*gibâht(i)
Volume IV, Column 205
Symbol XML file TEI Symbol PDF file PDF Citation symbol Citation

*gibâht(i) n. a- oder ja-St. (oder
*gibâht adj.?), nur Gl. 1,245,14 (Kb) kipah
ploatu : corruptu sanguine. Der Text ist ver-
derbt; gewöhnlich wird aufgrund der mhd.
und nhd. mdartl. Parallelen (s. u.) ein Subst.
*gibâht(i) Unrat, Jauche konjiziert und
curruptu sanguine als eine fehlerhafte Wie-
dergabe von corruptionem sanguinis be-
trachtet (vgl. Splett 1976: 359 f.: Abba-
Glosse Saniem : corruptionem sanguinis).
Möglich wäre auch eine Lesung corruptum
sanguinem (mit Wegfall eines Längestrichs
über dem e), aber ein Adj. *gibâht wäre ein
Hapaxlegomenon im Deutschen.

Im Mhd. kommt ein Simplex bâht (bair.
auch bôht) st. n. Unrat, Mist, Kehricht, Kot,
Pfütze
vor; auch in den nhd. Mdaa. ist das
Wort vielfach belegt, obgleich es in die
Hochsprache der Gegenwart niemals Ein-
gang gefunden hat:

Schweiz. Id. 4, 1008 f.: bāht n. Pfütze, Pfuhl, Keh-
richt
, gibāht Kehricht, unbedeutende Sachen; Jutz,
Vorarlberg. Wb. 1, 213: baht n. [bōxt, heute gewöhn-
lich bxt] Pfütze, Pfuhl (veraltet), Kehricht; Schmel-
ler, Bayer. Wb.² 1, 201: bocht n. Kehricht, Schmutz,
Kot
; Kranzmayer, Wb. d. bair. Mdaa. in Österr. 2,
44 f.: pâcht n. [meist pōxt] Kehricht, Unrat,
Schmutz
, gepâcht [gepōxt] Unrat; Lexer, Kärnt.
Wb. 13: pacht n. Unrat, Mist, Kehricht; Schatz, Wb.
d. tirol. Mdaa. 41: pcht n. Unrat, Kehricht; Unger-
Khull, Steir. Wortschatz 97: bocht, bochtlet n. Unrat,
Kehricht, Mist
; Müller, Rhein. Wb. 1, 358 ff.: bacht,
bocht ein ungeordnetes, gehäuftes Gemisch von Keh-
richt, Unkraut usw., durchwühltes Lager der Tiere,
schlechtes Volk usw.
, gebächt Holzgeröll, Durchei-
nander von Stroh, Unkraut, Reisig u. dgl.
; Maurer-
Mulch, Südhess. Wb. 1, 524: bacht m. [bōxd] Unord-
nung im Zimmer, zerknülltes Stroh usw.
; Vilmar, Id.
von Kurhessen 46: bôcht m. n. unreinliche Nässe;
Frings-Große, Wb. d. obersächs. Mdaa. 1, 147; 2,
28 f.: bächte f. n. Getreidereste auf dem Felde, ge-
bächte n. Getreidereste, Abfall, Kehricht; Mitzka,
Schles. Wb. 1, 140: bocht, bacht, pocht f. n. das Un-
terste von Düngerstroh, Strohabfall, vom Regen zu-
sammengeschlagenes Getreide usw.
.

Ahd. Wb. 1, 781; Splett, Ahd. Wb. 1, 38; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 372; Schützeichel⁶ 42; Starck-Wells 201;
Schützeichel, Glossenwortschatz 1, 248; Graff 3, 29;
Lexer 1, 113; 3, Nachtr. 39; Benecke 1, 78 f. (bâht ir-
rigerweise s. v. baehen); Dt. Wb. 2, 201 (Bocht).

Das Wort ist außerhalb des Deutschen unbe-
kannt und hat bisher keine befriedigende
Etymologie. Der verlockende Vergleich mit
got. usbaugjan ausfegen, der schon von
Diefenbach 184651: 2, 750 erwogen wurde,
ist aus lautlichen Gründen nicht möglich
(vgl. Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 529). Der
Versuch, den Vokalismus der nhd. mdartl.
Formen wie bōcht als ursprünglich (< germ.
*au) zu betrachten und das stammhafte â als
hyperkorrekt zu bezeichnen (so O. Sprin-
ger in einem unveröffentlichten Entwurf),
wäre für das Mhd. möglich, da mhd. â land-
schaftlich oft zu ô wurde (vgl. Paul 2007: §
L 37), aber im 8. Jh. war dieser Wandel noch
nicht bekannt. Das â der ahd. und mhd. Be-
lege muß also ursprünglich sein.

Auf eine mögliche Etymologie deuten son-
stige Glossierungen von lat. corrumpere,
corruptus und corruptio hin: in der B steht
corrupti sunt : zeprohhan sint; im andfrk. Gl.
Lips corruptionem : brocnussi. Auch in spä-
teren Glossen wird corrumpere durch czu
brechen, zuo bregen, corruptus durch zubro-
chen, corruptio durch zubrechunge wieder-
gegeben (vgl. Diefenbach, Gl. lat.-germ.
153). Die lat. Wörter wurden also wörtlich
übersetzt.

Eine andere idg. Wz. mit der Bedeutung
zerbrechen ist *bheg-, *bheng- (Pokorny
114 f.); vgl. ai. bhanákti (zer-)bricht. Ohne
Nasalierung kommt diese Wz. wohl in ahd.
bah Bach (s. d.) vor; früher hat man die na-
salierte Form in ahd. banc Bank zu finden
geglaubt (vgl. z. B. Fick 3 [Germ.]⁴ 259),
aber das Wort gehört eher zur Wz. *bheg-
biegen, wölben ( banc). Zu dieser Wz. ist
kein germ. Verb belegt vielleicht wurde es
durch das synonyme Verb *rekan- früh
verdrängt aber im benachbarten Air.
kommt ein Verb vor: bong- brechen, ernten
(boingidh bricht), mit Präfix com-
zerbrechen (comboing confringet); vgl.
Vendryes, Lex. ét. de l’irl. anc. B-70 ff. Die-
sem Verb entspräche fast genau germ. *a-
ank-(jan-) zerbrechen. Ahd. *gibâht(i)
könnte eine Substantivbildung auf -t < *a-
anχt()a- oder ein adj. Part.Prät. < *a-
anχta- sein. Die spätere Bed.entwicklung
entspräche gewissermaßen der von lat. cor-
rumpere: von zerbrechen zu verderben,
faulen
; mhd. bâht usw. setzen dann eine
ursprüngliche Bedeutung Fäulnis voraus.

Information

Volume IV, Column 205

Show print version
Citation symbol Citation
Symbol XML file Download (TEI)
Symbol PDF file Download (PDF)

Lemma:
Referenced in: