grâoAWB adj. wa-St., seit dem 8. Jh. in
zahlreichen Gl. und bei N: ‚(weiß-/asch-
/blau-/gelb-)grau, (übertr.) trüb, verschleiert;
albicans, anilis, canus, glaucus, griseus, ve-
netus‘ 〈Var.: c-〉. Der wa-St. zeigt sich am
-w- vor Vokal innerhalb der Flexion (etwa
gen.sg. grâwes). Seit der Mitte des 9. Jh.s
fällt das auslautende -o für w nach Langvo-
kal ab (Braune-Reiffenstein 2004: § 108
Anm. 2). — Mhd. grâ (grâwes) ‚grau, alters-
grau‘, nhd. grau ‚Bezeichnung des Farbtons
zwischen schwarz und weiß‘ (mit Vokalisie-
rung im Frühnhd. des -w-, -aw- zum Di-
phthong -au-).
Ahd. Wb. 4, 404 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 321; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 489; Schützeichel⁶ 139; Starck-Wells 237.
819. 849; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 31 f.;
Graff 4, 297 f.; Lexer 1, 1063; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb.
29 (albicans). 41 (anilis). 87 (canus). 290 (glaucus).
295 (griseus). 699 (venetus); Dt. Wb. 9, 2071 ff.; Klu-
ge²¹ 268; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 471 f. — Schatz
1907: § 89; Schatz 1927: §§ 291. 377; Franck [1909]
1971: § 70; Braune-Reiffenstein 2004: § 254.
Ahd. grâo entsprechen: as. -grē ‚grau‘ (nur
in appulgrē ‚graugefleckt, scheckig [vom
Pferd]‘; nach Holthausen 1921: § 29, 3 mit ē
für ā unter fries. Einfluß; vgl. für weitere
Beispiele Gallée 1993: § 82), mndd. grā(we)
‚grau‘; andfrk. (ON) Grawen-, mndl. grā,
grau, nndl. grauw ‚grau‘; afries. grē, nost-
fries., nwestfries. grau; aisl., nisl. grár, fär.
gráur, nnorw., ndän. graa, aschwed. grā(r),
nschwed. grå ‚grau‘; langob. *grāus (in: et
alium cavallum graum ‚und ein anderes,
graues Pferd‘; als Latinisierung eines langob.
*grāu/grāw), -grā (in FlußN flasgrā ‚flachs-
grau‘); für das Ostgerm. ist das Wort beleg-
bar (gegen Francovich Onesti 2000: 94)
durch die germ.-gr. m. Pferdebenennung γρί-
βας ‚der Graue‘ (< wulfilanisch *grēwa mit
spätostgerm. Übergang von ē > ī; vgl. N.
Wagner, ZVSp 97 [1984], 126): < urgerm.
*rēu̯a- mit dem in Farbadjektiven häufig
vorkommenden Suffix *-u̯a- (→ blâo). Da-
neben steht mit Weiterbildung zum ii̯a-St.
*rēu̯ii̯a-: ae. grǣg, grēg, me. grei(ge), ne.
grey ‚grau‘.
Fick 3 (Germ.)⁴ 142 f.; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 259; Holthausen, As. Wb. 28; Wadstein, Kl.
as. Spr.denkm. 109. 169. 188; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 1, 145 f.; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2,
142; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 2, 2087 (gra). 2110 ff.
(grau); Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 212; Vries, Ndls. et.
wb. 218; Et. wb. Ndl. F-Ka 325 f.; Holthausen, Afries.
Wb.² 35; Richthofen, Afries. Wb. 782; Doornkaat
Koolman, Wb. d. ostfries. Spr. 1, 676; Dijkstra, Friesch
Wb. 1, 471; Holthausen, Ae. et. Wb. 135; Bosworth-
Toller, AS Dict. 486; Suppl. 483 f.; Suppl. 2, 38; ME
Dict. s. v.; OED² s. v.; Vries, Anord. et. Wb.² 185; Bjor-
vand, Våre arveord 322; Jóhannesson, Isl. et. Wb.
358 f.; Fritzner, Ordb. o. d. g. norske sprog 1, 632; Holt-
hausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 94; Falk-Torp, Norw.-
dän. et. Wb. 338 f.; Nielsen, Dansk et. ordb. 165; Ordb.
o. d. danske sprog 6, 1218 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb.
178; Hellquist, Svensk et. ordb.³ 305; Svenska akad.
ordb. s. v.; Bruckner, Spr. d. Langob. 87. 190. 157. 206.
