gart²
Band IV, Spalte 89
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gart² m. a- oder i-St., seit dem 9. Jh. in
Gl., B, I, M, MH und T: Garten, eingehegtes
Grundstück, umfriedeter Platz, Umhegung,
Kreis; chorus, hortus
(die Festlegung auf ei-
nen a- oder i-St. ist für das Ahd. nicht mög-
lich, da keine distinktiven Kasusformen belegt
sind). garto m. n-St., seit dem 8. Jh. in Gl.,
B, O und T: Garten, Paradies; cucu-
merarium, hortus
Var.: c-. Mhd. gart
st. m. neben garte sw. m. Garten, nhd. Gar-
ten m. umzäuntes, kleineres Stück Land zum
Anbau von Nutz- und Zierpflanzen
. Das nhd.
Wort setzt schwach flektiertes mhd. garte fort;
das auslautende -n, das seit dem 15. Jh. er-
scheint, stammt aus den obliquen Kasus.

Ahd. Wb. 4, 119 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 289 f.; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 358 f.; Schützeichel⁶ 130; Starck-Wells
192; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 403. 407 f.;
Seebold, ChWdW8 141 f.; Graff 4, 248 ff.; Lexer 1,
740; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 102 (chorus). 307 (hor-
tus); Dt. Wb. 4, 1388 ff.; Kluge²¹ 233 f.; Kluge²⁴ s. v.;
Pfeifer, Et. Wb.² 399. Paul 1989: § 187 und Anm. 3.

Dem stark flektierten Wort ahd. gart² entspre-
chen in den anderen germ. Sprachen: as. gard
m., mndd. gart m. Umfriedung; andfrk.
(dat.sg.) -charde (in olecharde in, bei einem
Bienengarten
), mndl. gaert Umfriedung,
nndl. gaard umzäunter Garten; ae. geard m.
Umfriedung, me. orchard umzäunter Gar-
ten
(< ae. ort-geard; vgl. got. aurtigards), ne.
yard umfriedeter Platz; aisl. garðr m. Zaun,
Hof, Garten
, nisl., fär. garður, nnorw. gar(d),
nschwed. gård, ndän. gaard; im Langob. ist
das Substantiv vermutlich als Namenelement
-gardus, -cardus (f. -garda) belegt: < urgerm.
*arđa-; neben got. gards m. Haus, Familie,
Hof
: < urgerm. *arđi-.

Das schwach flektierte Wort ahd. garto hat ei-
ne Entsprechung in as. gardo m., mndd.
gārde, gērde Garten; mndl. gaerde Garten,
nndl. dial. gaarde; afries. garda m. Garten,
nostfries. gārden, gār(e)n; got. garda m.
Hürde, Viehhof: < urgerm. *arđan-. Inner-
germanisch wurde der urgerm. a-St. mit dem
Suffix *-n- erweitert (zu solchen Erweiterun-
gen vgl. Krahe-Meid 1969: 3, § 91).

Aus dem Germ. wurde das Substantiv in ver-
schiedene Sprachen entlehnt, aus dem Nord-
germ. als me. garth, gerth, ne. dial. garth
umzäunter Platz, air. garda und kymr. gardd
Garten. Wohl aus dem germ. n-St. stammen
finn. kartano und livländ. kārand, karn Hof,
Hofplatz
. Ein afrk. Substantiv *gard Gehe-
ge
ist aus entlehntem afrz. jard Gemüsegar-
ten
(fortgesetzt in der roman. Ableitung nfrz.
jardin Garten, italien. giardino, span. jardin,
port. jardim, prov. jardi, gardi, jerzi) zu er-
schließen. Eine Lehnbildung ist wohl aksl.
vinogradъ Weintraube, Weinrebe (nach got.
weinagards Weingarten).

