gazza
Band IV, Spalte 107
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gazzaAWB f. n-St., in Gl., bei N und WH
(seit dem 10. Jh.): Gasse, Quartier, Stadt-
viertel; andromena, platea, vicus
. Mhd.
gazze sw. f. Gasse, nhd. Gasse f. von Häu-
sern eingefaßte, enge Straße, schmaler
Durchgang
. Das Wort wird auch in Redens-
arten verwendet wie gassatim gehen lär-
mend durch die Gassen ziehen
(ältere Stu-
dentensprache; den Typ lat. statim sofort
parodierende Adverbialbildung), Gassen
hauen beim Gehen schnell und derb auftre-
ten
(davon abgeleitet Gassenhauer auf
Straßen gesungenes, bekanntes, triviales
Lied
, urspr. Nachtschwärmer) und Gassi
gehen mit seinem Hund einen Straßenbum-
mel machen, um ihm den nötigen Auslauf zu
geben sowie Gelegenheit, seine Notdurft zu
verrichten
(vgl. Röhrich 2004: 1, 509 f.).

Ahd. Wb. 4, 130 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 1217; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 360; Schützeichel⁶ 130; Starck-Wells
193; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 410 f.; Graff 4,
105; Lexer 1, 745; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 40 (andro-
mena). 494 (platea). 708 (vicus); Dt. Wb. 4, 1436 ff.;
Kluge²¹ 234; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 400.
Grimm [1819 ff.] 1999: 2, 23.

In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
aisl., nisl. gata f. (aisl. gata beruht auf Neue-
rung; wegen des w-Umlauts [s. u.] wäre
*gtua zu erwarten; nach dem Verhältnis sg.
saga : pl. sgur wurde zum Pl. gtur ein
neuer Sg. gata geschaffen [vgl. Noreen
(1904) 1978: § 84]), fär. gata, gøta, nnorw.
gata, gota, ndän. gade, nschwed. gate Pfad,
Gasse
; got. gatwo* f. Weg zwischen zwei
Zäunen, Pfad, Gasse
(nur akk.pl. gatwons
[Lk. 14,21]): < urgerm. *atōn-. Dagegen
sind die übrigen germ. Verwandten Entleh-
nungen: Aus dem Dt. stammen mndd. gasse,
gatze Gasse, Stadtviertel, ostmndl. gas(se)
Straße; me. gte Gasse, Straße, ne. gate
Straße ist dagegen aus dem Aisl. entlehnt.

Aus dem Germ. wurde das Wort auch in das Balt. ent-
lehnt, und zwar zweimal: Einmal in vorhistorischer
Zeit als lit. gãtv Straße, Gasse, Viehtrift, lett. gatva,
gat(u)ve zu beiden Seiten eingezäunter Weg, Vieh-
weg, Gasse, Allee, Durchgang
(verfehlt R. Lans-
zweert, FS Knobloch 1985: 224 ff., da er die balt. For-
men zu ahd. pfad [s. d.] stellt und den Gleichklang als
schlichte Kuriosität
abtut), später aus dem Mndd. als
lett. (Westlivland) gate Weg zwischen zwei Zäunen.

Urgerm. *atōn- stellt somit eine nord-
ostgerm.-ahd. Isoglosse dar. Problematisch
ist die weitere Anbindung innerhalb des
Germ. Noch am wahrscheinlichsten ist die
Zusammenstellung mit urgerm. *ata- n.
Loch, Öffnung, ein lediglich im Nord-
Westgerm. fortgesetztes Wort: as., mndd. gat
Loch, Öffnung, Durchbruch; mndl., nndl.
gat Loch, Durchgang, Tür; afries. jet,
nfries. gat Loch, Öffnung, Durchgang, Höh-
le
; ae. geat (hieraus entlehnt ir. gead der
Hintere
; weniger wahrscheinlich Pedersen
[190913] 1976: 1, 63. 160: ir. gead sei ein
Erbwort), me., ne. gate Tor, Tür, Öffnung;
aisl., nisl., fär., nnorw. gat Loch, Höhle.
Als vermittelnde Bedeutung zwischen Gas-
se
und Loch müßte dann eine Bedeutung
wie Schneise, Höhlung angenommen wer-
den. Zur Erklärung des morphologischen
Verhältnisses von urgerm. *ata- und *a-
tōn- wurden zwei Möglichkeiten in Be-
tracht gezogen: Nach der ersten sind beide
Wörter Ableitungen eines im Germ. nicht
mehr bezeugten Verbs urgerm. *ete/a-
Öffnung, Höhlung haben: *ata- ist dann
ein Verbalsubstantiv mit dem Suffix urgerm.
*-a-, während *atōn- als substantiviertes
Adjektiv mit dem Suffix *-ō- abgeleitet ist
(vgl. zu diesen Bildungen Krahe-Meid 1969:
3, § 77, 4; zu adj. a-Ableitungen, die neben
solchen auf *-a- stehen, vgl. urgerm. *ula-
gelb [> aisl. gulr gelb] neben *ela-
gelb [ gelo]). Die zweite Erklärung geht
von einem Nebeneinander von urgerm.
*ata- und einem nicht weiter bezeugten u-
St. *atu- aus, zu dem eine Ableitung mit
urgerm. *-ōn- gebildet wurde (so Grienber-
ger 1900: 94). Da es jedoch, anders als etwa
bei ahd. smero Fett, Schmier (s. d.), in den
idg. Sprachen keinen Hinweis auf einen u-St.
gibt, scheint diese Möglichkeit weniger
wahrscheinlich.