— E. Schwyzer, ZDA 66 (1929), 96 ff.; Krahe-Meid
1969: 3, § 77, 2; Gallée [1903] 1977: 118; Bammesber-
ger 1990: 244; N. Wagner, HS 106 (1993), 316; Fran-
covich Onesti 2000: 94; Lühr 2000: 266.
Urgerm. *rēu̯a- < vorurgerm. *ĝhreh₁u̯o-
hat nur in lat. rāvus ‚grau, graugelb‘ eine Pa-
rallele, die eine schwundstufige Bildung
*ĝhh₁u̯o- voraussetzt. Man kann entweder
von zwei unterschiedlichen, ablautenden
Bildungen oder — wahrscheinlicher — von se-
kundären Thematisierungen eines ansonsten
unbelegten, wohl proterokinetischen u-Adj.
(urspr. nom.sg. *ĝhérh₁-u-s : gen.sg. *ĝhh₁-
éu̯-s; zur proterokinetischen Flexion der u-
Adj. im Idg. vgl. Schaffner 2001: 513 ff.;
vgl. uridg. *ghleh₂dú- : *ghleh₂du̯-és; → glat)
ausgehen. Das Fehlen des zu erwartenden
Anlauts g- im Lat. deutet am ehesten auf ei-
ne Entlehnung aus dem Sabellischen (wie
auch bei den anderen Farbbenennungen
rūfus ‚rot[haarig]‘ und helvus ‚gelb‘). Dann
läge bei der Form grāvastellus ‚Graukopf‘
(Plautus, Epid. 620), wozu bereits als antike
Nebenüberlieferung rāvistellus steht, die
echt-lat. Form vor.
Die Ableitungsbasis des Adj. ist (trotz mor-
phologischer Schwierigkeiten) wohl die
Verbalwurzel uridg. *ĝher- ‚strahlen, schei-
nen, sehen‘, die in aksl. -zьrěti, russ. zret’,
ukrain. zríty ‚blicken, sehen‘, serbo-kroat.
zàzreti ‚erblicken‘, slowen. zréti ‚blicken‘,
tschech. zříti, slowak. zret’, poln. źrzeć
‚schauen‘ (< *ĝhr-éh₁-) und aksl. zьrjǫ ‚sehe,
blicke‘ (< *ĝh-h₁i̯é/ó-) fortgesetzt ist. Ist je-
doch lit. žėriù ‚strahle, scheine‘ mit langem
-e- ursprünglich denominativ, könnte eine
mit den germ. und lat. Formen gemeinsame
Basis *ĝhérh₁-u- vorliegen.
Letztendlich ebenfalls zur Verbalwurzel
uridg. *ĝher- gehört ahd. grîs ‚grau‘ (s. d.).
Schrijver 1991: 301 leitet dagegen lat. rāvus < uridg.
*ĝhrah₂-u̯o- (mit Delabialisierung von *h₃ vor *u̯) aus
*ĝhreh₃-u̯o- her (der Ansatz eines *h₃ kann kaum mit gr.
χαροπός ‚blaugrau [?]‘ begründet werden, da dieses in
seiner Wortbildung unklar ist; eine Vorform *ĝhh₃-ep-
entfällt, denn im Myk. ist ka-ro-qo zugehörig, das auf
*-ku̯- weist). Schrijver muß dabei annehmen, daß der
Laryngal *h₃ in *ĝhreh₃-u̯o- auch zum Germ. hin dela-
bialisiert wurde, jedoch nicht zu *h₂ wie im Lat., son-
dern zu *h₁ (*ĝhreh₁-u̯o-). Diese Annahme läßt sich je-
doch sonst am Material nicht stützen. Noch vorlarynga-
listisch ist die Annahme einer generellen Entwicklung
von uridg. *-ōu̯- > -āv- von O. Szemerényi, KS Szeme-
rényi 1991: 2, 613 f. (vgl. dagegen Schrijver 1991:
300).
Walde-Pokorny 1, 602 f.; Pokorny 441 f.; LIV² 157;
Frisk, Gr. et. Wb. 2, 1062 ff.; Chantraine, Dict. ét. gr.
1248; Walde-Hofmann, Lat. et. Wb. 1, 620; 2, 421 f.;
Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 282. 565; Trautmann,
Balt.-Slav. Wb. 366; Miklosich, Et. Wb. d. slav. Spr.
401 f.; Sadnik-Aitzetmüller, Handwb. zu den aksl. Tex-
ten 336; Vasmer, Russ. et. Wb. 1, 462; Fraenkel, Lit. et.
Wb. 1301. — Schrijver 1991: 298 f.; Sommer-Pfister
1977: 61. 142; Meiser 1998: 103.