grîfanAWB st. v. I (präs. grîfu, prät. greif,
grifum, part.prät. gigrifan), nur N und Gl.
1,45,6 (9. Jh.). 577,72 (12. Jh.): ‚durch den
Tastsinn wahrnehmen, greifen, berühren,
streicheln; palpare‘. — Mhd. grîfen st. v.
‚tasten, fühlen, greifen, Hand an etwas le-
gen‘, nhd. greifen st. v. ‚nehmen, packen,
fassen, fangen‘.
Ahd. Wb. 4, 420; Splett, Ahd. Wb. 1, 322; Köbler, Wb.
d. ahd. Spr. 491; Schützeichel⁶ 140; Starck-Wells
239; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 45; Graff 4,
314; Lexer 1, 1082 f.; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 461
(palpare); Dt. Wb. 9, 14 ff.; Kluge²¹ 269; Kluge²⁴ s. v.;
Pfeifer, Et. Wb.² 473.
Das Wort hat Entsprechungen in allen germ.
Sprachen: as. grīpan ‚greifen, berühren‘,
mndd. grīpen ‚greifen, (er-)fassen, anfassen‘;
mndl. gripen, nndl. grijpen ‚dss.‘; afries.
grīpa ‚dss.‘; ae. grīpan, me. grīpen, ne. gripe
‚greifen, ergreifen, begreifen‘; aisl. grípa,
nnorw., nschwed. gripa, ndän. gribe
‚greifen‘; got. greipan ‚greifen; κρατεῖν,
συλλαβεῖν‘.
Fick 3 (Germ.)⁴ 144; Seebold, Germ. st. Verben
237 ff.; Holthausen, As. Wb. 29; Sehrt, Wb. z. Hel.²
210; Berr, Et. Gl. to Hel. 166; Lasch-Borchling,
Mndd. Handwb. 2, 1, 162 f.; Schiller-Lübben, Mndd.
Wb. 2, 148 f.; Verwijs-Verdam, Mndl. wb. 2, 2146 f.;
Franck, Et. Wb. d. ndl. taal² 215; Suppl. 61; Vries,
Ndls. et. wb. 221; Et. wb. Ndl. F-Ka 334; Holthausen,
Afries. Wb.² 36; Richthofen, Afries. Wb. 787; Holt-
hausen, Ae. et. Wb. 138; Bosworth-Toller, AS Dict.
490; Suppl. 487; ME Dict. s. v.; OED² s. v.; Vries,
Anord. et. Wb.² 189; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 392;
Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 96; Falk-Torp,
Norw.-dän. et. Wb. 346; Nielsen, Dansk et. ordb. 162;
Torp, Nynorsk et. ordb. 183; Hellquist, Svensk et.
ordb.³ 300; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 220 f.; Leh-
mann, Gothic Et. Dict. G-104.
Diese Formen setzen urgerm. *rei̯p- <
uridg. *ghrei̯b- voraus; außergerm. Verglei-
che sind nur lit. griẽbti ‚ergreifen, haschen,
anfassen‘, Intens. graibýti; lett. greĩbt
‚greifen, fassen‘, gribêt ‚wollen, verlangen‘.
Neben dieser nur im Germ. und Balt. beleg-
ten Sippe steht eine andere gleichbedeuten-
de, die auf uridg. *ghrebh- zurückgeht (→
garba) und im Indoiran., Germ., Balt, Slaw.
und viell. Heth. (zu heth. karp- ‚aufheben‘
vgl. Tischler, Heth et. Gl. 1, 513 f.) vor-
kommt. Inwiefern diese Sippen miteinander
in Zusammenhang stehen, ist unklar. Mögli-
cherweise sind die beiden verschiedene Er-
weiterungen einer Wz. *gher- ‚greifen, fas-
sen‘. Zwar kommt bei Pokorny 442 nur
*ĝher- mit palatalem Anlaut vor, aber auf das
Vorhandensein einer parallelen Wz. *gher-
deutet die sehr produktive Erweiterung
*gherdh- neben *ĝherdh- ‚umfassen, umzäu-
nen, umgürten‘ (→ gart², gurten und vgl.
Pokorny 444, der aber nur auf *ĝher- ver-
weist).
Nach Lühr 1988: 356 und Anm. 2314 könnte eine idg.
Wz. *ghrei̯bh- angesetzt werden; germ. *p- wäre dann
entweder „von dem Intensiv *rippii̯a- aus in das
starke Verb eingedrungen“ oder durch „eine lautsym-
bolische Verhärtung des Auslauts“ entstanden. Es ist
aber sehr zweifelhaft, ob ein germ. Intensiv *rippii̯a-
existiert hat. Das ahd. Verb. kripfen (s. d.) — bair. chr-!
— ist nicht mit grîfan verwandt. Die wenigen Belege
mit gr-Anlaut stammen aus dem 12.—13. Jh. und sind
wohl unter dem Einfluß von grîfan entstanden (→
gripfere usw.).
Walde-Pokorny 1, 655; Pokorny 457 f.; LIV² 203;
Fraenkel, Lit. et. Wb. 168 f.; Mühlenbach-Endzelin,
Lett.-dt. Wb. 1, 646 f. 653.