hiruzAWB, hirzAWB m. a-St., in Gl. seit dem letz-
ten Drittel des 8. Jh.s, in RhC, bei N, Npg,
in HH, WH und im SH: ‚Hirsch, Hirsch-
bock; cervus‘ 〈Var. hiruz: -ez, -iz; Var. hirz:
-rzz, -rzs, -rs, -rsz, -rtz, -rc, -rczz, -rchsz;
hyrz〉. Während -z in hiruz Frikativ ist, kann
für die synkopierte Form hirz mitunter auch
eine Affrikata angenommen werden wie die
Graphie hirtz in Gl. 3,33,33 (Melk, StiftsB Nr.
592, 14. Jh.) und mundartliche Fortsetzer
(s. u.) nahelegen (Braune-Reiffenstein 2004:
§ 160 Anm. 5). Bei Notker kommen neben
dem Gen.Pl. -o bereits Formen mit -e als
Kennzeichen der mhd. Abschwächung vor.
Auch beim alem. Dat.Pl. hirzin (11./12. Jh.; s.
G. Müller, BEDS 6 [1986], 66) ist -in Schwä-
chungsprodukt; vgl. noch nuzpoumin ‚den
Nußbäumen‘ (Weinhold [1863] 1967: § 392
[S. 416]). Ein Gen.Pl. -i anstelle von -o (N,
Canticum Abacug 19 snélli dero hírzo
‚Schnelligkeit der Hirsche‘; Piper 1882—1883:
2, 624) existiert nicht (anders Ahd. Wb. 4,
1142). Die Tierbezeichnung begegnet auch als
Vorderglied komponierter ON wie Hiruzpach
9. Jh., Hirzberc a. 1143 (vgl. Bach 1952 ff.: 2,
1, § 327) und in PN: z. B. Hirzula f. und die
Kopulativkomp. Hiruzpero eigtl. ‚Hirsch und
Bär zugleich‘, Hirziburch (Förstemann
[1900—16] 1966—67: 1, 845; Bach 1952 ff.: 1,
1, §§ 80, 1. 208a). — Mhd. hirz, hirez st. m.
‚Hirsch‘, daneben hirze sw. m., frühnhd. hirs
(vereinzelt auch schon hirsch), hirz st. m.
‚dss.‘, nhd. Hirsch m. ‚meist in Wäldern le-
bender, wiederkäuender Paarhufer mit glat-
tem, braunem Fell, kurzem Schwanz und ei-
nem Geweih [beim männlichen Tier]‘, die
Schnelligkeit des Tieres ist Benennungsmotiv
in redensartlichen Vergleichen: munter wie ein
Hirsch, laufen wie ein Hirsch, in der Wen-
dung flotter Hirsch ‚Draufgänger‘. Aus der
Fachspr. der Jäger stammendes alter Hirsch
zur Bezeichnung des überständigen Tieres
wurde zunächst auf den altgedienten Soldaten,
im ausgehenden 19. Jh. auf den erfahrenen
Flugzeugführer, dann allgemein auf Menschen
mit einem großen Erfahrungsschatz bezogen.
Die Variante mit Affrikata hat sich mdartl. er-
halten: schweiz., els. hirz m. ‚Hirsch, Kuh mit
nach oben gebogenen Hörnern, Hirschkäfer‘,
els. auch ‚Rausch‘ (metonymische Übertra-
gung wohl vom Verhalten des Hirsches in der
Brunft; vgl. vollhirzel m. ‚Trunkenbold‘),
bair., bad., hess. hirz (neben hirsch), hess.
hirz, in den Komp. pfälz. hirzkäfer (neben
hirschkäfer), dt.-lothr. hirzemännchen
‚Hirschkäfer‘. ON und FamN zeigen beide
Varianten ts und s < s: Herzberg (mit mdartl.
Senkung von i > e vor r und Kons.) neben
Hirschberg (Eichler-Walther 1986: 135. 136),
Hirschfeld (an der frk. Saale) neben Herzfeld,
Kreis Beckum (Förstemann [1900—16] 1966—
67: 2, 1, 1372).
Ahd. Wb. 4, 1142 f.; Splett, Ahd. Wb. 1, 391; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 553; Schützeichel⁶ 163; Starck-Wells
279. XLIII; Schützeichel, Glossenwortschatz 4, 340;
Bergmann-Stricker, Katalog Nr. 16. 432; Seebold,
ChWdW8 162; Graff 4, 1017; Lexer 1, 1305 f.; 3,
Nachtr. 242; Götz, Lat.-ahd.-nhd. Wb. 100 (cervus); Dt.
Wb. 10, 1563 ff.; Kluge²¹ 310; Kluge²⁴ s. v.; Pfeifer, Et.
Wb.² 545 f. — Schweiz. Id. 2, 1662 ff.; Martin-Lienhart,
Wb. d. els. Mdaa. 1, 378 f.; Ochs, Bad. Wb. 2, 728 f.;
Schmeller, Bayer. Wb.² 1, 1166. 1171 f.; Follmann, Wb.
d. dt.-lothr. Mdaa. 245; Christmann, Pfälz. Wb. 3,
1086 f. 1093; Crecelius, Oberhess. Wb. 464; Vilmar, Id.
von Kurhessen 171. — Wilmanns [1906—30] 1967: 2,
§ 273, 2; Förstemann [1900—16] 1966—67: 2, 1370—
1373; Götze [1930] 1971: 111; Maurer-Rupp 1974—
78: 1, 21; Röhrich 2004: 2, 723 f.
Die ahd. Tierbezeichnung kommt in weiteren
west- und nordgerm. Sprachen vor. Sie hat
Entsprechungen in: mndd. herte, harte n., hert
m., n. ‚Hirsch, Hirschbraten‘; andfrk. hirot m.
‚Hirsch‘, mndl. hert (herte, heert, hart) m.
‚Hirsch‘, nndl. hert; nfries. hart, hert ‚Hirsch‘;
ae. heorot, heort m. ‚Hirsch‘ (seit 825 belegt,
auch als VG in zahlreichen ON), me. hert
(hērt, hart, heort, in ON hurt-, heord-, herth-)
‚Hirsch‘, ne. hart ‚Hirsch, Rothirsch‘, fachspr.
‚Hirsch nach dem 5. Lebensjahr‘, veraltet hart
of ten ‚Zehnender‘ (Beleg von 1637); aisl.
hjǫrtr m. u-St. ‚Hirsch‘ (auch als PN) (mit *e
> *ea > jǫ durch u-Brechung; Noreen [1923]
1970: § 89), nisl. hjörtur, fär. hjørtur, nnorw.,
ndän. hjort, aschwed. hiorter, nschwed. hjort
‚Hirsch‘: < urgerm. *χeruta-.
Wahrscheinlich ist auch der VN Cherusker
(lat. Cherusci, gr. Xέρουσκοι, Xαιρουσκοί)
etymologisch mit urgerm. *χeruta- zu verbin-
den (G. Neumann, RGA² 14, 430). Ausgangs-
punkt ist dann ein älterer kons. St. *χerut-,
von dem der VN mit dem Suffix urgerm.
*-ska- abgeleitet wurde (→ rasc). R. Much
(PBB 17 [1893], 60 f.) deutet den VN so als
urgerm. Nom.Pl. *Xerutskōz ‚junge Hirsche‘.
Diese Auffassung wird von E. Schröder
(NsJbLg 1933 [10], 5—28, bes. 26) und Höfler
(1961: 27 ff.) noch durch weitere, auch au-
ßersprachliche Faktoren gestützt.
Ein anderer Vorschlag stammt von F. Kluge. Er verbin-
det den hochstufigen VN mit dem schwundstufigen
Adj. ahd. horsc (s. d.), ae., andfrk. horsc, as. horsk, aisl.
horskr < urgerm. *χurska- und deutet die Cherusci als
‚die Klugen‘. S. Gutenbrunner (BNF 8 [1957], 305)
sieht wegen Tacitus, Germania 36, 2: ita qui olim boni
aequique Cherusci, nunc inertes ac stulti vocantur ‚so
werden die Cherusker genannt, die einst rechtschaffen
und redlich waren, jetzt aber nichtsnutzig und töricht‘
in Kluges Vorschlag eine mögliche Alternative zu
Muchs Deutung. Doch bleibt das Stammbildungsele-
ment -u- in *χeruska- gegenüber *χurska- unklar.
Grimms (1870—80: 71) Rückführung der Cherusker
auf ahd. *hâr-isk/usk- ‚behaart‘, eine Ableitung von
ahd. hâr ‚Haar‘, ist aufgrund des Vokalismus nicht
möglich (ähnlich O. Bremer, PBB 11 [1886], 1. 3
Anm. 3, nur mit Ansatz eines urspr. s-St. *χēres-
/*χēruz-). Dagegen ist eine Verknüpfung mit dem m.
u-St. got. hairus, as. heru, ae. heoru und dem u̯a-St.
aisl. hjǫrr ‚Schwert‘ von der Wortbildung her un-
wahrscheinlich.
