gimmaAWB f. ō(n)-St., seit dem 8. Jh., im
Abr und anderen Gl., bei O und NBo, NCat:
‚Knospe, junger Trieb, Edelstein, Juwel;
gemma, bac(c)a, lapillus (viridis)‘ 〈Var.: k-,
gymm-〉. Das Wort ist aus lat. gemma f.
‚Knospe, Edelstein, Juwel‘ entlehnt. Lat. e
wurde vor der Nasalverbindung zu i gehoben
(vgl. ahd. minza ‚menta‘, zins ‚census‘;
Braune-Reiffenstein 2004: § 30b). Die
Graphie 〈y〉 in Gl. 1,622,21 (9. oder 10. Jh.,
frk.) weist wohl auf eine labialisierte
Aussprache des /i/ als [ü], die besonders in
der Nachbarschaft von Nasal oder Liquid
vorkommt (Franck [1909] 1971: 12). In
gummi (Gl. 4,68,10: Ink., 15. Jh.) ist i zu u
verdumpft, eine Erscheinung, die für das
Md. charakteristisch ist (vgl. md. fusche für
fische, zwuschen statt zwischen; Paul 2007: §
L 32; Weinhold [1883] 1967: § 50). — Mhd.
gimme, ndrhein. gemme ‚Edelstein, Juwel‘.
Daneben tritt zunächst unverbundenes
heimisches edel stein, edel gesteine (z. B.
Nib 712,3 édel gesteine, 282,1 edel stein),
das sich im 14. Jh. zu einem festen Deter-
minativkomp. entwickelt und das lat. Lehn-
wort verdrängt. Für das Mhd. ist die Be-
deutung ‚Knospe, junger Trieb‘ schriftlich
nicht überliefert, doch muß sie mündlich
weiter existiert haben, wie frühnhd. gim, ält.
nhd. gimme ‚Propfreis‘, nhd. mdartl. els.
‚Auge beim Propfen, Hauptast (von dem
andere Äste abzweigen)‘, rhein. ‚Frucht-
knospe, bes. an der Rebe, Keimschößling,
junger Trieb, Edelreis‘ (vgl. auch das
Diminutiv gimmelchen n. ‚Korinthen-
brötchen‘ oder die Determinativkomp. gim-
menfresser, -stößer ‚Laufkäfer, der angeblich
die jungen Triebe an Weinstöcken abfrißt‘),
siebenbürg.-sächs. ‚Rebentrieb im Frühjahr‘,
nordsiebenbürg.-sächs. ‚Trieb, Auge an
Pflanzen (vor allem Reben)‘ (davon
abgeleitetes adj. gimmig ‚knospenreich [von
der Rebe]‘) nahelegen. Erst Mitte des
18. Jh.s wird das gleichfalls aus dem Lat.
stammende italien. gemma als nhd. Gemme
‚(Halb-)Edelstein mit geschnittener bild-
licher Darstellung‘ neu entlehnt. Auslöser für
die Übernahme des fachsprachlichen Wortes
war das Interesse an Sammlungen antiker
Edelsteingravierungen (vgl. Lessing, Briefe
10, 307 [1768]).
Ahd. Wb. 4, 260 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 305; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 421; Schützeichel⁶ 134; Starck-Wells
214; Schützeichel, Glossenwortschatz 3, 454; Berg-
mann-Stricker, Katalog Nr. 984; Seebold, ChWdW8
145; Graff 4, 198; Lexer 1, 1016 f.; 3, Nachtr. 212;
Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 69 (bac[c]a). 286 (gemma).
367 (lapillus [viridis]); Dt. Wb. 7, 7510; Kluge²¹ 247;
Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 421; Schulz-Basler
1913—83 : 1, 240. — Heyne, 1899—1908: 3, 351; RGA²
11, 11 ff.; Jeep 1987: 47. — Martin-Lienhart, Wb. d.
els. Mdaa. 1, 218 f.; Müller, Rhein. Wb. 2, 1233;
Rhein. Wb. 9, 1252 (Nachträge); Siebenbürg.-sächs.
