germaraAWB f. jōn-St., nur in Gl. seit dem
11. Jh.: ‚Germer, weiße Nieswurz; elleborus,
-os, -um, veratrum‘ (Veratrum album L.)
〈Var.: -arr-, -err-, -er〉. — Mhd. germer,
nhd. Germer (zu mdartl. Varianten s. u.).
Ahd. Wb. 4, 222; Splett, Ahd. Wb. 1, 1217; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 366; Schützeichel⁶ 133; Starck-Wells
197; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 440; Götz,
Lat.-ahd.-nhd. Wb. 301 (helleborus); Dt. Wb. 5, 3718. —
Marzell [1943—58] 2000: 4, 1015 ff.; ders. [1938]
1967: 56 f.
Das Wort hat keine Entsprechungen in ande-
ren germ. Sprachen (zur sehr fraglichen Be-
ziehung zu ae. geormanlēaf ‚Malve‘ vgl. J.
Schnetz, ZONF 9 [1933], 217. 225 f.; 12
[1936], 27 ff.; 13 [1937], 122 ff.).
Die Herkunft des erst spätahd. und mhd. auf-
tretenden Pflanzennamens ist dunkel. Aus
lautlichen Gründen kann er kaum (wie bei
Graßmann 1870: 37 f. 255) zu nhd. mdartl.
rams, ae. hram(e)sa, -se ‚Bärenlauch‘ (→
ramusia) oder mit ahd. hemera (s. d.), eine
andere Bezeichnung für den Germer, gestellt
werden.
In den dt. Mdaa. kommen oft Varianten mit
verschiedenen inlautenden Konsonanten vor:
z. B. gerbere, gerwere, gärberne, gerbele,
-wele (auch germele) usw. (vgl. Marzell
[1943—58] 2000: 4, 1016 f.). Es ist möglich,
daß diese Varianten nicht erst in den einzel-
nen Mdaa. entstanden sind, sondern auf älte-
re, schon im Mhd. auftretende Formen zu-
rückgehen. Es gibt nämlich im Mhd. und in
den dt. Mdaa. verschiedene Ableitungen von
der Verbalwz. ger- (auch jer-) in mhd. gern
‚gären‘ (→ jesan, jerien), besonders eine m-
Ableitung und eine w- (b-)Ableitung (die
von mhd. gerwen, garwen ‚zubereiten, gar
machen‘ beeinflußt wurde; → garawen):
mhd. gerwe(n), gerben, gärm ‚Hefe, Aus-
wurf, Unreinigkeit‘ (Lexer 1, 892), nhd. Ger-
be ‚Hefe, Bodensatz, Unreinigkeit, Abgang,
Auswurf; excrementa‘ (Dt. Wb. 5, 3586 f.),
bair. auch germ (Schmeller, Bayer. Wb.² 1,
934 f.), schweiz. gerwelen, germelen, gerbelen
‚sich erbrechen‘, gerwen ‚dss.‘ (Schweiz. Id.
2, 448), schwäb. gerben ‚dss.‘ (vgl. gerber-
hund in „speien, kotzen wie ein gerberhund“;
Fischer, Schwäb. Wb. 2, 390 f.); vgl. auch
südhess. germsig ‚gärend, übelschmeckend‘,
gärmsig ‚in Gärung übergegangen, übel-
schmeckend‘ (Maurer-Mulch, Südhess. Wb.
2, 1268).
Da die Nieswurz giftig, von stechendem Ge-
schmack ist und beim Vieh Erbrechen und
Durchfall verursacht (vgl. Schweiz. Id.,
a. a. O.), auch früher als Brechmittel ge-
braucht wurde (vgl. Brechwurz; Marzell,
a. a. O. 4, 1021), könnte der Pflanzenname
aus *germ-, *gerw- mit *-ārjōn-Suffix (F.
zum Nomen agentis auf -ri; vgl. Braune-
Reiffenstein 2004: § 226) bestehen und etwa
‚Erreger von Erbrechen (oder Durchfall)‘
bedeuten. Die Form mit -m- hat vielleicht
unter dem Einfluß von dem als Synonym ge-
brauchten und viel häufiger vorkommenden
Wort hemera (s. d.) die Oberhand gewonnen
(vgl. Gl. 2,688,36: germarrun ł hemerun;
ähnlich 3,299,15). Fraglich ist nur, ob die
zugrundeliegenden Formen gerwe (gerbe)
und germ schon im 11. Jh. vorhanden waren;
deshalb muß diese Etymologie als sehr unsi-
cher gelten.