Fick 3 (Germ.)⁴ 129; Holthausen, As. Wb. 24; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 166. 379; Berr, Et. Gl. to Hel. 147 f.; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 16. 22; Schiller-Lüb-
ben, Mndd. Wb. 2, 15; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 2,
889 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 171 f.; Vries, Ndls.
et. wb. 179; Et. wb. Ndl. F-Ka 149; Holthausen, Afries.
Wb.² 34; Richthofen, Afries. Wb. 773; Doornkaat
Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 1, 590 f.; Holthausen, Ae.
et. Wb. 125. 242; Bosworth-Toller, AS Dict. 367. 767;
Suppl. 288. 677; Suppl. 2, 30; ME Dict. s. v.; OED
s.vv.; Vries, Anord. et. Wb.² 156; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 363 f.; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 80;
Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 292 f. 317. 320. 1466;
Nielsen, Dansk et. ordb. 170; Ordb. o. d. danske sprog
6, 555 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 147; Hellquist, Svensk
et. ordb.³ 317; Svenska akad. ordb. s. v.; Feist, Vgl. Wb.
d. got. Spr. 197 f.; Lehmann, Gothic Et. Dict. G-55;
Bruckner, Spr. d. Langob. 253 f. Diez, Et. Wb. d. rom.
Spr.⁵ 164; Wartburg, Frz. et. Wb. 16, 18 ff.; Körting,
Lat.-rom. Wb.³ Nr. 4168. Gamillscheg 1969: 544;
Vasmer, Russ. et. Wb. 1, 202; Mackel 1887: 70; Björk-
man [190002] 1973: 152. Casaretto 2004: 179 f.
221 f.

Von den beiden vorgeschlagenen Etymolo-
gien für urgerm. *arđa/i- ist die erstere die
wahrscheinlichere, da sie den neben dem a-St.
vorkommenden i-St. zu erklären vermag:

1. Urgerm. *arđa/i- geht auf uridg. *ghor-tó-
/-tí- zurück. Auf uridg. *ghor-tó- weisen auch
gr. χόρτος eingefriedeter Raum, Hof, Gehege,
Weideplatz, Weide, Futter, Gras, Heu
, lat.
hortus Garten, osk. húrz (akk.sg. húrtúm)
Hain, air. gort Saatfeld (vgl. lubgort Kräu-
tergarten
), kymr. *garth eingezäuntes Ge-
biet
(verbaut in akymr. luird Kräutergarten;
vgl. ir. lubgort), bret. garz. Eine von der
Schwundstufe gebildete uridg. *-ti-Ableitung
findet sich in lat. cohors eingezäunter Hof-
raum, Viehhof, (übertr.) Kohorte, Gefolge,
Schar, Leibwache
(< uridg. *-ghtí-). Uridg.
*ghórti- könnte dann aus einem o/e-akro-
statischen Paradigma uridg. *ghór-ti-s, Gen.
*ghér-ti-s hervorgegangen sein, wobei in den
schwachen Kasus analogisch die schwundstu-
fige Wurzelform eingeführt wäre. Denkbar er-
schiene auch ein ursprüngliches proterodyna-
misches Paradigma *ghér-ti-s, Gen. *gh-té-s
mit einer nach dem o-St. *ghorto- analogi-
schen Umbildung zum Nom. *ghórtis. Der
Ansatz einer Verbalwurzel uridg. *gher- ist je-
doch problematisch, da sich keine von ihr ab-
geleiteten Verben finden lassen.

2. Urgerm. *arđa- stammt von uridg. *ghor-
dho- her. Von dieser Vorform sind auch aksl.
gradъ Burg, Stadt, Garten, nruss. górod
Stadt, ukrain. hórod, bulg. grad, serbo-
kroat., slowen. grâd, tschech. hrad, poln.
gród, osorb. hród, ndsorb. grod (die trotz H.
Hirt, PBB 23 [1898], 333 nicht als Lehnwörter
aus dem Germ. aufzufassen sind), lit. gadas
Pferch, em. gardìs Wagenleiter, phryg.
-gordum Stadt (in ON wie Manegordum)
und alb. gardh Zaun, Gehege, Hecke her-
leitbar. Als schwundstufige Bildung stellt sich
ai. ghá- m. Haus, jav. gǝrǝδa- m. Höhle
daēvischer Wesen
(< *ghdhó-) hierzu (aus
dem Indoir. entlehnt in wotjak. gurt Wohn-
platz, Dorf
, perm. gort Haus, Wohnung;
vgl. H. Jacobsohn, ZVSp 54 [19261927],
197). Bei dieser Etymologie ist die Verbal-
wurzel als uridg. *gherdh- umschließen, um-
gürten
anzusetzen; eine solche läßt sich aber
kaum in einem Primärverbum belegen, aisl.
gyrða gürten könnte auch denominal sein.
Wie bemerkt, fehlt bei diesem Anschluß zu-
dem eine Motivation für die Bildung als germ.
i-St.

