gerstîAWB f. īn-St., nur Gl. 2,321,10
(10. Jh.): ‚Groll, Garstigkeit; rancor‘. Das
Wort ist ein īn-Abstraktum zu einem im
Ahd. nicht belegten Adj. *garst(i); vgl. mhd.
garst adj. ‚ranzig, verdorben schmeckend
oder riechend‘, st. m. ‚ranziger, stinkender
Geschmack oder Geruch‘, frühnhd. garst adj.
(seit dem 15. Jh. durch garstig ersetzt), garst
m. ‚Geruch von verdorbenem Fleisch, Gar-
stigkeit, Groll‘.
Ahd. Wb. 4, 234; Splett, Ahd. Wb. 1, 289; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 367; Schützeichel⁶ 133; Starck-Wells
198; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 444; Graff 4,
265; Lexer 1, 739; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 552 (ran-
cor); Dt. Wb. 4, 1374 f.; Kluge²¹ 233 (garstig); Klu-
ge²⁴ s. v. garstig; Pfeifer, Et. Wb.² 399 (garstig).
In den anderen westgerm. Sprachen sind nur
entsprechende Adj. belegt: mndd. garst
(auch garstich, gerstich) ‚ranzig, verdorben,
stinkend‘; mndl. garstisch, gerstich, gerst
‚dss.‘, nndl. garstig. Im Aisl. kommt ein sw.
Verb gersta ‚ärgern, quälen, reizen‘ und ein
Part.-Adj. gerstr ‚unbehaglich, trübe [Wetter,
Tag], mürrisch, gereizt [Person]‘ vor. Die
Sippe ist im Engl. nicht belegt.
Fick 3 (Germ.)⁴ 130; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 233; Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2,
1, 21; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 14; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 2, 925 f.; Franck, Et. wb. d. ndl.
taal² 176; Vries, Ndls. et. wb. 185; Et. wb. Ndl. F-Ka
174; Vries, Anord. et. Wb.² 165; Jóhannesson, Isl. et.
Wb. 365; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 83. —
Zupitza 1896: 171 f.
Germ. *arst- ist anscheinend ein altes Ver-
baladj. auf -t (vgl. Heidermanns, a. a. O. und
Wilmanns [1906—30] 1967: 2, § 336) zu ei-
ner idg. Wz. *ghers- : *ghors- : *ghs- etwa
‚drohen, ärgern, quälen, mit Abscheu erfül-
len‘ (anders Pokorny 445: ‚Widerwille, Ab-
scheu, Ekel‘). Zu dieser Wz. gehört wohl
arm. garšim ‚habe Abscheu vor‘ (< *ghs-)
und zu einer Variante *ghres- : *ghros- gehö-
ren lit. grasùs ‚Überdruß erregend, unaus-
stehlich, widerwärtig, unfreundlich [auch
vom Wetter]‘, grastìs ‚Androhung, strenges
Verbot‘, grìsti ‚überdrüssig werden‘, grsti,
grasìnti, grasýti ‚drohen, abschrecken‘ usw.;
lett. grasât, grasît ‚drohen‘; toch. AB krās-
‚ärgern, quälen‘. Alles Weitere ist höchst un-
sicher.
Air. goirt ‚bitter‘, wenn aus *ghorsti-, würde germ.
*arst- genau entsprechen, aber gewöhnlich wird das
Wort auf *gu̯horti- zurückgeführt, mit aksl. goŕьkъ-
‚scharf, bitter‘ verbunden und zur idg. Wz. *gu̯her-
‚heiß, warm, (brennend vom Geschmack)‘ gestellt
(vgl. slowen. gorǝk ‚warm, bitter‘, atschech. hořký
‚bitter‘, aber ntschech. horký ‚warm‘; Pokorny 495;
Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. z. d. aksl. Texten 30.
238 [Nr. 242]). Pokorny stellt die germ. Wörter nicht
nur zu *ghers- (S. 445), sondern auch zu *gu̯hers- (S.
495)!, was semantisch sehr fraglich und lautlich,
wenn man das „Seeboldsche Gesetz“ (vgl. E. Seebold,
ZVSp 81 [1967], 104 ff.) gelten läßt, unmöglich wäre.
Man hat auch versucht, sowohl air. goirt als auch
aksl. goŕьkъ- von *gu̯her- zu trennen und zusammen
mit den germ. Wörtern und sogar lat. rancidus
‚ranzig, stinkend, ekelhaft‘ zu einer Wz. *gher- zu
stellen (H. Reichelt, Glotta 6 [1915], 70 f.; vgl. auch
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 416 f.). Aksl. goŕьkъ-
ist jedoch kaum von aksl. gorěti ‚brennen‘ zu trennen
(vgl. auch die oben angeführten slowen. und tschech.
Wörter, die auch ‚warm‘ bedeuten); deshalb ist auch
air. goirt wohl mit air. for-geir ‚erwärmt, erhitzt‘, mir.
gorim, guirim ‚erhitze, erwärme‘ (→ gor) zu verknüp-
fen.
Problematisch ist auch der Vergleich mit lat. horreō
‚rauh sein, starren, schaudern, sich entsetzen‘ und ai.
hárṣate, hṣyati ‚wird starr, ist erregt, freut sich‘ (vgl.
Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 439). Erstens weichen
die Bedeutungen voneinander ab und zweitens wer-
den diese Wörter gewöhnlich zur Wz. *ĝher- ‚starren‘
mit palatalem Anlaut gestellt (Pokorny 445 f.). Den-
noch deuten verwandte Formen im gveda wie ghṣu-
‚erregt‘ auf einen velaren Anlaut in den ai. Wörtern
(vgl. Mayrhofer, Et. Wb. d. Altindoar. 1, 517); da jav.
zarǝšiiamna- ‚erregt, aufsträubend‘ dagegen einen pa-
latalen Anlaut hat, sind nach Mayrhofer, Et. Wb. d.
Altindoar. 2, 807 f. in den ai. Wörtern zwei Wurzeln
zusammengefallen, d. h. idg. *ĝhers- und *ghers- (vgl.
auch W. P. Schmid, FS Untermann 1993: 381 Anm.
25). Es wäre also theoretisch möglich, die ai. und lat.
Wörter zusammen mit der Sippe von idg. *ghers- :
*ghres- und viell. auch die von idg. *gher- ‚hervor-
stechen‘ (→ grana, grât, grazlîcho, grezzenach) zu
einer idg. Wz. *gher(s)- ‚rauh, stachelig sein, hervor-
stechen‘ zu stellen, die einerseits die Bedeutung ‚rauh
behandeln, widerlich, anstößig sein‘ (> ‚drohen, är-
gern, quälen, mit Abscheu erfüllen‘; s. o.), anderer-
seits die Bed. ‚sich sträuben, erregt sein‘ entwickelte.
Dagegen läßt sich aber einwenden, daß eine zweite
Wz. *ĝhers- mit palatalem Anlaut und ähnlicher Bed.
angesetzt werden müßte, zu der jav. zarǝšiiamna-
(s. o.), arm. jar ‚Mähne des Pferdes‘, alb. derr
‚Schwein‘ (‚Borstentier‘), derk ‚Ferkel‘ und wohl auch
gr. χήρ ‚Igel‘, χοῖρος m. f. ‚Ferkel‘, lat. ēr m. (< *hēr)
‚Igel‘ gehören.
Wohl fernzuhalten ist lat. fastīdium ‚Ekel, Widerwille,
Überdruß‘, denn „dialektisches f- für h- ist ganz ohne
Anhalt“ (Walde-Hofmann, a. a. O. 1, 461).
Walde-Pokorny 1, 610 f. 688 ff.; Pokorny 445. 493 f.;
Bartholomae, Airan. Wb.² 1684; Walde-Hofmann,
Lat. et. Wb. 1, 413 (ēr). 460 f. (fastīdium). 659
(horreō); 2, 416 f. (ranceō); Ernout-Meillet, Dict. ét.
lat.⁴ 200 ([h]ēr). 299 f. (horreō); Meyer, Et. Wb. d.
alb. Spr. 64; Demiraj, Alb. Et. 131 f.; Hübschmann,
Arm. Gr. 432; Solta 1960: 371 f.; H. Petersson, ZVSp
47 (1915—16), 258; Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. z.
d. aksl. Texten 30. 238 (Nr. 242); Fraenkel, Lit. et.
Wb. 166 f. (s. v. grsti 1.); Mühlenbach-Endzelin,
Lett.-dt. Wb. 1, 638; Dict. of Irish G-131; Pedersen
[1909—13] 1976: 1, 33; Windekens, Le tokharien 1,
234; Adams, Dict. of Toch. B 215. — J. Loewenthal,
PBB 54 (1930), 318 (verfehlt).