Zur Bedeutung vgl. aruss. ulica Marktplatz,
Straße, Reihe
, russ. úlica Straße, Gasse,
das zu gr. αὐλός längliche Höhlung, Flöte,
westfäl. ōl, aul Schlucht, Mulde und arm.
uli Weg, Reise gehört.

Eine Analyse in *a-tō- (so Bopp 186871: 3, 226 f.;
Meyer 1869: 16 f. 416; O. Bremer, PBB 11 [1886],
272; L. Meyer, ZVSp 8 [1895], 285) mit dem Suffix
uridg. *-to- scheidet aus, da in dem Fall die germ.
Lautverschiebung hätte eingetreten sein müssen (vgl.
bereits C. Lottner, ZVSp 11 [1862], 187).

Fick 3 (Germ.)⁴ 123; Holthausen, As. Wb. 25; Sehrt,
Wb. z. Hel.² 168; Berr, Et. Gl. to Hel. 149; Lasch-
Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 25; Schiller-Lübben,
Mndd. Wb. 2, 17; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 2, 926 f.;
Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 176; Vries, Ndls. et. wb.
185; Et. wb. Ndl. F-Ka 176; Holthausen, Afries. Wb.²
53; Richthofen, Afries. Wb. 847; Fryske wb. 7, 71 ff.;
Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 1, 595 f.;
Dijkstra, Friesch Wb. 1, 439 f.; Holthausen, Ae. et. Wb.
126; Bosworth-Toller, AS Dict. 369; ME Dict. s. v.;
OED² s. v.; Vries, Anord. et. Wb.² 157. 158; Bjorvand,
Våre arveord 286 f.; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 328;
Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 1, 564 f.; Holthau-
sen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 81; Falk-Torp, Norw.-dän.
et. Wb. 1, 294; Nielsen, Dansk et. ordb. 152; Ordb. o.
d. danske sprog 6, 585 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 176;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 272 f.; Svenska akad. ordb.
s. v.; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 205 f.; Lehmann, Gothic
Et. Dict. G-69. Fraenkel, Lit. et. Wb. 139; Mühlen-
bach-Endzelin, Lett.-dt. Wb. 1, 609. Senn 1925: 49; A.
Senn, JEGP 32 (1933), 517.

Gehören also urgerm. *ata- und *atōn-
tatsächlich zusammen, können beide auf
vorurgerm. *hod-o- zurückgeführt werden.
Hiermit zu vergleichen sind dann av. (dual)
zadaŋha Steiß (vgl. auch das Kompositum
apa-zadah- den Steiß abweghaltend [nach
oben?]
) und arm. jet Schwanz (< *hedos;
arm. jet ist ein o-St., doch weist der Voka-
lismus auf einen alten s-St.). Diese Wörter
sind Ableitungen der Verbalwurzel uridg.
*hed-, die in gr. χέζω ich scheiße, alb. dhjes
ich scheiße (< *hed-é/ó-) und alb. n-dot
beschmutzt, verdreckt (< *he-hd-) fortge-
setzt ist. Als Bedeutung der Verbalwurzel
uridg. *hed- wird üblicherweise scheißen
angegeben. In Anbetracht der germ. Belege
ahd. gazza Gasse, as. gat Loch usw. ist
sie jedoch mit Persson 1912: 1, 599 besser als
Öffnung haben anzusetzen, welche sich zu
scheißen entwickelt hat.

Walde-Pokorny 1, 542 ff. 571 f.; Pokorny 423; LIV²
172; Mayrhofer, K. et. Wb. d. Aind. 3, 573 f.; Bartholo-
mae, Airan. Wb.² 1657; Frisk, Gr. et. Wb. 2, 1078 f.;
Chantraine, Dict. ét. gr. 1249; Demiraj, Alb. Et. 161 f.;
Orel, Alb. et. dict. 83. O. Wiedemann, BB 30 (1906),
214 f.; Olsen 1999: 47.

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