Trotz mannigfacher Versuche (vgl. E. Benve-
niste, BSL 33 [1932], 139; O. Szemerényi,
ZVSp 73 [19551956], 72) ist heth. gurta-
Burg, Akropolis (vgl. Tischler, Heth. et. Gl.
1, 658 ff.) aus lautlichen Gründen nicht direkt
mit germ. *arđa/i- zu verbinden. Vielleicht
ist das heth. Wort aus einer nicht näher zu
identifizierenden Sprache entlehnt worden, da
das idg. Wort im östlichen Mittelmeerraum
durchaus verbreitet war, wie aus dem myk.
ON ko-tu-we, ko-tu-wo und einer Reihe ägä-
ischer und kleinasiatischer ON (Γόρτυν, Γυρ-
τών, Γόρδιον) hervorgeht (vgl. zur Entleh-
nungsmöglichkeit P. Kretschmer, Glotta 31
[1951], 11; ders., WZKSA 52 [195355], 249;
Heubeck 1961: 588 ff).

Aus lautlichen Gründen nicht hiermit zu verbinden ist
(trotz Lidén 1916: 21) toch. B kercye königlicher Pa-
last
(vgl. Windekens, Lex. ét. tokh. 37; Pedersen 1944:
34 f.).

Eine semantisch nahestehende Wortgruppe, jedoch mit
anlautendem Palatal, begegnet in: lit. árdas Holzwerk,
wo man die Erbsen zum Trocknen aufhängt, lett. zãrds
Holzgestell, lit. adis Roßgarten, großer umzäunter
Weideplatz
, apreuß. sardis umzäunter Roßgarten,
russ. zoród eingehegter Platz zu einem Heuschober
(vgl. J. Zubat, ASlPh 16 [1894], 420 f.).

Fick 1 (Idg.)⁴ 436; Walde-Pokorny 1, 603 f. 608 f.; Po-
korny 442 f. 444; LIV² 176; Mayrhofer, K. et. Wb. d.
Aind. 1, 344; ders., Et. Wb. d. Altindoar. 2, 803 f.; Bar-
tholomae, Airan. Wb.² 522; Frisk, Gr. et. Wb. 2, 1113 f.;
Chantraine, Dict. ét. gr. 1270 f.; Untermann, Wb. d.
Osk.-Umbr. 334 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1,
242 f. 660. 857; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 300; Thes.
ling. lat. 6, 3015 ff.; Du Cange² 4, 235 f.; Demiraj, Alb.
Et. 175; Orel, Alb. et. dict. 110; Trautmann, Balt.-Slav.
Wb. 78 f. 266; Berneker, Slav. et. Wb. 1, 330 f.; Sadnik-
Aitzetmüller, Handwb. zu den aksl. Texten 31; Vasmer,
Russ. et. Wb. 1, 297, 461; 2, 259; Fraenkel, Lit. et. Wb.
135 f. 1290 f.; Mühlenbach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 4,
699 f.; Trautmann, Apreuß. Spr.denkm. 419; Fick 2
(Kelt.)⁴ 115; Dict. of Irish G-159. 230; Dict. of Welsh 2,
1381; Friedrich, Heth. Wb. 119. Leskien 1894: 167;
Zupitza 1896: 201; J. Charpenter, ZVSp 40 (190506),
468 ff.; Pedersen [190913] 1976: 1, 136; A. Brückner,
ZVSp 46 (1914), 233 f.; Stender-Petersen 1927: 255 ff.;
Wackernagel 193057: 1, 250; A. Senn, ZVSp 71
(195354), 188; Lühr 2000: 280; Matzinger 2006: 70.

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