Wb. 3, 243; Nordsiebenbürg.-sächs. Wb. 2, 1257 f.
Lat. gemma ‚Edelstein, Juwel‘ wurde in wei-
tere germ. Sprachen entlehnt: mndd. gimme
‚Edelstein, Juwel, Glanz, Gefunkel‘, mndl.
gemme, gimme ‚Edelstein, Juwel‘ und ae.
gim(m) m. ‚Gemme, Edelstein, Juwel‘, meta-
phorisch ‚Sonne, Stern‘ (vgl. isl. fagr-gim
‚Sonne‘). Im Me. wurde das Wort in der
gleichen Bedeutung unter dem Einfluß von
afrz. gemme, geme neu entlehnt: me. gemme,
ne. gem. Vom Engl. gelangte das Lehnwort
ins Nordgerm.: aisl. gimr m. ‚Edelstein‘ (nur
poet.), wesentlich häufiger sind aisl. gim-
stein, nisl. gimsteinn, fär. gimsteinur,
aschwed. gimstēn, adän. gemstēn, die aus ae.
gimstān ‚Edelstein‘ übernommen sind (Fi-
scher 1909: 189. 47), ndän. gemme ‚(Halb-)
Edelstein‘, nschwed. gem ‚ds.‘.
Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 115; Verwijs-
Verdam, Mndl. wb. 2, 1362 f.; Holthausen, Ae. et. Wb.
126. 131; Bosworth-Toller, AS Dict. 418. 477; Suppl.
467; Suppl. 2, 37; ME Dict. s. v.; OED² s. v. gem n.;
Vries, Anord. et. Wb.² 167; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
240. 1012; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 1,
597; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 85; Ordb. o.
d. danske sprog 6, 762; Svenska akad. ordb. s. v.
Außerhalb des Germ. wurde lat. gemma ins
Kelt. übernommen: air. gemm ‚Gemme,
Edelstein‘, kymr. gem ‚Gemme, Juwel, Per-
le‘.
Lat. gemma ist im Roman. in der urspr. Be-
deutung ‚Knospe, Auge‘ als auch in der
übertragenen ‚Edelstein‘ (wegen der rundli-
chen Form geschnittener Steine) fortgesetzt:
piem. gemma, katal., port. gema, span. yema
‚Knospe, Auge‘ (span. auch ‚Eigelb‘). Afrz.,
mfrz. jamme (12.—15. Jh.), nfrz. gemme be-
deuten sowohl ‚Sprosse‘ (nfrz. nur dialektal)
als auch ‚Edelstein‘. Italien. gemma, die Ent-
lehnungsbasis für nhd. Gemme (s. o.), kommt
nur in der Bedeutung ‚Edelstein, Juwel‘ vor.
Lat. gemma (wohl < uridg. *ĝembh-mah₂-)
ist von der Wz. uridg. *ĝembh- ‚schnappen,
beißen, zerbeißen‘ (vgl. z. B. aksl. zętǫ [zęti]
‚zerreiße‘ < *ĝémbh-e-, ved. Kaus. jam-
bháyati ‚macht starr‘ < *ĝombh-éi̯e-) abgelei-
tet, die sich im Lat. zu ‚aufbrechen, knospen‘
entwickelte.
Walde-Pokorny 1, 575 f.; Pokorny 369; LIV² 162 f.;
Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1, 587 f.; Ernout-
Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 269; Thes. ling. lat. 6, 2,
1753 ff.; Du Cange² 4, 51; Körting, Lat.-rom. Wb.³
Nr. 4208; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 3725;
Wartburg, Frz. et. Wb. 4, 94 f.; Gamillscheg 1979:
474; Dict. of Irish G-65; Dict. of Welsh 2, 1391. — P.-
A. Mumm, FS Seebold 1999: 295—312 (zu einzel-
sprachlichen Bedeutungen der Wz. uridg. *ĝembh-
‚schnappen, beißen‘, 295 Anm. 1. 308 nur kurze Er-
wähnung von lat. gemma).