Fick 3 (Germ.)⁴ 76; Holthausen, As. Wb. 34 (hirut m. in
ON); Lasch-Borchling, Mndd. Handwb. 2, 1, 294;
Schiller-Lübben, Mndd. Wb. 2, 255; Quak, Wortkon-
kordanz zu d. am.- u. andfrk. Ps. u. Gl. 91; Quak, Die
am.- u. andfrk. Ps. u. Gl. 129. 200; Verwijs-Verdam,
Mndl. wb. 3, 385 f.; Franck, Et. wb. d. ndl. taal² 249;
Suppl. 70; Vries, Ndls. et. wb. 254; Et. wb. Ndl. F-Ka
424; Holthausen, Afries. Wb.² 43 (†hert m. ‚Hirsch‘);
Fryske wb. 8, 167; Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries.
Spr. 2, 45; Dijkstra, Friesch Wb. 1, 497; Holthausen, Ae.
et. Wb. 156; Bosworth-Toller, AS Dict. 530; Suppl. 533;
Suppl. 2, 40 (Bedeutung ‚Sycomore‘); ME Dict. s. v.;
OED² s. v.; Vries, Anord. et. Wb.² 234; Bjorvand, Våre
arveord 386 f.; Jóhannesson, Isl. et. Wb. 229; Fritzner,
Ordb. o. d. g. norske sprog 1, 834 f.; Holthausen, Vgl.
Wb. d. Awestnord. 117; Falk-Torp, Norw.-dän. et. Wb.
1, 412 f.; Nielsen, Dansk et. ordb. 185; Ordb. o. d.
danske sprog 8, 288 f.; Torp, Nynorsk et. ordb. 217;
Hellquist, Svensk et. ordb.³ 356; Svenska akad. ordb.
s. v. — Palander 1899: 105—107; Kluge 1926: § 60 Anm.
2; Schwarz 1956: 128; N. Thun, SNPh 40 (1968), 95.
108; Krahe-Meid 1969: 3, § 132, 1.
Urgerm. *χeruta- ‚mit Hörnern versehenes
Tier, Gehörnter‘ ist mit dem öfters in Tierbe-
zeichnungen vorkommenden, vokalisch er-
weiterten Suffix *-t- von einem alten u-St. ab-
geleitet. Bereits Isidor verweist darauf, daß der
‚Hirsch‘ nach seinem Geweih benannt ist
(Etym. 12, 1, 18: cervi dicti ἀπὸ τῶν κεράτων
‚Hirsche werden wegen der Hörner [so] ge-
nannt‘). Die vorurgerm. Vorform *k̂erud-, der
eine uridg. Wz. *k̂er(h₂)-/*k̂(h₂)- ‚das Oberste
am Kopf, Körper‘ (Aniṭ-Variante ohne Laryn-
gal, Seṭ-Variante mit Laryngal) zugrunde
liegt, ist formal am nächsten verwandt mit o-
stufigem gr. κόρυδος m., κορυδός f. ‚Hauben-
lerche‘ < vorurgr. *k̂orudo-. Mit einem ande-
ren Suffix, *-u̯o-, sind e-stufiges lat. cervus,
gen.sg. -ī m. ‚Hirsch‘ (nach Rasmussen 1989:
98 synkopiert aus *kerau̯os; anders Nussbaum
1986: 7. 155: *k̂er-u̯o-) und gr. κεραός ‚ge-
hörnt‘, sekundär ‚aus Horn gemacht‘ <
*κεραϝός (Rasmussen 1989: 98; anders, und
zwar ohne Ansatz eines *-ϝ-, Nussbaum 1986:
155 f.) gebildet. Die Tiefstufe der Wz., die aus
schwachen Kasus des u-Stamms verallgemei-
nert wurde, ist fortgesetzt in: alb. ka ‚Ochse‘,
gall. PN Carvus (wohl identisch mit dem Ap-
pellativum *karwos ‚Hirsch‘; G. Neumann,
ANRW 29, 2 [1983], 1070), akymr., kymr.
carw, akorn. caruu, korn. carow, mbret. caru,
bret. karo ‚Hirsch‘, apreuß. sirwis ‚Reh‘ (dar-
aus sind karel. hirvas ‚Renstier‘, hirvi ‚Elch‘
entlehnt; Kylstra, Lehnwörter 1, 105 f.) < vor-
uralb., vorurkelt., vorurbalt. *kh₂u̯o-
‚Gehörnter, Geweihträger‘. Im Unterschied zu
apreuß. sirwis zeigen die balt. und slaw. Wör-
ter in der Bedeutung ‚Kuh‘ (bzw. ‚Ochse‘)
Kentumvertretung und o-Stufe: ksl. krava,
russ., ukrain. koróva, wruss. karóva, bulg.,
maked., slowen. kráva, slowak. krava, poln.
krowa, serbo-kroat. krȁva, osorb. kruwa (<
*krówa), ndsorb. krowa f. < vorurbaltoslaw.
