gilsiAWB n. ja-St., bei NCat und in Gl.
3,438,21 (12. Jh., bair.): ‚vorderer Teil des
Kopfes, Vorderhaupt, Hirnschale; sinciput
(anterior pars capitis), cerebrum‘ 〈Var.:
gílse〉. Nur der Nom.Sg. ist überliefert, das
n. Genus wird wohl wegen ähnlich gebilde-
tem hirni n. ‚Gehirn‘ (eigtl. ‚das im Kopf
Befindliche‘) angenommen. Doch ist dies
unsicher (s. u.).
Ahd. hirni- ‚das im Kopf befindliche‘ ist eine Zuge-
hörigkeitsbildung mit Suffix *-i̯a- zu einem n-St., der
in aisl. hjarsi m. ‚Scheitel‘ (< urgerm. *χersan-; vgl.
ai. śīrṣán- ‚Kopf, Haupt‘ < *h₂snó- fortgesetzt ist;
Krahe-Meid 1969: 3, § 74, 4).
Ahd. Wb. 4, 260; Splett, Ahd. Wb. 1, 1217; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 413; Schützeichel⁶ 134; Starck-Wells
211; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 454; Graff 4,
197; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 99 (cerebrum). 613
(sinciput). — Riecke 2004: 2, 84.
Geht man, wie allgemein angenommen, für
gilsi von einem n. ja-St. aus, setzt das nur im
Ahd. belegte Wort westgerm. *gilsii̯a- fort.
Doch könnte das nur in der Schreibung gilse
belegte Wort mit dem Suffix *-sō- gebildet
sein und wie ahd. hahsa ‚Haxe‘ ein f. Kon -
kretum westgerm. *gilsō- fortsetzen. Anstelle
von gilsi wäre dann ein Lemma gilsa anzu-
setzen. Gegen diese Annahme ist aber ein-
zuwenden, daß es sich bei Bildungen mit
dem *-sa/sō-Suffix meist um Erbwörter han-
delt (so entspricht. ahd. hahsa lat. coxa f.
‚Hüfte‘, f. air. coss ‚Bein‘, ai. kákṣa- m.
‚Achselhöhle‘ < uridg. *kok̂so-/seh₂-; Krahe-
Meid 1969: 3, § 113, 1).
Vielleicht handelt es sich bei gilse aber um
gar kein Simplex, sondern um eine alte Kol-
lektivbildung westgerm. *gi-lisi̯a-, eigtl.
‚Gefurchtes, Gefaltetes‘ (zu ahd. lesa f. n-St.
‚Spur, Furche, Falte‘) mit Verlust des Wz.-
Vokals wegen der ursprünglichen Betonung
des Nominalpräfixes (vgl. bígiht ‚Beichte‘,
bíderbi ‚bieder‘; Krahe-Meid 1969: 3, § 51).
Dafür spricht auf alle Fälle der Akzent in
gílse, da er sowohl bei Notker als auch in der
Glosse graphisch wiedergegeben ist. Eine
andere Ableitung von *les- mit dem Instru-
mentensuffix *-tro/tlo- ist in air. lestir, kymr.
llestr ‚Gefäß‘ (< *lestro-) und vielleicht
umbr. veskla ‚(kultisches) Gefäß‘ < *les-tlo-
(R. Thurneysen, IF 21 [1907], 175; E. Cam-
panile, SSL 7 [1967], 139; anders z. B.
Poultney 1959: 331: *u̯esklo-) fortgesetzt.
Fick 3 (Germ.)⁴ 364; Seebold, Germ. st. Verben
332 f.; Pokorny 671; LIV² 409; Untermann, Wb. d.
Osk.-Umbr. 846 f.; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 2,
736; Fick 2 (Kelt.)⁴ 250; Hessens Ir. Lex. 65; Dict. of
Irish L-120; Dict. of Welsh 2, 2159; Falileyev 2000:
102.