ginah
Band VI, Spalte 752
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ginah prät.-präs. (3.sg.), Gl. 1,291,10
(in 2 Hss., beide Anfang des 9. Jh.s, alem.
[-frk.] und alem.) und in MF: ‚es genügt, es
reicht; sufficit‘, ginah inan (mit Akk. perso-
nae) ‚hat im Überfluss; abundavitVar.: ki-,
ga-.

Ahd. Wb. 6, 994; Splett, Ahd. Wb. 1, 653; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 423; Schützeichel⁷ 232; Starck-Wells 430;
Schützeichel, Glossenwortschatz 7, 11; Bergmann-Stri-
cker, Katalog Nr. 296 (II). 725 (I); Seebold, ChWdW9
608; Graff 2, 1005; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 5 (s. v.
abundare); Dt. Wb. 5, 346 f. (s. v. genug); Kluge²¹ 249
(s. v. genug); Kluge²⁵ s. v. genug; Pfeifer, Et. Wb.² 426 f.
(s. v. genug). – Braune-Reiffenstein 2004: § 374.

Das Prät.-Präs. hat nur im Ae. und Got. Entspre-
chungen: ae. benugan st.v. II ‚brauchen, wol-
len, begehren, genießen‘, genugan st.v. II ‚ge-
nügen, ausreichen‘; got. binah prät.-präs. (3.sg.
präs.), binauht (3.sg.prät.) ‚es ist erlaubt‘, ga-
nah prät.-präs. (3.sg.präs.) ‚es genügt‘ < ur-
germ. *naχ-/*nuǥ- (mit einzelsprachlicher Prä-
figierung und Umgestaltung der eigentlich zu
erwartenden Schwundstufe *ung- zu *nuǥ- [vgl.
Schaffner 2001: 294 Fn. 138]). Die germ. Ver-
ben zeigen den typischen Übergang des als Prä-
sens umgedeuteten ererbten Perfekts zu den st.
Verben.
Das Bedeutungsspektrum von ‚genügen‘ zu
‚wollen, begehren‘ der verbalen einzelsprach-
lichen Bildungen zu urgerm. *nuǥ- geht aus
einer Grundbed. ‚erreichen‘ hervor, wobei der
Bedeutungswandel mit gr. ἐξικνέομαι ‚erreiche,
komme an‘ neben ‚reiche aus, genüge‘ einer-
seits und mit lat. appetō ‚strebe hin, gehe hin‘
neben ‚begehre‘ andererseits vergleichbar ist.

Fick 3 (Germ.)⁴ 289; Kroonen, Et. dict. of Pgm. 392 f.;
Seebold, Germ. st. Verben 355 f.; Holthausen, Ae. et.
Wb. 239; Bosworth-Toller, AS Dict. 84; Suppl. 377. 423;
Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 92. 194; Lehmann, Gothic Et.
Dict. B-61. – Birkmann 1987: 112. 152.

Die urgerm. Verben setzen das Perf. uridg.
*h₂e-h₂no-/*h₂e-h₂- als Prät.-Präs. fort. Die
diesem Perf. zugrunde liegende Verbalwz. ur-
idg. *h₂ne- ‚erreichen‘ hat in ai. naś- ‚errei-
chen, erlangen, einholen‘, jav., gav. nas- ‚er-
langen, erreichen‘ und arm. hasane- (< *h₂-,
mit unetymologischem h [vgl. Klingenschmitt
1982: 212]) Entsprechungen.

In lautlicher Hinsicht wäre auch eine Verbindung mit
der Wurzel uridg. *h₁ne- ‚erhalten, nehmen‘ für ur-
germ. *naχ-/*nuǥ- denkbar. Jedoch bleibt die dann
anzunehmende semantische Entwicklung von ‚erhal-
ten haben, genommen haben‘ zu ‚genügen, wollen, be-
gehren‘ ohne einzelsprachliche Parallelen.

Da die primäre Bedeutung von lat. nanciō und
seiner deverbalen Ableitung nancīscor ‚er-
lange, bekomme, treffe an, finde‘ ist und nur
gelegentlich die Bed. ‚erreiche‘ bezeugt ist (mit
semantischer Entwicklung ‚einen Ort ergreifen‘
> ‚einen Ort erreichen‘ wie bei lat. capiō ‚er-
greife, erfasse, erlange, erreiche‘), dürfte das
lat. Verb die Wurzel *h₁ne- ‚erhalten, neh-
men‘ fortsetzen. Dabei wäre mit Klingen-
schmitt 1982: 212 zunächst von dem schwund-
stufigen Stamm des n-Infixpräs. *h₁n- aus-
zugehen, bei dem aufgrund der erst vor-
einzelsprachlichen Bildung nicht der Nasal
syllabifiziert wurde, sondern sich vielmehr ein
Schwa zwischen den beiden Nasalen entwickelt
hat: vorurit. *h₁nən- > urit. *nanc-. Wegen des
sonst nur bei primären -e/o-Verben belegten
Nebeneinanders von -iscō- und --Ableitung
(J. L. García Ramón, FS Forssman 1999: 64)
muss die -e/o-Bildung bereits vorurit. Alters
sein. Die von García Ramón, a. a. O. 64 und
zuletzt von de Vaan, Et. dict. of Lat. 399 f.
angenommene Verbindung mit der Wz. uridg.
*h₂ne- ‚erreichen‘ ist wegen des Fehlens ein-
deutiger semantischer Parallelen für eine Ent-
wicklung ‚erreichen‘ > ‚erhalten, erlangen‘ un-
wahrscheinlich, wenn auch eine Kontamina-
tion beider Wz. im Lat. nicht ausgeschlossen
werden kann.