*k̂orh₂-u̯ah₂- und lit. kárvė f., apreuß. curwis
m. ‚Ochse‘ (mit u < a vor Liquid; Endzelin
[1944] 1974: § 7b), älteres poln. karw m.
‚Ochse‘, übertragen ‚Faulpelz‘ < vorurbalto-
slaw. *k̂orh₂-u̯ii̯ah₂- f., *k̂orh₂-u̯o- m. Bei den
angeführten Wörtern handelt es sich um pos-
sessive Ableitungen auf urspr. *-ó- von einem
o:e-akrostatischen n. u-Stamm mit dem
Nom.Akk.Sg. * k̂órh₂u- ‚Horn‘, Gen.Sg.
*k̂érh₂-u-s mit Umbildung zu *k̂érh₂-u̯o-s (s.
J. Schindler, GS Pedersen 1994: 397), der in
vorurgr. und vorurit. *k̂érh₂-u̯o- > lat. cervus,
gr. κεραός fortgesetzt ist. Daneben steht ein
neugebildeter Gen.Sg. *k̂h₂u̯-és, der für das
Voruralb., Vorurkelt. und Vorurbalt. voraus-
zusetzen ist. Gleichfalls geneuertes *k̂ruh₂-és
mit Laryngalmetathese neben Engevokal ist
die Vorform von av. sruuva- ‚Nagel, Horn,
hornartige Substanz‘ < voruriran. *k̂ruh₂o- (s.
Lühr 2000: 104).
Vielleicht gehört auch das Hapaxlegomenon
toch. B karse ‚Hirsch, Reh, Rothirsch‘ < vor-
urtoch. *k̂h₂só- hierher (D. Q. Adams, GS
Windekens 1991: 4 f.; anders Hilmarsson
1996: 92 f.: karse < *ksó- ‚schwarz‘, das mit
ai. kṣṇá- ‚schwarz‘ < *ksnó- zu verbinden
sei).
Nach T. K. Nilsson (IF 102 [1997], 304 f.) ist finn. kor-
va ‚Ohr, Henkel, Griff, hölzerne Bogen einer Reuse,
Stützen eines Heuhaufens‘ aus slaw. *korva- entlehnt.
Walde-Pokorny 1, 407; Pokorny 575 ff.; Bartholomae,
Airan. Wb.² 1647 f.; Frisk, Gr. et. Wb. 1, 825 f. 924;
Chantraine, Dict. ét. gr. 517 f.; Walde-Hofmann, Lat. et.
Wb. 1, 208; Ernout-Meillet, Dict. ét. lat.⁴ 117; Demiraj,
Alb. Et. 210 (mit alternativen Anschlüssen); Orel, Alb.
et. dict. 160; Trautmann, Balt.-Slav. Wb. 119; Berneker,
Slav. et. Wb. 1, 577; Trubačev, Et. slov. slav. jaz. 11,
106 ff.; Vasmer, Russ. et. Wb. 1, 629 f.; Schuster-Šewc,
Hist.-et. Wb. d. Sorb. 687; Fraenkel, Lit. et. Wb. 225;
Trautmann, Apreuß. Spr.denkm. 428; Mažiulis, Apreuß.
et. Wb. 2, 317 ff.; Fick 2 (Kelt.)⁴ 79; Holder, Acelt. Spr.
1, 820; Delamarre, Dict. gaul. 92; Dict. of Welsh 434;
Adams, Dict. of Toch. B 145. — Porzig 1974: 175 f.; W.
P. Lehmann, in Winter 1960: 216; R. D. Fulk, in Bam-
mesberger 1965: 164 f.; H. Ölberg, FS Pisani 1969: 2,
684; E. P. Hamp, MSS 40 (1981), 54. 59 f.; Seebold
1981: 161 f.; D. Q. Adams, JIES 13 (1985), 274—276;
W. Euler, ZVSp 98 (1985), 86; de Bernardo Stempel
1987: 152 f.; K. Strunk, PBB 114 (1992), 204 f.; Mat-
zinger 2006: 71.