grîsAWB adj., nur einmal in Gl. 3,377,56
(gris dch griseus; 12./13. Jh.; mfrk.,
rheinfrk.?): ‚grau; griseus‘. — Mhd. grîs
‚grau, greis‘, nhd. greis ‚sehr alt, hochbe-
tagt‘. Das Wort ist aus dem ndd. Sprachge-
biet in das Hochdeutsche eingedrungen (vgl.
Dt. Wb. 9, 64).
Ahd. Wb. 4, 439; Splett, Ahd. Wb. 1, 327; Köbler, Wb. d.
ahd. Spr. 494; Schützeichel⁶ 140; Starck-Wells 241;
Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 58; Bergmann-
Stricker, Katalog Nr. 726; Graff 4, 334; Lexer 1, 1088;
Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 295 (griseus); Dt. Wb. 9,
64 ff.; Kluge²¹ 269; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et. Wb.² 474.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. (nur nom.pl.) grisa ‚cani, altersgrau‘,
mndd. grīs ‚grau, greis, alt‘; mndl., nndl.
grijs ‚grau‘; afries. grīs ‚grau‘, nfries. grijs
‚grau‘: < westgerm. *grīsa-. Eine individua-
lisierende Weiterbildung mit dem an-Suffix
findet sich im langob. PN Grīso; daneben
stehendes langob. Grīsio wird als eine Wei-
terbildung mit Suffix *-ii̯an- gedeutet; da ei-
ne -i̯-Erweiterung bei dem Adj. in den germ.
Sprachen jedoch sonst nicht belegt ist, ist das
-i- eher der Latinisierung zuzuschreiben
(s. u.). Ebenso sind auch die in langob. PN
vorkommenden Schreibungen Grīsi- und
Grīse- (in Grisilissi und Gricelissi; neben
späterem Grīs- [in Grisaldus, Grisolfus] mit
geschwundenem Fugenvokal) wohl als vulg.
lat. Schreibungen und nicht als Fortsetzung
einer germ. Form *rīsii̯a- aufzufassen (vgl.
etwa im Namenstamm urgerm. *χelma-
‚Helm‘ die langob. PN-Elemente [H]elme-,
Hilme-, Hilmi-, Elmi-; Francovich Onesti
2000: 201).
Entweder aus frk. *grīs oder got. *greis (für
den Ansatz von Holthausen [1934] 2002: 38:
*greiseis und von Meyer-Lübke, Rom. et.
Wb.³ Nr. 3873: grīsi gibt es keinen Anhalts-
punkt) wurden entlehnt: mlat. grisus ‚grau‘
(> afrz., nfrz. gris ‚grau, benebelt‘, prov., ka-
tal. gris ‚grau‘ [sekundär entlehnt als italien.
grigio, span., port. gris]); daneben kommt
mlat. griseus ‚grau‘ (und daraus substanti-
viertes mlat. griseum ‚Schecke‘) vor, eine
weitere Latinisierung mit -ius (vgl. etwa das
Nebeneinander von lat.-langob. gasindus ne-
ben gasindius ‚Gefolgsmann‘; N. Wagner,
MSS 57 [1997], 173 ff.).
Neben dem Adj. steht im Nordgerm. ein
ebenfalls primäres Substantiv *rīsi-: aisl.
gríss (hieraus ist me. grīs, ne. dial. grise,
grice entlehnt; vgl. Björkman [1900—02]
1973: 211), nisl. grís, fär. grísur, nnorw.,
nschwed., ndän. gris ‚Ferkel, Eber‘ mit einer
ursprünglichen Bedeutung ‚das graue Tier‘
(vgl. auch ndän. grisset ‚von grauer oder
gemischter Farbe‘; zum i-St. bei Tierbe-
zeichnungen im Nordgerm. vgl. aisl. hualr
‚Wal‘ und valr ‚Falke‘).
Fick 3 (Germ.)⁴ 144; Heidermanns, Et. Wb. d. germ.
Primäradj. 257; Holthausen, As. Wb. 29; Wadstein, Kl.
as. Spr.denkm. 106. 189; Lasch-Borchling, Mndd.
Handwb. 2, 1, 164; Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 149;
Verwijs- Verdam, Mndl. wb. 2, 2139 f.; Franck, Et. wb.
d. ndl. taal² 215 f.; Vries, Ndls. et. wb. 221; Et. wb. Ndl.
F-Ka 334 f.; Holthausen, Afries. Wb.² 36; Richthofen,
Afries. Wb. 787; Fryske wb. 7, 368; Doornkaat Kool-
man, Wb. d. ostfries. Spr. 1, 689; Dijkstra, Friesch Wb.
1, 475; ME Dict. s. v.; OED² s. v. gris, a.; Vries, Anord.
et. Wb.² 189 f.; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 358 f.; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog 1, 648; Holthausen, Vgl. Wb.
d. Awestnord. 97; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb. 348 f.;
Nielsen, Dansk et. ordb. 162; Ordb. o. d. danske sprog
7, 105 ff.; Torp, Nynorsk et. ordb. 183; Hellquist, Svensk
et. ordb.³ 300; Svenska akad. ordb. s. v.; Bruckner, Spr.
d. Langob. 261 f. — Noreen [1923] 1970: § 387, 1. 2;
Francovich Onesti 2002: 197. — Niermeyer, Med. Lat.
lex.² 1, 622; Du Cange² 4, 113; Körting, Lat.-rom. Wb.³
Nr. 4361; Meyer-Lübke, Rom. et. Wb.³ Nr. 3873; Wart-
burg, Frz. et. Wb. 16, 80 ff. — Gamillscheg 1969: 501 f.
Westgerm. *grīsa- hat keine direkten Ent-
sprechungen in anderen idg. Sprachen. Wenn
man von einer Analyse *grī-sa- < vorur-
germ. *ĝhrei̯-so- ausgeht, könnte hiermit air.
grían f. ‚Sonne‘ < vorurkelt. *ĝhrei̯-nah₂
verbunden werden. Eine daraus zu abstrahie-
rende Verbalwurzel uridg. *ĝhrei̯- ist jedoch
in keiner Einzelsprache fortgesetzt. Handelt
es sich um eine kelt.-germ. Wurzelneubil-
dung, könnte man an eine Erweiterung mit
*-ei̯- der Verbalwurzel uridg. *ĝher- (→
grâo ‚grau‘) ‚strahlen, scheinen, sehen‘ den-
ken (zu einer solchen Verbalbildung vgl.
uridg. *dhegu̯h- ‚mit Feuer behandeln, ver-
brennen‘ : *dhgu̯hei̯- ‚[durch Hitze] hin-
schwinden, zugrunde gehen‘ [vgl. LIV² 133 f.
150 ff.], eine Bildung mit Schwundstufe der
Wurzel, an die das Element *-ei̯- angefügt
wurde; vgl. für das Ahd. etwa gellan ‚rufen,
schreien‘ < *ghel- : glîan ‚piepen‘ < *lei̯-
e/o-; vgl. auch uridg. *bher[h₁]- ‚aufwallen‘ :
*bhr-ei̯- ‚ds.‘; → brîo). Der semantische Un-
terschied zwischen ‚Sonne‘ und ‚grau‘ könn-
te dabei über eine Bedeutung ‚Morgengrau-
en‘ (sowohl als Zeit, in der die Sonne zu
scheinen beginnt, wie die Zeit, in der der
Himmel noch grau ist) überbrückt werden.
Walde-Pokorny 1, 602 f.; Pokorny 441 f.; LIV² 177;
Dict. of Irish G-157 f.