inwitti n. ja-St., der ja-St. im 9. Jh. in
Sam (105,35) als Subst. (inwitte ‚dolo‘) und
Adj. (113,17) (‚dolosus‘) belegt, der a-St. al-
lenfalls im 9. Jh. im H: ‚Betrug, List; dolus‘.
Nach Lühr (1982: 605) ist aufgrund der Be-
leglage in den anderen germ. Sprachen da-
von auszugehen, dass der endungslose
Akk.Sg. inwit im H (v. 41) auf Saxonisie-
rung der ahd. Vorlage beruht, die *inwitti
gehabt haben dürfte, ausl. -t ist eine auch
sonst im As. neben -d, -dd bezeugte Schrei-
bung. Einen a-St. dürfte es mithin nicht ge-
geben haben.
Ahd. Wb. 4, 1645; Splett, Ahd. Wb. 1, 1142; Köbler,
Wb. d. ahd. Spr. 600; Schützeichel⁷ 165; Starck-Wells
307 (inwitti); Schützeichel, Glossenwortschatz 5, 66
(inwit, inwitti); Graff 1, 769.
In den anderen germ. Sprachen entsprechen:
as. inwidd n. ja-St. ‚Missetat, Bösartigkeit,
Übles, Tücke, Betrug‘; ae. inwid(d), inwit n.
‚Übel, Trug, Täuschung, Übeltat, Böses; do-
lus‘ (als Simplex und in über einem Dutzend
Komp. als VG), inwidda adj. ‚böse, arglistig,
übelwollend‘, m. ‚Feind‘; aisl. í-við-gjarn
adj. ‚bösartig‘: < urgerm. *inu̯iđi̯a-. Falls
got. inwinds adj. ‚ungerecht, verkehrt‘, in-
windiþa f. ‚Ungerechtigkeit‘ nicht nur se-
mantisch nahestehen, sondern auch etym.
verwandt sein sollten, müsste mit sekundä-
rem Nasaleinschub gerechnet werden. An-
dernfalls gehören sie wohl zu urgerm.
*u̯inđa- ‚winden, wenden‘ (so etwa Pokorny
1122).
Tiefenbach, As. Handwb. 199; Sehrt, Wb. z. Hel.²
294 f.; Berr, Et. Gl. to Hel. 214; Holthausen, Ae. et.
Wb. 189; Bosworth-Toller, AS Dict. 597; Jóhan-
nesson, Isl. et. Wb. 1034 f. (íviđgjarn); Magnússon,
Ísl. Orðsb. 426; Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord.
144; Feist, Vgl. Wb. d. got. Spr. 295 f.; Lehmann,
Gothic Et. Dict. I-25 f. — Ilkow 1968: 231 ff.; Lühr
1982: 604—608.
Urgerm. *inu̯iđi̯a- ist zusammengesetzt aus
dem Präf. in-, das hier wohl am ehesten ver-
stärkende Bed. hat (eine Übertragung des
urspr. Verbalpräf. in- ‚ver-‘ von semantisch
und formal nahestehenden Adj. wie etwa got.
inwinds ‚ungerecht, verkehrt‘ ist ebenso
denkbar), und einem Subst. urgerm. *u̯iđi̯a-.
Dieser Wortbildungstyp ist außer im Germ.
vor allem im Ai. bezeugt. Hierbei werden
von Lokaladv. mittels des Suff. uridg. *-ti̯o-
Adj. abgeleitet; vgl. uridg. *ní-ti̯o- ‚drinnen
seiend‘ > ai. nítya- ‚heimisch, eigen‘, got.
niþjis, aisl. niðr ‚Verwandter‘, uridg. *nís-
ti̯o- > ai. níṣṭya- ‚auswärtig, fremd‘ (viel-
leicht auch mit Dehnung des *-i- in [vor-]
urslaw. *nīsti̯o- > aksl. ništь ‚arm‘) etc. Ur-
idg. *u̯í-ti̯o- ‚auseinander seiend‘ könnte
substantiviert in lat. vitium n. ‚Laster, Fehler‘
fortgesetzt sein (wofür aber auch andere
Etymologien denkbar sind; vgl. de Vaan, Et.
dict. of Lat. 684). Im Falle von lat. vitium <
uridg. *u̯í-ti̯o- kann urgerm. *u̯iđi̯a- auf eine
bereits voreinzelsprachlich (?) durch Kon-
trastakzent gekennzeichnete Substantivie-
rung *u̯i-ti̯ó- ‚das Auseinandersein, das
Wegsein [sc. des Guten (?)]‘ zurückgeführt
werden.
Sollte got. *inwidan ‚verleugnen‘ zu dieser Wort-
gruppe gehören, müsste indes eine Wz. uridg. *u̯ei̯t-
gegeben sein, die Vorform von urgerm. *u̯iđi̯a- (und
lat. vitium) wäre somit als Verbalabstraktum auf *-i̯o-
uridg. *u̯it-i̯ó- zu bestimmen. Doch ist diese Wz. nicht
ohne weiteres zu sichern.
Die von Holthausen, Vgl. Wb. d. Awestnord. 144, er-
wogene Möglichkeit einer Entlehnung des germ.
Worts aus lat. invidia ‚Neid‘ ist nach der o. vorgeführ-
ten Lösung unwahrscheinlich: Zudem hätte die Ent-
lehnung wegen der aisl. Form bereits in urgerm. Zeit
erfolgen müssen.
Die erstgenannte Lösung ist vorzuziehen,
da das germ. Wort in einen über das Germ.
hinausreichenden etym. Kontext eingebettet
werden kann.
Walde-Pokorny 1, 225; Pokorny 1122; Mayrhofer,
KEWA 2, 162 f. 169; ders., EWAia 2, 43. 48; Walde-
Hofmann, Lat. et. Wb. 2, 804 f.; Ernout-Meillet, Dict.
ét. lat.⁴ 741 f.; de Vaan, Et. dict. of Lat. 684; Et. slov.
jaz. staroslov. 547; Vasmer, Russ. et. Wb. 2, 222 f.;
ders., Ėt. slov. russ. jaz. 3, 77. — Wackernagel [1896—
1964] 1954—87: 2, 2, § 513; Krahe-Meid 1969: 3,
§ 120, 2; KS Hoffmann 1975/76: 2, 497 f. mit Anm. 4;
Matzinger 2008: 279.