Entgegen J. L. García Ramón, FS Forssman 1999: 70 f.
gehört das KHG gr. -ηνεκής nicht zu der Wurzel ur-
idg. *h₂ne- ‚erreichen‘: Das Kompositum gr. ion., att.
διηνεκής neben att. διανεκής ‚durchgehend, ununter-
brochen‘ ist als einziges auch außerhalb des Ion. be-
zeugt und ermöglicht so eine Rückführung von auf
urgr. *ē. Das bestätigt v. a. die Mehrfachbezeugung
von διηνεκής im Att. neben nur zwei Belegen von
att. διανεκής, da im Att. wegen der ειρ-Regel (nach ε,
ι oder ρ erscheint urgr. *ā nicht als ē) häufiger διανε-
κής als διηνεκής zu erwarten gewesen wäre. Setzt das η
in gr. διηνεκής aber ein urgr. *ē voraus, könnten die
vereinzelten att. Formen von διανεκής entweder auf
analogischem Einfluss der Präp. διά oder auf einem
künstlichen Attizismus (Schwyzer, Gr. Gramm.² 190)
beruhen. Ersteres findet eine Parallele in gr. διακόυω
‚ganz und gar anhören‘. So schließt sich gr. -ηνεκής an
die Wurzel uridg. *h₁ne- ‚erhalten, nehmen‘ an, die
im Gr. als Suppletivstamm zu dem Verb gr. φέρω
‚trage, bringe‘ ebenfalls die Bedeutung ‚tragen, brin-
gen‘ angenommen hat und daneben außerdem ‚sich
erstrecken, ausdehnen‘ bedeutet. Die sekundäre Be-
deutung ‚sich erstrecken, sich ausdehnen‘ liegt den
Komposita wie gr. ποδ-ηνεκής ‚bis zu den Füßen
reichend‘ zugrunde. Da die Wz. uridg. *h₁ne- im
Gr. nur in der reduplizierten Form ενεγκ- vorkommt,
ist bei der Bildung des HG gr. -ηνεκής von einer ur-
gr. Bildung auszugehen. Die Dehnung des ersten ε
könnte entweder durch die übliche Dehnung des
Kompositionsletztgliedes oder einer rhythmischen Deh-
nung des Typs σοφώτατος ‚der Weiseste‘ entstanden
sein (vgl. G. Bonfante, RFIC 97 [1969], 189).
LIV² 282 f. setzt wegen der Bedeutung ‚reichen bis‘
für lit. nèšti ‚tragen, bringen, reichen bis‘ zwei Verben
an, nämlich nèšti ‚tragen, bringen‘ aus uridg. *h₁ne-
und nèšti ‚reichen bis‘ aus uridg. *h₂ne-. Die Zuord-
nung zu zwei unterschiedlichen Wurzeln ist jedoch
nicht notwendig: Die Bedeutung ‚reichen bis‘ ist bei
Verben der Bedeutungsgruppe ‚tragen, bringen‘ ver-
breitet, wie beispielsweise gr. φέρω neben ‚trage, brin-
ge‘ auch ‚reiche bis, erstrecke mich‘ bedeutet. Da so-
wohl die slaw. Sprachen als auch das Lett. keinen
Hinweis auf die Wz. uridg. *h₂ne- zeigen, dafür aber
eindeutig auf die Wz. *h₁ne- (~ lett. nest ‚tragen, brin-
gen‘, aksl. nesti ‚tragen‘), ist mit Derksen, Et. dict. of
Balt. 334 auch das lit. Verb ausschließlich auf uridg.
*h₁ne- zurückzuführen.

Auf eine Vorform uridg. *h₂ne-h₂non- wei-
sen sowohl ai. ā-náśa ‚hat erreicht‘ als
auch air. -ánaic ‚dss.‘, die auf einer Ver-
schleppung des Nasals aus dem Präsens in
das Perfekt basiert (LIV² 283 Fn. 11; K.
McCone, FS Watkins 1998: 471). Daneben ist
in air. -icc ‚erreichen‘ und mkymr. r-yng- noch
das reduplizierte Präs. uridg. *h₂i-h₂n- be-
wahrt.

Walde-Pokorny 1, 128 ff.; Pokorny 316 ff.; LIV² 282 f.;
Mayrhofer, KEWA 2, 145; ders., EWAia 2, 27 f.; Bar-
tholomae, Airan. Wb.² 1055 f. 1067; Cheung, Et. dict. of
Iran. verb 183; Frisk, Gr. et. Wb. 1, 391; Chantraine,
Dict. ét. gr.² 270; Beekes, Et. dict. of Gr. 1, 333; Wal-
de-Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 141; Ernout-Meillet, Dict.
ét. lat.⁴ 428 f.; de Vaan, Et. dict. of Lat. 399 f.; Thes.
ling. lat. 9, 1, 38 ff.; Hübschmann, Arm. Gr. 464; Derk-
sen, Et. dict. of Balt. 334; Fraenkel, Lit. et. Wb. 1, 497;
ALEW 2, 668 f.; Matasović, Et. dict. of Proto-Celt. 36 f.;
Schumacher, Kelt. Primärverb. 201 ff.; Hessens Ir. Lex.
2, 7; Kavanagh-Wodtko, Lex. OIr. Gl. 519 f.; Dict. of
Irish I-44; Dict. of Welsh 3, 3139.

S. ginuht, ginuog.

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