lit. žąsìs, lett. zùoss ‚Gans‘ (< ur-
balt. *źañsi-, also mit üblichem Übertritt der
Konsonantenstämme in die i-Deklination:
vgl. dazu etwa lit. ausìs ‚Ohr‘, lit. naktìs
‚Nacht‘, lit. dantìs ‚Zahn‘; hieraus wurde
finn. hanhi ‚Gans‘ entlehnt); dagegen setzen
lett. zuose, dzùose ‚Gans‘ und apreuß. (El-
binger Vokabular 719) sansy ‚Gans‘ eine
Ableitung mit dem Zugehörigkeit ausdrük-
kenden Suffix urbalt. *-ii̯ā- fort; air. géiss
‚Schwan‘ (< vorurkelt. *gansi/ī-, wohl mit
einer verdeutlichenden Femininendung; als
*gansi- von McCone 1996: 106 angesetzt,
dagegen als *gansī- bei Griepentrog 1995:
228; de Bernardo Stempel 1999: 35. 77; der
letztere Ansatz ist mit ai. haṃsī- zu verglei-
chen [Bedeutung ‚zur Gans gehörig‘]) mit
Bedeutungsentwicklung (vielleicht über
‚großer Wasservogel‘; die ‚Gans‘ wird im
Kelt. mit dem Wort air. géd, kymr. gwydd,
bret. gwaz [< urkelt. *gegdā-] bezeichnet).
Unklar ist die genaue Beurteilung von lat.
ānser m. f. ‚Gans‘. Zum einen fehlt das aus
uridg. *ĝh zu erwartende h- im Anlaut, was
entweder analogisch nach lat. anas ‚Ente‘
(Sommer-Pfister 1977: 148), als „mundartli-
che Eigenheit der Bauernsprache“ (Griepen-
trog 1995: 224) oder lautgesetzlich (Meiser
1998: 105) erklärt wird, zum anderen ist die
Erweiterung -er nicht sicher gedeutet; hier-
bei stehen sich zwei Erklärungen gegenüber.
Die erste geht von einem Umbildungsprozeß
des ererbten urlat. Paradigmas aus: nom.sg.
*hās, gen.sg. *hans-is wurde zunächst zu
*hāns, *hansis ausgeglichen; darauf wurde
*hāns nach Fällen wie mēnsis ‚Monat‘ und
canis ‚Hund‘ zu *hānsis; in Analogie zu Pa-
radigmata wie lat. cinis ‚Asche‘, cineris,
wurde der Gen.Sg. *hansis zu *hānseris um-
gebaut, woraus ein neuer Nom.Sg. *hānser
abstrahiert wurde. Demgegenüber geht die
zweite Erklärung von einer mit einem -ro-
Suffix erweiterten Form *hāns-ro- aus, die
im Lat. regulär (h)ānser ergab; allerdings
müßte dann der reguläre Gen.Sg. *(h)ānserī
durch (h)ānseris ersetzt worden sein. Eben-
falls problematisch sind die Vertreter im
Slaw., da diese anstelle des zu erwartenden
Anlauts z- (urslaw. **zǫsь) ein g- zeigen:
nruss. gys’, ukrain. huś, bulg. gъska, serb.-
kroat. gűs, slowen. gôs, tschech., slowak.
hus, poln. gęś, osorb. (pl.) husy, ndsorb. gus.
Am einfachsten ist wohl, wenn man das an-
lautende g- auf germanische Beeinflussung
zurückführt (vielleicht wurde mit urslaw.
*gǫsь eine bestimmte, aus dem germani-
schen Raum importierte Gänseart bezeich-
net; vgl. zu germanischen Gänsearten Pli-
nius, nat. hist. 10,27: candidi [anseres] ibi
verum minores gantae vocantur ‚die weißen
[Gänse] sind dort [= in Germanien] aber
kleiner und heißen gantae‘; → ganaz).
z o
Doch ist das Benennungsmotiv von uridg.
*ĝhans- nicht zu ermitteln.
Andere Erklärungen des anlautenden slaw. g- sind als
nicht gesichert abzulehnen. So hatte A. Meillet, MSLP
9 (1896), 374 und MSLP 13 (1905—06), 243 versucht,
das g- lautgesetzlich als Depalatalisierung vor einem
*s zu erklären. Jedoch sind die weiteren von ihm bei-
gebrachten Beispiele derart unsicher, daß kaum von
einer lautgesetzlichen Entwicklung gesprochen wer-
den kann. F. Kortland, Baltistica 21 (1985), 119 geht
dagegen von einer lautgesetzlichen Depalatalisierung
vor *n aus. Diese Erklärung setzt allerdings ein ablau-
tendes hysterokinetisches Paradigma voraus: nom.sg.
*ĝhéh₂ns, gen.sg. *ĝhh₂nsós, akk.sg. *ĝhéh₂ns, ein
Paradigma, das zwar alle bezeugten Formen erklären
kann, jedoch lediglich deswegen angesetzt ist, um den
Ansatz eines grundsprachlichen *a zu vermeiden. Un-
wahrscheinlich ist dieser Ansatz vor allem deswegen,
weil dann im Slawischen und Baltischen unterschied-
liche Ablautstufen fortgesetzt wären, was bei allen
anderen einsilbigen Konsonantenstämmen nicht der
Fall ist.
Walde-Pokorny 1, 536; Pokorny 412; Mayrhofer, K.
et. Wb. d. Aind. 3, 571; Mayrhofer, Et. Wb. d. Altin-
doar. 3, 799; Frisk, Gr. et. Wb. 2, 1094 f.; Chantraine,
Dict. ét. gr. 1256 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1,
52; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 36; Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 365 f.; Berneker, Slav. et. Wb. 342;
Trubačev, Et. slov. slav. jaz. 7, 88 f.; Vasmer, Russ. et.
Wb. 1, 324; Schuster-Šewc, Hist.-et. Wb. d. Sorb.
366 f.; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1292; Mühlenbach-
Endzelin, Lett.-dt. Wb. 4, 760; Trautmann, Apreuß.
Spr.denkm. 419; Fick 2 (Kelt.)⁴ 106. 109; Dict. of
Irish G-53. 58; Dict. of Welsh 2, 1753. — Vaillant
1950—77: 1, 36; Schrijver 1991: 113; Forssman 2001:
36; Petit 2004: 30 f.